Die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW) ziehen gegen die gesetzliche Haftungsregelung bei den Atom-Altlasten vor das Bundesverfassungsgericht. Das Unternehmen sieht in dem Nachhaftungsgesetz zum Atom-Ausstieg nach eigenen Angaben eine rechtsstaatswidrige Ausweitung der Haftung für Abbau- und Entsorgungskosten auf Gesellschafter, die bislang nicht in der Pflicht standen. Der Zweckverband besteht aus neun Landkreisen in Baden-Württemberg und hält 46,75 Prozent der Anteile am Energiekonzern EnBW.
Ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts bestätigte am Dienstag den Eingang der Verfassungsbeschwerde. Zuerst hatte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ darüber berichtet.
Das Mitte des Jahres in Kraft getretene Nachhaftungsgesetz soll verhindern, dass sich Energiekonzerne, die Atomkraftwerke betreiben, durch den Verkauf der Sparte oder durch Umstrukturierung von ihren milliardenschweren Verpflichtungen befreien. Sie müssen die Anlagen nach Ende des Betriebs in einem aufwendigen Verfahren abbauen.
Da der Zweckverband OEW nicht insolvenzfähig sei, wären die Landkreise und damit die Steuerzahler im Falle einer Zahlungsunfähigkeit der EnBW in der Pflicht, Geld nachzuschießen, kritisierten die Kläger. Das Nachhaftungsgesetz hebe den Grundsatz der Trennung von Privat- und Gesellschaftsvermögen auf.
Der zweite große Gesellschafter der EnBW ist das Land Baden-Württemberg über seine Beteiligungsgesellschaft Neckarpri. Eine Aktionärsvereinbarung zwischen Neckarpri (46,75 Prozent Anteil an EnBW) und OEW sei wegen des Nachhaftungsgesetzes aufgelöst worden. Beide hatten darin ihre Zusammenarbeit als gemeinsame Eigentümer der EnBW geregelt. Es bleibe aber eine große Unsicherheit, weil Gerichte das Gesetz so auslegen könnten, dass auch zwei Großaktionäre ohne Aktionärsvereinbarung einen beherrschenden Einfluss ausüben könnten, befürchten die OEW. Die Folge sei eine erhebliche Unsicherheit. „Es ist ein absolutes Novum, dass Mehrheitsaktionäre nachträglich in die Haftung einer Kapitalgesellschaft einbezogen werden“, teilte der Vorsitzende des Zweckverbandes OEW und Landrat des Bodenseekreises, Lothar Wölfle, mit.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sieht auch einige problematische Regelungen in der Nachhaftung und kann die Verfassungsbeschwerde nachvollziehen. „Wenn die OEW nun klagt, bringt das Rechtssicherheit“, sagte er. Das Land selbst sehe keine Notwendigkeit zu klagen. „Wir gehen fest davon aus, dass die EnBW ihren Verpflichtungen selbst nachkommen wird und nachkommen kann.“
Wie im Ausland die Atommüll-Kosten gestemmt werden
Die Atomkommission der Bundesregierung hat sich auf einen Vorschlag verständigt, wie die Finanzierung der Atommüll-Altlasten gesichert werden kann. In praktisch keinem Land Europas gibt es dafür so wenige Vorschriften, was die Vorsorge für Abriss der Meiler und Lagerung des strahlenden Mülls betrifft. Zwar gelten die von den Unternehmen gebildeten rund 40 Milliarden Euro Rückstellungen im europäischen Vergleich als hoch. Doch sie sind allein unter Kontrolle der Firmen und zudem in Kraftwerken oder anderen Anlagen investiert.Andere Länder haben schon vor Jahren Strategien entwickelt, wie die zurückgestellten Mittel gesichert, flüssiggemacht und notfalls aufgestockt werden können.
