Die Schweizer Sonntagszeitung nennt es das größte Datenleck der Wirtschaftsgeschichte: Unter dem Schlagwort Offshore-Leaks veröffentlichten am 4. April Medien weltweit erste Erkenntnisse aus einer Enthüllung gigantischen Umfangs. Es geht um nicht weniger als 2,5 Millionen Originaldokumente in digitalisierter Form – das entspricht ungefähr dem Inhalt von einer halben Million Bibeln. Die Datenmenge ist 160mal größer als die von Wikileaks veröffentlichten Diplomatendepeschen aus dem Jahr 2010. Die Dokumente belegen, wie insgesamt 130.000 Reiche und Kriminelle aus mehr als 170 Ländern ihr Geld in Steueroasen verstecken, wer hinter 122.000 Briefkastenfirmen auf diversen Pazifikinseln steckt und wie Anwälte und Banken als Strohmänner und Erfüllungsgehilfen agieren, damit die Inhaber der Reichtümer geheim bleiben. Die von der deutschen Regierung mehrfach erworbenen CDs mit Steuerdaten, die Informationen über tausende Steuersünder beinhalten, sind im Vergleich dazu ein Witz.
Schon vor mehr als einem Jahr hatte das internationale Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) anonym eine Festplatte mit den brisanten Daten zugespielt bekommen und aufgrund der schier unüberschaubaren Datenmenge diese nach einer ersten Auswertung an 36 Partnermedien in 46 Ländern weitergegeben. In Deutschland durften so die Süddeutsche Zeitung und der NDR exklusiv an der Auswertung teilnehmen. Unter anderen liegen die Daten auch dem britischen Guardian sowie der BBC vor, der französischen Zeitung Le Monde, der amerikanischen Tageszeitung Washington Post sowie der bereits erwähnten Sonntagszeitung aus der Schweiz.
Welche Strafen Steuertricksern drohen
Hier wird in der Regel eine Geldstrafe verhängt, die in etwa einem Jahresnettoeinkommen des Steuerpflichtigen entspricht.
Die Strafverfolgungsbehörden ermitteln die Geldstrafe nach so genannten Tagessätzen. Der Geldbetrag für einen Tagessatz soll dem Tagesnettoeinkommen entsprechen.
Hat jemand ein Jahreseinkommen von 50.000 Euro brutto und Abzüge von 20.000 Euro für Steuern, Versicherungen und ähnlichem, so wäre der Tagessatz 82 Euro (gerechnet: 30.000:365).
Bei einer Hinterziehung von 10.000 Euro werden in der Regel 365 Tagessätze verhängt. Das bedeutet im Beispielsfall 365x82 = 29.930 Euro. Die Geldstrafe läge also bei rund 30.000 Euro.
Bei hohen Einkommen kann laut Experten die Strafe durchaus höher als die hinterzogene Steuer sein. Schließlich soll sich Steuerhinterziehung ja nicht lohnen.
Bei 20.000 Euro kommt man zu rund 440 Tagessätzen. Die Strafe läge im Beispielsfall dann 36.080 Euro.
Es ist bekannt, dass in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich streng bestraft wird. Eine interne Tabelle weist dies nach. Insofern gelten die hier genannten Strafrahmen nicht absolut, sondern sind lediglich Faustregeln.
Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Az. 1 StR 525/11) ist die Chance, auch bei schweren Steuervergehen um eine Haftstrafe herumzukommen, deutlich gesunken. Die Karlsruher Richter haben mit ihrer Entscheidung ein Urteil des Landgerichts Augsburg kassiert, das einen Unternehmer wegen 1,1 Millionen Euro hinterzogener Steuern nur zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt hatte. Dieses Strafmaß sei zu gering, entschied der BGH. Das Urteil liegt im Trend, glaubt Martin Wulf von der auf Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Streck Mack Schwedhelm: „In der Tendenz ziehen die Sanktionen an“, sagt der Jurist.
Die Daten zu Scheinfirmen,. Stiftungen, Treuhandgesellschaften - sogenannten Trusts - und Scheindirektoren sowie den eigentlichen Gründern und Begünstigten der Firmengeflechte stammen von zwei führenden Finanzdienstleistern weltweit, wenn es um die Errichtung von Offshore-Gesellschaften geht: Portcullis Trustnet mit Stammsitz in Singapur und Commonwealth Trust Limited (CTL) auf den British Virgin Islands in der Karibik.
Die Daten bieten neben den Namen prominenter Geldverschieber wie dem bereits verstorbenen Millionenerben Gunter Sachs, dem russische Oligarchen Michail Fridman, den Rothschilds oder Imee Marcos, der ältesten Tochter des einstigen philippinischen Diktators Ferdinand Marcos, einen tiefen Einblick in die Methoden, mit denen die großen Vermögen in den Steuerparadiesen verborgen und ihre Urheber geheim gehalten werden. Die Scheinfirmen sind demnach überwiegend in autonomen Inselstaaten angesiedelt. Die Enthüllungen offenbaren eine Dienstleistungsindustrie von einem Ausmaß, das wohl kaum jemand erwartet hätte.
