Julius Reiter im Interview "Stets eine Vielzahl geschädigter Anleger"

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WirtschaftsWoche Top-Kanzleien

Wann entscheiden Sie, ob Sie einen Vergleich anstreben, statt zu klagen?

Wenn die Bank Verhandlungen anbietet, sollte man diese aufnehmen. Vergleichsverhandlungen sind häufig der Königsweg, weil sie auf beiden Seiten die Ressourcen schonen. Stellt sich hinterher im Zuge der Recherchen heraus, dass die Chancen für eine Schadensersatzklage gut sind, kann man die Gespräche immer noch abbrechen, wenn die Bank nicht genug zahlen will. Wir sollten uns als Anwälte aber nicht allein auf das Juristische konzentrieren, sondern die persönlichen Lebensumstände des Mandanten berücksichtigen, bevor wir zu einem Prozess raten.

Ein Beispiel?

Ich kann doch nicht mit einem betagten, gesundheitlich angeschlagenen Rentner bis zum Bundesgerichtshof ziehen – das steht er nervlich nicht durch. Da sind Vergleichsverhandlungen in aller Regel sinnvoller, weil es darum geht, dass der Mandant möglichst schnell finanzielle Planungssicherheit bekommt. Ansonsten würde ich meinen Ehrgeiz auf dem Rücken des Mandanten austragen, nach dem Motto: Operation gelungen, Patient tot.

Die Bundesregierung will jetzt den Anlegerschutz stärken und Beweiserleichterungen für Sparer einführen, die sich falsch beraten fühlen. Werden die Pläne für eine substanzielle Verbesserung sorgen?

Dass die Regierung Banken verpflichten will, Beratungsgespräche zu protokollieren, ist ein Schritt in die richtige Richtung – aber mehr auch nicht.

Was fordern Sie?

Wir brauchen eine vollständige Umkehrung der Beweislast. Das heißt: Wenn sich ein Fonds oder ein Zertifikat als Verlustbringer erweist, sollte die Bank beweisen müssen, dass sie korrekt beraten hat. Denn machen wir uns nichts vor: Es wird sich nur etwas ändern, wenn Falschberatung für die Banken richtig teuer wird. Wenn nicht, sind die nächsten Skandale à la Lehman nur eine Frage der Zeit. Wirksame Haftungsvorschriften wären für die Sicherung des Vermögens der privaten Altersvorsorge wichtiger als alle Riester- und Rürup-Programme zusammen.

Warum tut sich die Politik Ihrer Meinung nach so schwer?

Die Banken haben es bisher durch geschickte Lobbyarbeit geschafft, Haftungsregeln zu verhindern. Ein solches Privileg gibt es in keinem anderen Wirtschaftsbereich. Denken Sie an das Produkthaftungsrecht in der Automobilindustrie und die Rückrufaktionen. Wenn die Wasserpumpe eines Wagens defekt ist, kann ein Autoverkäufer doch auch nicht sagen: Da hab ich nichts mit zu tun, wenden Sie sich an den Wasserpumpenhersteller. Nein, der Verkäufer hat das Auto geprüft, für gut befunden und verkauft – und muss deshalb auch für Mängel geradestehen. Für Banken sollte nichts anderes gelten.

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