Viele Steuerzahler haben ihr Finanzamt noch nie von innen gesehen. Es gleicht für sie einer großen Blackbox. Ein Mal im Jahr öffnen sie eine Klappe zu dieser Blackbox, werfen ihre Steuererklärung in den Briefkasten ein – und harren der Dinge, die da kommen. Irgendwann landet der Steuerbescheid bei ihnen, hoffentlich mit einer positiven Überraschung. Zwischen dem Briefkasten des Finanzamts (für die Steuererklärung) und dem Briefkasten des Steuerzahlers (für den Steuerbescheid) liegt das große, unbekannte Reich des Finanzamts.
Hereinspaziert! Wir dringen in diese Terra incognita vor und begleiten eine Finanzerklärung auf ihrem Weg durch das Finanzamt Köln-Süd. Es ist ein gelbes Innenstadt-Bürogebäude aus den Fünfzigerjahren.
Helga Esser, Leiterin der Poststelle, leert den großen, weißen Briefkasten – mehr Wanne, denn normaler Briefkasten. Sie nimmt die Steuererklärungen gleich aus dem Umschlag. Eingangsstempel drauf, dann sortiert sie die Post nach Steuernummern. Für jede Steuernummer ist ein Bearbeiter zuständig - auch über Jahre. "Wir haben montags einen großen Berg Post hier", sagt Michael Steinhauser, Leiter des Finanzamts Köln-Süd. Viele werfen die Erklärung selbst ein, bevorzugt am Wochenende.
Die Steuererklärungen im Kölner Finanzamt müssen zunächst erfasst werden. 25 Prozent bekommt das Finanzamt elektronisch übermittelt. Die übrigen sind entweder so gut lesbar, dass die Daten gescannt und dann automatisch erkannt werden können. Oder sie müssen von Hand übertragen werden. Daten aus den Lohnsteuerbescheinigungen kommen bereits in jedem Fall elektronisch. Die übrigen Daten eines Arbeitnehmers werden in maximal zwei Minuten eingegeben. Weil es schnell gehen muss, kann es Fehler geben. Wer seine Steuererklärung elektronisch einreicht, vermeidet dieses Risiko.
Rote Listen gibt es nicht
Alle Steuererklärungen kommen nun ins Bürgerbüro im Erdgeschoss des Finanzamts Köln-Süd. Hier können Ratsuchende auch Fragen stellen. Marke ziehen, auf den Aufruf warten - klar, es bleibt ein Amt. Fragen gibt es oft, Arbeitnehmer brüten knapp vier Stunden über der Steuererklärung. An Platz 6 sitzt uns Helena Focht gegenüber, die geduldig und verständnisvoll Fragen zur Steuererklärung beantwortet. "Wo trägt man mal die Beiträge zur Haftpflichtversicherung ein?" Anlage Vorsorgeaufwand, Ziffer 50! Focht kennt die Antwort oder kann sie nachschlagen – im Regal stehen schließlich nicht nur Erdbeeren für die Mittagspause, sondern auch die steuerliche Fachliteratur.
Auch unsere Steuererklärung landet bei Helena Focht. Sie vergleicht Anschrift, Familienstand, Bankkonto mit vorliegenden Daten. Dann landet die Erklärung unter einem großen Stapel. Nun ist Warten angesagt. "Steuerzahler mit absehbaren Nachzahlungen kommen nicht schneller dran", sagt sie. Um dem Fiskus so schneller Geld zu verschaffen, müsste die Steuer vorab geschätzt werden. Das wäre viel zu aufwendig.
Fünf Wochen bis sechs Monate dauert es, bis ein Steuerbescheid rausgeht - die Zeit hängt sowohl von der Komplexität des Falls als auch von der Auslastung des Bearbeiters ab. Vorbei sind die Zeiten, als elektronisch eingereichte Steuererklärungen vorrangig bearbeitet wurden. "Dafür sind das mittlerweile zu viele", sagt Helena Focht. Damit es noch mehr werden, sollen Steuerzahler in NRW 2015 zwei Monate mehr Zeit für ihre Erklärung bekommen, wenn sie die elektronisch einreichen und sich bis Ende Mai registriert haben.
