Neue Ifo-Studie Hartz-IV-Reform könnte 290.000 Menschen in Arbeit bringen

Hartz IV: Reform könnte laut Ifo 290.000 Arbeitsplätze schaffen Quelle: Fotolia

Für viele Niedrigverdiener lohnt es sich nicht zu arbeiten, zumindest nicht finanziell. Wie das geändert werden könnte, hat nun das Ifo-Institut errechnet – und stellt bis zu 290.000 neue Jobs in Aussicht.

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Arbeit muss sich lohnen – das ist nicht nur ein Slogan, sondern für viele Menschen am unteren Rand der Einkommensskala Realität. Für sie lohnt sich Arbeit eben nicht: Da Sozialleistungen wegfallen, haben sie mit einem Job im Zweifel weniger Geld als ohne.

Wie sich das ändern könnte, hat das Münchner Ifo-Institut nun im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung errechnet. Dafür rechneten die Wissenschaftler Maximilian Blömer und Andreas Peichl zehn verschiedene Reformmodelle durch. Ihr Ergebnis: Je nach Modell ließen sich zwischen 95.000 und 290.000 neue Jobs schaffen – und das ohne nennenswerte Mehrkosten. „Die neuen Jobs sorgen langfristig sogar für Investitions- und Entlastungsspielräume“, schreiben die Experten und bilanzieren: „Armut und Ungleichheit werden gedämpft.“

Was die Modelle so günstig macht, ist, dass früher Abgaben gezahlt werden müssen. Kleinst- und Mini-Jobs, für die heute keine beziehungsweise kaum Abgaben anfallen, werden damit schlechter gestellt. Dafür sollen mehr sozialversicherungspflichtige Jobs entstehen. Zudem steigt die Abgabenlast langsamer an und es gäbe auch für höhere Einkommen Sozialtransfers, die diese heute nicht bekommen.

Die Modelle im Detail

Modelle 1 und 2: Stufenweise sinkende Grenzbelastung
Die ersten zwei Reformmodelle der Ifo-Experten sehen eine sinkende Grenzbelastung bei steigenden Einkommen vor. Je mehr jemand verdient, desto mehr darf er also netto von seinem zusätzlichen Einkommen behalten. Dennoch ist die Grenzbelastung in beiden Modellen zu Beginn sehr hoch: So dürfen nur zehn Cent von jedem verdienten Euro bis 300 Euro behalten werden, der Rest wird durch wegfallende Sozialleistungen nivelliert.

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Modelle 3 und 4: Erst gar nichts, dann Stufen
In zwei folgenden Modellen ersetzt bis 250 beziehungsweise 450 Euro das neue Gehalt sogar zu 100 Prozent die Sozialleistung. Wer arbeitet, hat also nicht mehr Geld als vorher. Je höher die Einkommen werden, desto mehr Geld darf jedoch behalten werden bis zu einer finalen Grenzbelastung von 60 Prozent.

Modelle 5 und 6: Freibetrag beziehungsweise -grenze in der Mitte
Auch die Modelle fünf und sechs sehen eine Grenzbelastung von 100 Prozent bis zu einem Einkommen von 450 Euro vor. Wer also bis 450 Euro verdient, dessen Einkommen ersetzt eins zu eins die vorherigen Sozialtransfers. Danach greift in diesen beiden Modellen jedoch ein Freibetrag beziehungsweise eine Freigrenze von 100 Euro, bis schließlich wieder die Grenzbelastung von 60 Prozent zum Tragen kommt.

Modell 7: Eltern gegen Kinderlose
Modell sieben orientiert sich ebenfalls an der Einkommensgrenze von 450 Euro, macht jedoch einen Unterschied zwischen Menschen mit und Menschen ohne Kindern. Wer keine Kinder hat, müsste demnach bis 450 Euro eine Belastung von 100 Prozent in Kauf nehmen, bei Eltern wären es nur 80 Prozent. Danach griffen wieder die 60 Prozent.

Modell 8: Flatrate
Das einfachste Szenario: Jeder schultert bei jedem Einkommen eine Grenzbelastung von 70 Prozent.

Modelle 9 und 10: Erst Freibetrag, dann Last
Die letzten beiden vorgeschlagenen Modelle sind dem Status Quo am ähnlichsten. Sie sehen für niedrigste Einkommen bis 100 Euro einen Freibetrag vor. Danach greifen bei Modell neun wieder 70 Prozent Grenzbelastung. Modell zehn sieht Stufen vor: 80 Prozent bis 400 Euro, 70 Prozent bis 700 Euro, dann 60 Prozent.

Die Ergebnisse: Was ändert sich für den Einzelnen und den Arbeitsmarkt?

Für den einzelnen Menschen würde sich mit den neuen Modellen gar nicht so viel ändern. Am meisten Einbußen müssten naturgemäß Beschäftigte mit Niedrigsteinkommen in Kauf nehmen, da bei den Modellen eins bis acht der Freibetrag von 100 Euro wegfällt. Größer als 100 bis maximal 120 Euro pro Erwachsenem sind die Einbußen laut Ifo jedoch in keinem der Modelle.

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Was den Arbeitsmarkt angeht, so würde gemäß der Mikrosimulation der Ifo-Experten Modell zehn mit Freibetrag und danach folgenden Stufen zu den höchsten Beschäftigungseffekten führen. Hier würden demnach knapp 290.000 Menschen zusätzlich einen Job aufnehmen. Auch Modell sechs mit Freigrenze und Stufen bringt demnach signifikant mehr Jobs, nämlich 215.000.

Vergleichsweise gering ist der Beschäftigungseffekt hingegen bei Modell vier, wo die Grenzbelastung bis 450 Euro bei 100 Prozent liegt. Hier würden den Berechnungen zufolge nur 95.000 Menschen einen neuen Job aufnehmen.

Ohnehin lassen diese Zahlen einen wichtigen Fakt unberücksichtigt: Könnte sich eines der Ifo-Modelle durchsetzen, würden vor allem Männer davon profitieren. So würden in allen Szenarien mindestens dreimal so viele Männer wie Frauen einen neuen Job aufnehmen. In Modell vier, dass ja ohnehin nur 95.000 neue Beschäftigungsverhältnisse schafft, würden gerade einmal 4000 Frauen profitieren.

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