Juristisches Gutachten zum Negativzins Minuszinsen sind eine versteckte Steuer – und damit illegal

Negativzinsen werden die Europäer wohl noch länger begleiten Quelle: imago images

Deutschlands Banken und vermehrt auch Sparer ächzen unter den Negativzinsen. Dabei seien die illegal und müssten vor Gericht angefochten werden, sagt der Hamburger Jurist Kai-Oliver Knops. Es geht um viele Milliarden.

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Kai-Oliver Knops ist Professor für Zivil- und Wirtschaftsrecht an der Universität Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Bank-, Kapitalmarkt- und Verbraucherrecht. Am 1. Oktober hat er gemeinsam mit dem Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Schirp ein juristisches Gutachten zum Negativzins vorgestellt.

In einem gerade vorgestellten Gutachten kommen Sie zu dem Schluss, dass Negativzinsen illegal seien. Was hat Sie davon überzeugt?
Es gibt nicht nur ein Problem, sondern sogar eine ganze Reihe an schwerwiegenden Einwendungen. Das beginnt dabei, wie die EZB-Ratsbeschlüsse formell zustande gekommen ist: Hätten bei so schwerwiegenden Entscheidungen nicht EU-Parlament oder -Kommission angehört werden müssen? Zudem müssen solche Rechtsakte laut Rechtsprechung formell begründet werden – wurden sie aber nicht. Hinzu kommen sogenannte materielle Einwendungen: Was darf die EU? Die Mitgliedstaaten legitimieren die EU für ganz bestimmte Bereiche, in denen die EU tätig werden darf. Die Negativzinsen gehen aber darüber hinaus.

Inwiefern?
In Wirklichkeit handelt es sich noch nicht einmal um Zinsen, es ist ja keine Vergütung für Kapital. Es sind auch keine Strafzinsen, wie die Presse gerne schreibt, denn dabei geht es um Sanktionen für nicht eigehaltene Verpflichtungen. Es ist eine Art versteckte Steuer, der richtige Begriff wäre „sonstige Abgabe“. Und für solche Abgaben sind allein die Mitgliedstaaten zuständig, nicht aber die Europäische Union. Und damit auch nicht die EZB. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht gewahrt worden. Eigentumsrechte werden massiv verletzt; Rechtsstaatsgarantien nicht gewahrt. Und das ist nur die EU-Ebene, dann kommen noch die Ebene der Nationalstaaten. In Deutschland etwa bedarf es eines Gesetzes, wenn Banken gegenüber neue Abgaben eingeführt werden. Dabei müssen die Eigentumsrechte gewahrt bleiben. Wenn wir all das hätten, könnte man ganz eventuell über eine solche Abgabe nachdenken. Haben wir aber nicht.

von Benedikt Becker, Malte Fischer, Martin Gerth, Dieter Schnaas, Christof Schürmann, Cornelius Welp

Wieso sind Sie gerade jetzt an die Öffentlichkeit gegangen? Was wollen Sie erreichen?
An dem Gutachten habe ich – mit sehr vielen Unterbrechungen – schon lange gearbeitet. Wenn die Banken der 19 Euro-Länder diese Abgabe nicht schulden, dann können die Kosten auch nicht auf die Kunden umgelegt werden. Davon profitieren besonders deutsche Sparer.

Wenn die Negativzinsen wirklich illegal sind, wer könnte sie jetzt aufhalten? Die Bundesbank? Die EZB? Sie?
Dass die EZB ihre eigenen Maßnahmen zurückzieht, ist ausgeschlossen. In den Zentralbanken ist die Negativzinspolitik hingegen nicht unumstritten, auch wenn sie diese im Gesamtpaket mit beschlossen haben. Ich glaube auch nicht, dass die Bundesbank sehr unglücklich wäre, wenn sie die Beträge von den Banken nicht mehr einkassieren müsste. Entscheidend wäre jedoch, dass jetzt eine Bank oder ein Bankenfachverband den Leitzins gerichtlich überprüfen lässt.

Für wie realistisch halten Sie das?
Durchaus für realistisch. Dass sich ein einzelnes Institut gegen die Bundesbank stellt – oder ein niederländisches gegen die niederländische Zentralbank und so weiter –, ist eher unwahrscheinlich. Aber dass ein Bankenfachverband die Last trägt, wieso eigentlich nicht? Die Branche wird schwer belastet, mit etwa 7,5 Milliarden Euro im Jahr. Laut Bundesbank haben allein deutsche Banken allein 2018 etwa 2,4 Milliarden Euro durch Negativzinsen verloren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Banken jetzt die Hände in den Schoß legen und nichts dagegen tun – das können sie auch ihren Aktionären oder anderen Anteilseignern gegenüber nicht verantworten.

Wenn die Banken klagen würden und Recht bekämen, würden sie dann das Geld wiederbekommen?
Selbstverständlich.

von Karin Finkenzeller, Malte Fischer, Julian Heißler, Stefan Reccius, Christof Schürmann, Silke Wettach

Wie viel? Besagte 2,4 Milliarden Euro für die deutschen Banken?
Wahrscheinlich sogar mehr. Ich denke, es würde zumindest das Geld der letzten drei Jahre zurückgeben und zwar aus dem Kapital der EZB.

Hätte das auch Auswirkungen für den Sparer oder Kleinanleger?
Ja. Die Banken müssten aufhören zu versuchen, diese Kosten auf ihre Kunden umzulegen.

Wenn die Banken doch nicht klagen, kann ich als Einzelsparer dann gegen die EZB vor Gericht ziehen?
Nein, es muss eine betroffene Bank sein, die zu einem solchen Entgelt herangezogen wurde.

Also ist ihr Gutachten letztlich auch ein Appell an die Banken, tätig zu werden.
Ja, selbstverständlich. Negativzinsen sind ja nicht nur politisch umstritten, sondern auch ökonomisch schädlich

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