Focht im Kölner Finanzamt jagt die Daten unserer Steuererklärung durch eine Prüfberechnung. So wird jeder Fall in eine von drei Risikoklassen gestuft: Erkennt die Prüfberechnung starke Auffälligkeiten, wird im Detail geprüft. Bei einzelnen Auffälligkeiten bekommt der Bearbeiter einen Text mit Fundstellen angezeigt. Er kann diese prüfen und Unterlagen nachfordern. In der untersten Risikoklasse macht Focht aus der Erklärung direkt den Steuerbescheid. Dann sieht sie sich die Angaben nicht mehr im Detail an. Entscheidend für die Einstufung sind sowohl Summen als auch Einkunftsarten. Jedes Jahr werden außerdem Bereiche festgelegt, die intensiv geprüft werden. Für die Story über roten Listen, auf denen negativ aufgefallene Steuerzahler und -berater stehen, hat Finanzamtsleiter Steinhauser nur ein müdes Lächeln übrig. "Gibt es nicht", sagt er. Unsere Erklärung soll genauer geprüft werden. Damit reicht Focht sie an ihre Kollegin Nicole Jakubowsky weiter.
Die Genauigkeit der Prüfung hängt von der Zeit ab
Nicole Jakubowsky arbeitet im 5. Stock des Kölner Amts in der Veranlagung - bearbeitet also Steuererklärungen mit Prüfungsbedarf. Ihr Büro wird dominiert von Regalen mit blauen, roten und grünen Pappmappen. Darin liegen vor allem Steuerunterlagen von Geschäftsleuten. Die Unterlagen der meisten Arbeitnehmer schaffen es nicht in so eine Mappe. Wie genau Jakubowsky prüfen kann, ist auch eine Zeitfrage. Auf einen Bearbeiter kommen im Finanzamt Köln-Süd rund 2200 Arbeitnehmer-Steuerfälle. Besonders viel Arbeit fällt im April, Mai und Juni an. Hat ein Bearbeiter dann noch Urlaub, stapeln sich die Steuererklärungen - und es bleibt etwas weniger Zeit, um ganz genau hinzuschauen.
Jakubowsky sieht sich selbst nicht als Gegnerin der Steuerzahler. Leuten, die Baby-Erstausstattung oder Hochzeitskosten als außergewöhnliche Belastung angeben, unterstellt sie keine böse Absicht. "Wenn die Leute Kosten eintragen, die nicht absetzbar sind, sind sie nach meiner Erfahrung häufig davon überzeugt, dass das so richtig ist." Tricksereien wie falsche Wegstrecken zur Arbeit, kämen aber natürlich vor.
Auch in Jakubowskys Büro landet die Steuererklärung wieder auf einem großen Stapel – besser gesagt: ganz unten. Erneut müssen wir warten, bis die Steuererklärung an der Reihe ist. Und da Jakubowsky Fälle mit Prüfungsbedarf bearbeitet, dauert es bei ihr in der Regel etwas länger als im Erdgeschoss bei Helena Focht.
Es ist soweit: Jakubowsky hat die Steuererklärung im Detail geprüft und keine Fehler gefunden, die Angaben sind okay. 621 Euro Erstattung stehen im Bescheid - erledigt. Mit einem Klick schickt Jakubowsky den Datensatz nun an das zentrale Rechenzentrum im Düsseldorfer Stadtteil Derendorf. Es ist für ganz NRW zuständig und verschickt im Jahr mehr als 22 Millionen Sendungen. Dort geht der Steuerbescheid in die Post.
Innerhalb weniger Tage sollte er nun im Briefkasten des Steuerzahlers sein - und die 621 Euro auf dessen Konto.