Das Land hat die meisten Atomkraftwerke in Europa, die alle von der staatlich dominierten EDF betrieben werden. Der Konzern ist gesetzlich verpflichtet, für die Entsorgungskosten in einem zweckgebundenen Fonds zu sparen. Das Geld muss nach festgesetzten Kriterien vorsichtig angelegt werden, was von einer nationalen Kommission überwacht wird. Die Offenlegung geht über normale Auskunftspflichten von Firmen hinaus. EDF darf dabei nur mit einer Verzinsung des Kapitals kalkulieren, die sich an einer Reihe vom Staat vorgegebenen Parametern orientiert. Zuletzt setzte EDF 4,6 Prozent an, wofür der Konzern allerdings eine Ausnahmegenehmigung in Anspruch nehmen musste. Zum Vergleich: Die deutschen Versorger kalkulieren mit einer Verzinsung ihrer Rückstellungen in nahezu der gleichen Höhe.
Ein Fonds, der von der Regierung verwaltet wird, soll sowohl die Ausgaben für Abriss der Meiler als auch die langfristige Lagerung des Mülls finanzieren. In den Fonds eingezahlt wird eine Abgabe der AKW-Betreiber, die etwa zehn Prozent der Strom-Produktionskosten beträgt. Die genaue Höhe wird jedes Jahr neu festgelegt. Dazu kann ein Risikoaufschlag von bis zu zehn Prozent der Gesamtsumme verlangt werden, um unerwartete Kostensteigerungen bei der Müll-Entsorgung abzufangen. Das Geld wird nach festgelegten Kriterien überwiegend in Staatsanleihen angelegt. Je nachdem, wie hoch die Rendite des Fonds in einem Jahr ausfällt, werden die Gebühren für den Müll erhöht oder gesenkt. Die Betreiber können sich bis zu 75 Prozent des Geldes aus dem Fonds zurückleihen, allerdings nur mit ausreichenden Sicherheiten. Geht ein Betreiber Pleite, muss der Steuerzahler allerdings für ihn einspringen.
Auch hier soll ein unabhängiger Fonds sowohl die Abrisskosten als auch die Mülllagerung finanzieren. Alle drei Jahre legen die Betreiber Kostenschätzungen vor, nach denen sich dann die Einzahlungen in den Fonds richten. Dazu wird für jedes einzelne Kraftwerk eine unterschiedliche Gebühr erhoben. Die Mittel im Fonds bleiben auf die einzelnen Betreiber aufgeteilt, eine Gesamthaftung gibt es nicht. Investieren darf der Fonds nur in risikoarme schwedische Anleihen und Festgeldanlagen. Sollten die Summen nicht ausreichen, müssen die Betreiber nachschießen. Der Staat darf auch einen Risikoaufschlag erheben, um sich gegen Pleitegefahr eines Betreibers abzusichern, hat das aber bislang nicht getan.
Das Land unterscheidet zwischen einem AKW-Stilllegungs- und einem Entsorgungsfonds. Beide Fonds stehen unter staatlicher Kontrolle. Die Verwalter entscheiden über Höhe der Beiträge sowie über die Anlagepolitik. Zuletzt wurde eine Sonderzahlung als Risikoaufschlag beschlossen. Alle fünf Jahre werden die erwarteten Entsorgungskosten neu berechnet und die Jahresbeiträge der Versorger angepasst. Sollten die Fondsanteile eines Versorger für die Altlasten nicht ausreichen und dieser nicht zahlungsfähig sein, müssen andere Betreiber bis zu einer Belastungsgrenze mithaften. Danach muss der Steuerzahler einspringen.
Dem Zweckverband gehören die Kreise Alb-Donau-Kreis, Biberach, Bodenseekreis, Freudenstadt, Ravensburg, Reutlingen, Rottweil, Sigmaringen und Zollernalbkreis an.
EnBW unterhält an drei Standorten Atomkraftwerke. Obrigheim (Neckar-Odenwald-Kreis) wurde 2005 abgeschaltet, der Rückbau läuft. In Neckarwestheim bei Heilbronn endete im Block I die Stromproduktion im Jahr 2011, der Rückbau hat begonnen. In Block II kann noch maximal bis Ende 2022 Strom produziert werden. Block I des Atomkraftwerks Philippsburg bei Karlsruhe lief bis 2011, der Rückbau hat begonnen. Block II darf noch bis längstens Ende 2019 laufen.