




Den Lebensabend dort verbringen, wo andere nur Urlaub machen – immer mehr Deutsche wollen ihre Rente in wärmeren Gefilden, mit fremdländischer Kultur und mit mehr Lebensqualität genießen. Mittlerweile leben etwa 226.000 deutsche Ruheständler im Ausland. Ihre Zahl ist im vergangenen Jahr um 1,7 Prozent gestiegen. Allein die Hälfte davon lebt im europäischen Ausland. Besonders beliebt: die Schweiz, gefolgt von den USA, Österreich, Spanien und Frankreich.
Nicht wenige dieser Rentner wählen ihren Altersruhesitz im Ausland auf Dauer – und werden voraussichtlich auch dort sterben. Hinzu kommt, dass immer mehr deutsche Staatsbürger über lange Zeit im Ausland leben oder arbeiten. Damit steigt auch die Zahl deutscher Staatsbürger, die außerhalb der deutschen Staatsgrenzen zu Tode kommen.





Wenn es dann um die Aufteilung des Erbes geht, galt bis vor kurzem das Staatsangehörigkeitsprinzip, nach dem das Erbrecht des Landes greift, dessen Staatsangehörigkeit der Verstorbene hatte. Verstarb ein deutscher Staatsbürger etwa an seinem französischen Wohnort, fand bei der Nachlassaufteilung nach deutscher Rechtsauffassung auch deutsches Erbrecht Anwendung. Das Problem: Oft bestand zwischen den Staaten Uneinigkeit darüber, welches nationale Erbrecht Vorrang hat.
Lothar Siemers, Leiter des Bereichs Private Client Solutions beim Beratungsunternehmen PwC, spricht davon, dass zehn Prozent aller Erbschaften in der Europäischen Union grenzüberschreitend sind, rund 450.000 Fälle jährlich. Dabei würden Vermögen im Volumen von 123 Milliarden Euro übertragen. „Dabei kollidieren immer wieder verschiedene Rechtsordnungen“, so Siemers.
Hatte beispielsweise der in Frankreich Verstorbene auch Immobilienbesitz vor Ort, sollte dafür das französische Erbrecht gelten. So verlangten es die Gesetze Frankreichs. Juristen sprechen dann von einer Nachlassspaltung, die für erhebliche Rechtsunsicherheit sorgte. Allein Klärung der Frage nach dem anzuwendenden Erbrecht bedeutete langwierigen Papierkrieg und lange Verfahrensdauern.
Lebensmittelpunkt entscheidet über Erbrecht
Damit ist nun innerhalb der Europäischen Union Schluss. Für all jene, die in eins der europäischen Nachbarländer auswandern oder dauerhaft dort wohnen, gibt es seit Mitte August eine einheitliche Regelung, das neue EU-Erbrecht für Länder der Europäischen Union. Lediglich Großbritannien, Irland und Dänemark wenden es nicht an. Laut neuem EU-Erbrecht gilt nicht länger das Staatsangehörigkeitsprinzip, sondern das Wohnsitzprinzip. Demnach gilt bei Todesfällen im EU-Ausland grundsätzlich das Erbrecht des Staates, in dem der Verstorbene seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hatte. Darunter verstehen Juristen den Ort, an dem der Erblasser seinen Lebensmittelpunkt hatte – mit familiären, sozialen und beruflichen Bindungen. Dabei wird regelmäßig unterstellt, dass der Verstorbene zumindest für sechs Monate sein Auslandsdomizil bewohnt hat.
Für Erbschaftsfälle hat das einen großen Vorteil: Selbst wenn das Vermögen des Erblassers über mehrere EU-Staaten verteilt ist, findet nur noch ein Gesetzeswerk für die Erben Anwendung – und zwar das desjenigen Staates, in dem der Verstorbene seinen Lebensmittelpunkt hatte. Es gibt nur ein zuständiges Nachlassgericht, was etwa die Anerkennung von Erbscheinen, Urkunden oder dem Testament deutlich vereinfacht und schneller Verfahren ermöglicht.
An dieser Stelle endet die Rechtseinheit allerdings auch schon wieder. Denn die gesetzlichen Vorschriften im Erbrecht unterscheiden sich von Land zu Land mitunter deutlich. Das kann beispielsweise dazu führen, dass ein zuvor gemachtes Testament keine Rechtswirkung erlangt oder das Erbe aufgrund anderer Pflichtteilsregelungen ganz anders aufgeteilt wird, als zuvor beabsichtigt. Weitere unliebsame Überraschungen drohen auch bei Nachfolgeregelungen in Gesellschaftsverträgen, wenn das Erbrecht eines anderen EU-Landes greift.