Steuererklärung 2022 Was ist ein Progressionsvorbehalt und welchen Effekt hat er?

Der Progressionsvorbehalt sorgt dafür, dass eigentlich steuerfreie Einkünfte zu einer höheren Steuerlast führen. Quelle: imago images

Zu den kryptischen Begriffen beim Thema Steuern gehört der Progressionsvorbehalt. Dabei betrifft er nicht wenige. Was genau hinter dem Progressionsvorbehalt steckt und wie er auf die Steuerbelastung wirkt. Ein Überblick.

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Für die meisten Erwerbstätigen steht einmal im Jahr die Abgabe der Steuererklärung auf dem Plan. Die Steuerregeln sind nicht immer einfach und leicht nachvollziehbar, vor allem nicht, wenn die Einkommenssituation etwas speziell ist. Das deutsche Steuersystem hat für fast jede Lebenslage besondere Regeln. Eine davon ist der Progressionsvorbehalt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.

Was ist ein Progressionsvorbehalt und warum gibt es ihn?

Hinter dem technokratisch anmutenden Begriff steckt ein vergleichsweise einfaches Prinzip, das im Steuerrecht angewendet wird. Dabei geht es beim Progressionsvorbehalt im Kern darum, wie hoch Einkünfte in Deutschland besteuert werden. Genauer gesagt bestimmt er, welchen Einfluss eigentlich steuerfreie Einkünfte auf die Steuerlast einer Person haben. 

Das klingt paradox? Vielleicht. Dahinter verbirgt sich eine Gerechtigkeitsfrage. Hat nämlich jemand Einkünfte, die als steuerfrei gelten, ist vom Grundsatz nur der übrige Teil der Einkünfte, die unter die Steuerpflicht fallen, zu versteuern. Sind die steuerfreien Einkünfte jedoch im Verhältnis recht hoch, hätte das zur Folge, dass nur ein kleiner Teil an steuerpflichtigen Einkünften bliebe. Entsprechend ergäbe sich ein niedrigerer Steuersatz als für eine Person, die deutlich höhere Einkünfte hat. Der Progressionsvorbehalt soll genau das ändern.

Zu Grunde liegt der Gedanke, dass Personen mit hohen Einkünften auch höher besteuert werden sollen – denn die Steuer soll sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richten. Wer besser verdient, soll also auch mehr Steuern zahlen. Dabei gilt folgendes Schema: Besteuert werden als Bemessungsgrundlage weiterhin nur die steuerpflichtigen Einkünfte, nicht die Summe aus steuerfreien und steuerpflichtigen Einkünften. Der dabei genutzte Steuersatz richtet sich aber nach der Summe aus steuerfreien und steuerpflichtigen Einkünften, fällt also aufgrund des Progressionsvorbehalts höher aus.

Progressionsvorbehalt berechnen: Ein Beispiel

Ein Beispiel macht es klarer: Beträgt das steuerpflichtige Einkommen einer Person 90.000 Euro und zusätzlich 20.000 Euro an steuerfreien Einkünften (sogenannten Progressionseinkünften), sind zwar nur 90.000 Euro zu versteuern, jedoch gelten 110.000 Euro als Grundlage für den Steuersatz. Der Progressionsvorbehalt bestimmt auf diese Weise die Steuerlast einer Person mit. In der Einkommensteuererklärung kommen dann aber noch andere Faktoren hinzu, die bestimmen, wie viel an Steuern gezahlt werden muss. Zum Beispiel, welche Pauschalen und steuerlichen Abzüge durch Werbungskosten, Handwerkerleistungen und haushaltsnahe Dienstleistungen geltend gemacht werden können.

Wir zeigen ein vereinfachtes Beispiel für die Berechnung bei einer ledigen Person mit 90.000 Euro steuerpflichtigem Einkommen in einer Tabelle. Anhand der Tabelle lässt sich erkennen, wie die Mehrbelastung beim Progressionsvorbehalt entsteht: 


Beispiel ohne Progressionseinkünfte

Beispiel mit Progressionseinkünften

Steuerpflichtiges Einkommen

90.000 Euro

90.000 Euro

Einkünfte unter Progressionsvorbehalt

0 Euro

20.000 Euro

Durchschnittssteuersatz bei 90.000 Euro Einkommen

30,92 Prozent

32,93 Prozent

Einkommensteuer

27.827 Euro

29.640 Euro


Mehrbelastung

1.813 Euro


Lohnersatzleistungen & Co.: Was fällt alles unter den Progressionsvorbehalt?

