Jagd auf Steuersünder Der Steuerpranger von Egerkingen

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Politik scheut rechtliche Konsequenzen

Das weltweite Netz der Steuerhinterziehung
Two women walk past a beggar sitting on the steps of an underground pedestrian crossing in downtown Moscow, Quelle: AP
Fishermen navigate their boats past an area of old buildings, which are under demolition work in front of hotel buildings that are under construction on the man-made Fenghuang (Phoenix) island Quelle: REUTERS
Two Russian women, who did not want to be identified, try on mink coats in Moscow Quelle: AP
Symbolische Schuldscheine Quelle: dpa
A girl hawks local snacks in the Dal neighbourhood before the break of fast on the second day of the holy month of Ramadan in Nigeria Quelle: REUTERS
Currency traders talk in front of the screens showing the Korea Composite Stock Price Index Quelle: dapd
Ein Mitarbeiter nimmt einen 1000 Gramm schweren Goldbarren Quelle: dpa

Moralisch mag Bartholdi die Argumente auf ihrer Seite haben, juristisch ist ihr Vorgehen jedoch umstritten. Der Finanzdirektor von Solothurn, Christian Wanner, hält die öffentliche Nennung von Steuersündern eindeutig für unzulässig. Die kantonale Beauftragte für Datenschutz hatte ebenfalls empfohlen, auf die Veröffentlichung der Namen zu verzichten. Das Verwaltungsgericht beschäftigt sich bereits mit der Rechtmäßigkeit des Steuerprangers. Datenschützerin Judith Petermann Büttler ist sogar der Auffassung, dass die Aktion wegen des laufenden Gerichtsverfahrens hätte verschoben werden müssen. Bartholdi könnte sich daher einem Strafverfahren wegen Amtsgeheimnismissbrauch gegenübersehen.
Aber das schreckt sie offenbar nicht. Der Gemeinderat ist der Ansicht, dass das öffentliche Interesse höher als der Datenschutz zu gewichten ist. Auf die Frage der Aargauer Zeitung, ob sie denn nach der Aktion beschimpft oder sogar bedroht worden sei, antwortete Bartholdi: „Bislang zum Glück nicht. Als ich am Mittwochmorgen meine Mails gecheckt habe, stand es 88:2 für mich.“

