Musterverfahren Tag-X im Telekom-Prozess

17.000 Aktionäre gegen die Deutsche Telekom - im Musterprozess steht der entscheidende Verhandlungstag bevor. Die Chancen auf Schadenersatz für die Anleger sind inzwischen wieder gestiegen.

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Sie war einst die Volksaktie - als die Telekom an die Börse ging war das ein Ereignis, das die Deutsche Gesellschaft über die Börsenkreise hinaus beschäftigte. Aber die Erfolggeschichte bekam Risse, die Aktie stürzte ab und notiert heute bei nur noch 8,70 Euro. Nun nähert sich das Musterverfahren für 17.000 Anleger, die die Telekom auf Schadenersatz verklagt haben, dem Ende. Quelle: dpa

„Alle Fakten liegen auf dem Tisch. Das ist die entscheidende mündliche Verhandlung“, sagt Rechtsanwalt Andreas Tilp. Seine Kanzlei aus Kirchentellinsfurt bei Tübingen vertritt den Musterkläger gegen die Deutsche Telekom. In dem Musterverfahren soll geklärt werden, ob die Deutsche Telekom im Börsenprospekt zu ihrer dritten Aktienplatzierung im Juni 2000, bezeichnet mit dem Kürzel DT3, Risiken verschwiegen und mit unrichtigen Angaben die Aktionäre getäuscht hat. Das Ergebnis des Verfahrens hat unmittelbare Auswirkungen auf die Klagen von 17.000 Telekom-Aktionären, die den Konzern auf Schadenersatz verklagt haben.

Das Musterverfahren zieht sich seit geraumer Zeit: der erste Verhandlungstag war im April 2008, die letzte mündliche Verhandlung hat am 15. Dezember 2010 stattgefunden. Es war der 16. Verhandlungstag, noch dazu unter neuem richterlichen Vorsitz durch Birgitta Schier-Ammann, die nach einjähriger Verfahrenspause die Aufgabe übernahm, weil ihr Vorgänger in den Ruhestand ging. Und am Ende diese 16. Verhandlungstages sah es eher schlecht für die 17.000 Kläger aus. Seither gingen nur noch Schriftsätze hin und her. An diesem Mittwoch, 25. Januar, ist die voraussichtlich letzte mündliche Verhandlungstag im Musterprozess.

Die anfangs zentralen Vorwürfe des Klägers, die Telekom habe in ihrem Verkaufsprospekt ihre Immobilien zu hoch bewertet und die Übernahme des US-Mobilfunkanbieters Voicestream zu spät bekanntgegeben, waren am letzten Verhandlungstag von der Richterin recht deutlich zurückgewiesen worden. Nur zwei erst nachträglich erhobene Vorwürfe muss das Gericht noch prüfen. Sie sind das zentrale Thema der morgigen Verhandlung. Rechtsanwalt Tilp sieht in diesen offenen Punkten jedoch den Wendepunkt für die Kläger und rechnet sich gute Chancen aus, den Prozess doch noch zu gewinnen.

Es geht einerseits um den Vorwurf, die Telekom habe in ihrem Börsenprospekt von einem „Verkauf“ der US-Tochter Sprint im Volumen von 8,2 Milliarden Euro geschrieben. Tatsächlich hat die Deutsche Telekom ihre Tochter Sprint laut Richterin Schier-Ammann nicht verkauft, sondern innerhalb des Konzerns umgehängt, es sei demnach eine „Einbringung“. Von den 8,2 Milliarden Euro, mit denen die Transaktion seinerzeit bewertet wurde, musste die Telekom später Wertberichtigungen im Volumen von 6,6 Milliarden Euro vornehmen. Somit verblieben von den 8,2 Milliarden Euro nur 1,6 Milliarden Euro in der Telekom-Bilanz.

Bis zu 90 Millionen Euro Schadensersatz

„Wäre in dem Verfahren nicht auch der Staat involviert, hätte man sich längst durch Vergleich geeinigt“, schätzt Anwalt Tilp Quelle: dpa

Andererseits geht es um einen Vorwurf, der erst am 29. November 2011 per Erweiterungsbeschluss Gegenstand des Verfahrens wurde und der eine noch größere Tragweite hat: Zwar sind sämtliche Erlöse aus der Aktienplatzierung DT3 an den Bund geflossen, da es dessen Aktien waren, die an die Börse kamen. Zugleich aber übernahm die Telekom auch sämtliche mit diesen Aktien verbundenen Risiken, ohne dafür eine Ausgleichszahlung vom Staat zu erhalten. Diese „globale Übernahme“ der Prospekthaftung durch die Deutsche Telekom ist selbst Gegenstand eines Rechtsstreits zwischen dem Konzern und dem Bund sowie der KfW, der derzeit vor dem Oberlandesgericht Köln verhandelt wird. Ende Mai hatte der Bundesgerichtshof (BGH) dazu entschieden, dass diese Übernahme des Haftungsrisikos ohne Kompensation durch Bund oder KfW ein klarer Verstoß gegen das Aktiengesetz war „Unserer Auffassung nach waren diese Risiken 13 Milliarden Euro schwer, insbesondere aufgrund der Haftungsrisiken in den USA“, sagt Tilps Anwaltskollege Peter Gundermann. „Dieses Risiko hat die Telekom den Zeichnern der dritten Aktientranche verschwiegen.“

Sollte morgen der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Frankfurt der Argumentation der Kläger folgen, könnte es – vermutlich zu einem späteren Verkündungstermin – feststellen, dass der Börsenprospekt zu DT3 falsch war. Der BGH müsste dieses Urteil vermutlich noch bestätigen. Aber dann stünde fest, dass die 17.000 klagenden Telekom-Aktionäre irgendwann Geld zurück bekämen.

Insgesamt geht es um ein Schadenersatzvolumen von 80 bis 90 Millionen Euro. „In der heutigen Zeit täte ein solcher Betrag der Telekom nicht weh, zumal sie auch den Bund in Regress nehmen könnte“, sagt Tilp. „Wäre in dem Verfahren nicht auch der Staat involviert, hätte man sich längst durch Vergleich geeinigt“, schätzt er. Nach Ansicht des Tübinger Anwalts hat das Verfahren auch weniger eine wirtschaftliche, denn eine politische und juristische Dimension. Das Musterverfahren bekommt erstmals Praxisrelevanz – und dann gleich für die Rekordzahl von 17.000 Klägern in einem Zivilprozess.

Morgen um 10 Uhr startet also das Showdown im Gerichtsgebäude D auf der Frankfurter Zeil im Musterverfahren statt - mehr als sieben Jahre nach der ersten Verhandlung. Und noch immer warten hunderte Klagen von Aktionären der ersten beiden Börsengänge der Deutschen Telekom auf ein Gerichtsurteil.

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