Oasen mit Verschwiegenheit
Banken betätigten sich demnach auch gerne als Geburtshelfer von Briefkastenfirmen und Stiftungen. Ganz vorne mit dabei: die Schweizer Großbanken UBS und Credit Suisse sowie die Deutsche Bank. Den Recherchen zufolge ist die UBS in 2900 Gesellschaften in Steueroasen involviert, bei der Credit Suisse sollen es rund 700 sein. Aber auch die US-Bank JP Morgan sowie nahezu alle anderen Großbanken sollen in den Daten zu finden sein.
Wann Steuerstraftaten verjähren
Steuerstraftaten verjähren grundsätzlich nach fünf Jahren. Die Verjährung beginnt mit Beendigung der Tat, also in der Regel mit Ergehen des betreffenden Steuerbescheides. Danach kann der Steuersünder nicht mehr bestraft werden, auch wenn die Tat entdeckt wird.
Als Folge aus der Liechtenstein-Steueraffäre haben die Politiker mit dem Jahressteuergesetz 2009 die strafrechtliche Verjährungsfrist für besonders schwere Fälle von Steuerhinterziehung bereits von 5 Jahren auf 10 Jahre verlängert.
Mit der Steuernachzahlung ist jedoch anders. Bei der Steuerfestsetzung geht es um die Frage, wie lange das Finanzamt noch Steuernachzahlungen fordern kann. Die Festsetzungsverjährung beträgt bei einer Steuerhinterziehung zehn Jahre. Die Festsetzungsverjährung ist unabhängig von der Strafverfolgungsverjährung. Das bedeutet, dass Steuern gegebenenfalls auch ohne strafrechtliche Verfolgung noch nachgezahlt werden müssen.
Die Deutsche Bank hatte nach Angaben von SZ und NDR zumindest bis ins Jahr 2010 in 309 Firmen und Trusts ihre Finger im Spiel, überwiegend auf den Jungferninseln. Sie soll über ihre Niederlassung in Singapur die Dienste von Portcullis Trustnet genutzt haben, um für Privatkunden Gelder in die Steuerparadiese zu verlagern. Auf ihrer Webseite www.dboffshore.com wirbt das deutsche Spitzeninstitut mit Finanzdienstleistungen auf den Cayman Islands, den Kanalinseln und Mauritius. Insbesondere auf Mauritius seien die Rahmenbedingungen stabil und das Umfeld „steuerneutral“. Die Deutsche Bank unterhält angeblich auch eine Tochtergesellschaft namens Regula Limited auf den British Virgin Islands zur Betreuung dieser Firmen.
Der Bundesverband deutscher Banken bestreitet gegenüber der WAZ-Mediengruppe eine Mitverantwortung der Geldinstitute. Banken fehlten hoheitliche Befugnisse, die Steuerehrlichkeit ihrer Kunden zu überprüfen. „Es ist daher nicht richtig, die Banken hierfür an den Pranger zu stellen.“ Weiter sagte Verbandspräsident Andreas Schmitz: „In erster Linie sind es Privatpersonen und Organisationen, die ihr Geld in den Steueroasen anlegen.“ Banken könnten bei diesen Transaktionen die Steuerehrlichkeit der Kunden nicht überprüfen, weil ihnen die Befugnisse dazu fehlten.
In den Steueroasen winken Investoren nicht nur Steuervorteile, sondern vor allem Verschwiegenheit. Die Insel- und Kleinstaaten geben ohne direktes Steuerabkommen mit dem Ausland weder die Namen von Gründern noch Begünstigten der Scheinfirmen und Trusts heraus. Das können Kunden zu verschiedenen Zwecken nutzen, die von eindeutig illegal bis rechtlich unbedenklich reichen: Steuerhinterziehung, Geldwäsche kriminell erworbener Vermögen, die preiswerten Vermögensverwaltung von Stiftungen bis hin zur Nutzung von Steuervorteilen, etwa bei der Kapitalbesteuerung. Die UBS gibt auch zu, sich der externen Dienstleistung von Portcullis Trustnet zu bedienen, will dies aber nicht mit Ziel der Steuerhinterziehung gleichgesetzt wissen. Beobachter und Experten sind sich jedoch einig, dass darin ein Hauptmotiv der Kunden zu suchen ist.
Besonders populär ist Nutzung dieser Konstrukte offenbar in Großbritannien: Mehr als 175.000 im Vereinigten Königreich registrierte Unternehmen haben einen Geschäftsführer mit Sitz in einer der Steueroasen. Nach Informationen von The Guardian sind davon im britischen Handelsregister noch 60.000 Unternehmen als aktiv registriert. Besonders beliebt sind unter diesen britischen Firmen offenbar Briefkastenadressen mit Gerichtsstand auf den British Virgin Islands, aber auch die kleinen Kanalinseln, Zypern, Dubai und den Seychellen. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass es immer um illegale Machenschaften geht, oder dass es sich bei den Firmenchefs nur um Strohmänner handelt. Erst im November vergangenen Jahres, hatte die britische Zeitung 28 Scheinchefs dokumentiert, von denen jeder hunderten oder gar tausenden Unternehmen vorstand – darunter 8900 in Großbritannien registrierte Firmen, deren wahre Inhaber so verschleiert wurden. Nun zeigt sich, dass es sich nur um die Spitze eines Eisbergs handelte.