Welche Promis schon verurteilt wurden
900.000 Euro hinterzogene Steuern: Der Sänger Freddy Quinn hatte seinen Hauptwohnsitz jahrelang in der Schweiz, lebte aber überwiegend bei seiner Hamburger Lebensgefährtin Lilly Blessmann. Die deshalb in Deutschland fälligen Steuern, zwischen 1998 und 2002 immerhin rund 900.000 Euro, hat der Österreicher nach eigenem Eingeständnis aber nie bezahlt. Er habe sich nie mit finanziellen Dingen beschäftigt, rechtfertigte sich der Musiker vor Gericht. Außerdem beglich er sofort seine Steuerschuld, so dass im Prozess 2004 die verhängte Haftstrafe von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hinzu kam ein Bußgeld über 150.000 Euro. Quelle: ap
970.000 Euro hinterzogene Steuern: Klaus Zumwinkel verlor wegen einer Steueraffäre seinen Job als Vorstandschef der Deutschen Post. Ermittler der Bochumer Staatsanwaltschaft durchsuchten vor laufenden Fernsehkameras im Februar 2008 das Privathaus des Topmanagers. Die Staatsanwaltschaft warf Zumwinkel vor, über die LGT Bank Geld in eine Stiftung nach liechtensteinischem Recht geschleust und so den deutschen Fiskus um fast eine Million Euro betrogen zu haben. Mitte Februar 2008 trat der Post-Chef zurück und wurde knapp ein Jahr später zu zwei Jahren Haft auf Bewährung plus Zahlung einer Geldstrafe von einer Millionen Euro verurteilt. Quelle: dpa
1,96 Millionen DM hinterzogene Steuern: Der frühere Verfassungsschutzchef und Ex-Verteidigungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls war eine Schlüsselfigur der CDU-Spendenaffäre. Er räumte ein, vom Geschäftsmann Karlheinz Schreiber 3,8 Millionen Mark erhalten zu haben. Schreiber habe das Geld für ihn in der Schweiz verwaltet. Ausgehändigt worden seien ihm 873.000 Mark. Das Landgericht Augsburg erklärte ihn 2005 der Vorteilsannahme und Steuerhinterziehung für schuldig und verurteilte ihn zu zwei Jahren und drei Monaten Haft. Pfahls kam nach gut 13 Monaten frei, musste aber Ende 2011 erneut wegen Bankrotts und Betrugs in Haft. Quelle: dapd
1,7 Millionen Euro hinterzogene Steuern: Um weniger Steuern zu zahlen, verlegte Tennis-Star Boris Becker Anfang der 90er-Jahre seinen Wohnsitz von München nach Monaco. Tatsächlich aber lebte er weiter überwiegend in Bayerns Metropole und nicht im Fürstentum. Das Landgericht München verurteilte ihn deshalb 2002 wegen Steuerhinterziehung von 1,7 Millionen Euro zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und 500.000 Euro Geldstrafe. Becker räumte eigene Fehler ein – was das Gericht ebenso strafmildernd berücksichtigte wie die Tatsache, dass Becker vor Prozessbeginn rund 3,1 Millionen Euro Steuern nachgezahlt hatte. Quelle: dapd
22,6 Millionen DM hinterzogene Steuern: Der frühere Springreiter Paul Schockemöhle hatte große Summen über Stiftungen in Liechtenstein am deutschen Fiskus vorbeigeschleust. 1996 wurde er deshalb zu elf Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt und musste 22,6 Millionen Mark Steuern nachzahlen. Schockemöhle wurde zum Verhängnis, dass dem Liechtensteiner Treuhänder Herbert Batliner Teile seiner Kundendatei gestohlen und den deutschen Steuerbehörden zugespielt wurden. Der Ex-Sportler, dem für eine erfolgreiche Selbstanzeige keine Zeit mehr blieb, verklagte Batliner später wegen der Datenpanne – ohne Erfolg. Quelle: dpa
203 Millionen Euro hinterzogene Steuern: Das Landgericht München verurteilte den Geschäftsführer des VIP Medienfonds 3, Andreas Schmid, 2007 wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Schmid hatte versucht, den Fiskus um 203 Millionen Euro zu prellen, indem er beim Finanzamt zu Unrecht „gewinnmindernde Aufwendungen“ geltend machte. Der Angeklagte wusste, dass nur 20 Prozent der Aufwendungen für die Filmproduktion verwendet, aber 80 Prozent zugunsten des Fonds angelegt wurden. Kurioserweise war nicht Schmid selbst Nutznießer der Steuerersparnis. Profitiert haben vielmehr zum größten Teil die Anleger des Medienfonds. Quelle: obs

Andere Gemeinderäte äußerten denn auch durchaus Verständnis – und loben Bartholdi damit für ihren Mut. "Ich würde es gerne genauso machen. Aber ich scheue die rechtlichen Konsequenzen", sagt etwa der Salmsacher Gemeindeamtmann Kurt Helg gegenüber der Zeitung Tagblatt. Thomas Müller, Stadtpräsident von Rorschach, ist gleicher Meinung: "Der mittelalterliche Pranger hatte auch seine Vorteile."

"Mutig" nennt er den Schritt der Egerkinger Gemeindepräsidentin - selbst gehen würde er ihn allerdings ebenfalls nicht. Walter Grob, Gemeindepräsident von Teufen, hält das Vorgehen hingegen für falsch. "Das oberste Gebot für Gemeinden ist es, sich rechtmäßig zu verhalten – und nicht so, wie sie es vielleicht gerne möchten", sagte er dem Tagblatt.

Die Website Blick.ch hat eine Umfrage unter Schweizer Gemeinden und Städten gemacht, um zu erfahren, wie hoch die Verluste durch Steuerverweigerer sind. In der Regel geht den Stadt- und Gemeindekassen bis zu ein Prozent der Steuereinnahmen so durch die Lappen. In Luzern, Aargau und Zürich sind dies demnach pro Jahr Steuerausfälle von jeweils 20 Millionen Franken. In St. Gallen fehlen sogar 65 Millionen Franken am Jahresende in der Kasse. Dort fehlen sogar 3,2 Prozent der Vermögens- und Einkommensteuern. Aber auch wenn der Steuerpranger vielleicht nützen würde, will die Finanzdirektion dieses Mittel nicht einsetzen. Vizedirektor Hubert Hoffmann hält das für „rechtlich mehr als fragwürdig.“

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