Fehlende Beschränkungen
Dabei ist die Gründung einer Stiftung oder Briefkastenfirma nach Recherchen des Guardian mit dem nötigen Kleingeld eine simple Sache. Es braucht nur drei Beteiligte: Einen Gründer, einen Treuhänder und einen Begünstigten. Damit die eigentlichen Eigentümer hinter den Scheinfirmen unerkannt bleiben, sind üblicherweise nur drei Dokumente nötig:
- Erstens eine Einverständniserklärung des Strohmannes, der als offizieller Chef der Briefkastenfirma gilt. Damit erklärt der Scheindirektor, dass er nur auf Anweisung der begünstigten Eigentümer handelt.
- Zweitens eine Handlungsvollmacht, die dem tatsächlichen Eigentümer die vollständige Kontrolle über die Gesellschaft zurück überträgt. Diese Vollmacht wird ebenso wie die Einverständniserklärung streng geheim gehalten. Die vertraulichen Dokumente sind darauf ausgelegt, die Privatsphäre des Kunden zu schützen, also seine Identität geheim zu halten.
- Drittens eine bereits unterschriebene, aber noch undatierte Rücktrittserklärung des Scheindirektors. Sie dient dazu, den Strohmann bei Schwierigkeiten mit der Justiz aus der Haftung zu nehmen.
Im Fall der britischen Scheinfirmen und Scheindirektoren ist dieses Vorgehen offenbar gängige Praxis. Aber auch der von der SZ detailliert recherchierte Fall des Industrieerben Gunter Sachs beschreibt die relativ einfache Vorgehensweise. Demnach belegen die Offshore-Leaks-Dokumente, wie Sachs mit Hilfe einiger Berater ein ganzes Firmengeflecht auf den Cook-Inseln aufbaute und sich dabei insbesondere um Geheimhaltung seiner Identität bemühte. Den Recherchen zufolge haben Anwälte in Sachs‘ Auftrag etwa einfach per Fax eine Gesellschaft namens Triton Limited auf den Cook-Inseln angemeldet. Für nur 2700 Dollar erhielten die Anwälte daraufhin ein „Company Kit“, eine Art Starterset für die Gründung einer Briefkastenfirma. Die Briefkastenfirmen – später kam noch eine weitere hinzu – verwalteten als Treuhänder fünf Trusts, in die Sachs Teile seines Vermögens steckte. Verwalter und Treuhänder war der Anwalt, der auch die Firmen angemeldet hatte. Begünstigte der Trusts waren die drei Söhne von Gunter Sachs, sowie in zwei Fällen er selbst. Nötige Unterschriften auf den Cook-Inseln ließ Sachs durch seinen bevollmächtigten Privatsekretär leisten.
Politik muss handeln
Banken können hier ohne weiteres die Rolle des Sachs-Anwalts oder anderer Vertrauter und Strohmänner einnehmen. Das Geschäftsmodell der Steueroasen macht es Steuerbetrügern und Kriminellen allerdings auch ohne Hilfe der Banken viel zu einfach, ihren Reichtum zu verstecken und zu mehren. Ohne Beschränkungen und Informationspflichten für Banken und Anwaltsfirmen, die die Geldtransfers in die Steuerparadiese organisieren, wird sich dieser Wildwuchs kaum eindämmen lassen – auch wenn die in Offshore-Leaks geschilderten Fälle nur bis zum Jahr 2010 reichen und seitdem von Regierungen und Staatengemeinschaften massiv Druck auf die Steueroasen aufgebaut wurde. Teilweise mit Erfolg: Einstige Anlaufstellen für Steuerbetrüger und verschwiegene Reiche wie Liechtenstein oder die Schweiz machen es den Steuerflüchtigen heute deutlich schwerer.
Dennoch: Das internationale Netzwerk für Steuerrecht, Tax Justice Network, vermutet aufgrund einer Studie aus dem Jahr 2012 die gigantische Summe von 17 bis 25 Billionen Euro, die in Steueroasen gebunkert werden. Weltweit gingen so jährlich 148 Milliarden Euro an Steuergeldern verloren. Die deutsche Steuergewerkschaft vermutet in Steueroasen ein Vermögen von rund 400 Milliarden Euro von deutschen Steuerflüchtigen.
Dem beizukommen, ist daher Aufgabe der Politik. Denn ähnlich wie im Fall Zyperns ist es für die auf Finanzdienstleistungen spezialisierten Inselstaaten viel zu schmerzhaft, ihr Geschäftsmodell zu ändern. Dass sie das nicht aus freien Stücken tun werden, zeigt sich auch daran, dass beispielsweise auf den Cook-Inseln staatliche Stellen und Dienstleister wie Portcullis Trustnet sich des gleichen Personals bedienen. Dort beschäftigt die staatliche Serviceagentur für Finanzdienstleistungen und der Vermögensverwalter Portcullis Trustnet in der Führungsetage ein und dieselbe Ökonomin.