Unter den Progressionsvorbehalt fallen verschiedene Einkünfte aus dem In- und Ausland, die als steuerfrei gelten. In Deutschland handelt es sich vielfach um Lohn- und Einkommensersatzleistungen, die steuerfrei sind, aber unter dem Progressionsvorbehalt stehen. Festgelegt ist das im deutschen Einkommensteuergesetz (EStG § 32b). Bei Einkünften aus dem Ausland gibt es zumeist den Progressionsvorbehalt, wenn ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und dem jeweiligen Land, in dem die ausländischen Einkünfte erwirtschaftet wurden, vorliegt.

Zu den typischen Einkünften, die unter den Progressionsvorbehalt fallen, gehören folgende:

  • Elterngeld
  • Mutterschaftsgeld und Zuschüsse zum Mutterschaftsgeld
  • Krankengeld (von gesetzlichen Krankenkassen, private Krankenkassen sind ausgenommen)
  • Versorgungskrankengeld und Übergangsgeld
  • Entschädigungen für Verdienstausfall nach dem Infektionsschutzgesetz (zum Beispiel durch Quarantäne/Isolationspflicht)
  • Verletztengeld
  • Eingliederungshilfe (nur nach dem Arbeitsförderungsgeld)
  • Kurzarbeitergeld
  • Arbeitslosengeld I
  • Arbeitslosenbeihilfe für Soldaten
  • Aufstockungsbeträge/ Zuschüsse zum Arbeitsentgelt
  • Unterhaltssicherungsleistungen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
  • Verdienstausfallentschädigungen
  • Winterausfallgeld (nicht: Wintergeld)
  • Insolvenzgeld
  • Vorruhestandsgeld
  • Altersübergangsgeld und zugehörige Ausgleichsbeträge

Zudem stehen folgende Auslandseinkünfte typischerweise unter dem Progressionsvorbehalt:

  • Auslandseinkünfte nach einem Doppelbesteuerungsabkommen
  • Auslandseinkünfte, die gemäß anderen bilateralen Besteuerungsabkommen steuerfrei bleiben (i.d.R. Nicht-OECD-Staaten)
  • Einkünfte von Grenzpendlern, die laut zwischenstaatlicher Besteuerungsabkommen steuerfrei bleiben

Welche Folgen hat ein Progressionsvorbehalt?

Nicht in jedem Fall, doch zumeist, müssen Steuerpflichtige aufgrund eines Progressionsvorbehalts einen höheren Steuersatz zahlen. Steuerfreie Einkünfte werden in diesem Fall als relevant für die Beurteilung des Wohlstands einer Person angesehen und den steuerpflichtigen Einkünften bei der Beurteilung hinzugerechnet. Die steuerfreien Einkünfte bleiben zwar steuerfrei, auf die übrigen, steuerpflichtigen Einkünfte fällt jedoch mehr Steuer an.

Hinzu kommt: In aller Regel werden Personen mit Einkünften, die unter einem Progressionsvorbehalt stehen, auch zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet. Im Zeichen der Corona-Pandemie meldeten außergewöhnlich viele Unternehmen Kurzarbeit an. Die Folge: Deutlich mehr Beschäftigte als sonst erhielten Lohnersatzleistungen. Zum Beispiel Kurzarbeitergeld. Von knapp 380.000 Menschen im Januar 2020 stieg die Zahl der Kurzarbeitergeld-Empfänger nach dem Beginn der Pandemie auf sechs Millionen im April 2020 an. Wegen des Progressionsvorbehalts waren dann auch zahlreiche neue Kurzarbeitergeld-Empfänger, die zuvor keine Steuererklärung abgeben mussten, aufgrund der Lohnerstazleistungen dazu verpflichtet.


Was ist ein negativer Progressionsvorbehalt?

Wer mit Einkünften unter dem Progressionsvorbehalt zu tun hat, wird möglicherweise auch mit einem sogenannten negativen Progressionsvorbehalt konfrontiert sein. Dieser ist eine weitere Folge des Progressionsvorbehalts. Er wirkt sich im Gegensatz zum üblichen Verfahren begünstigend auf den individuellen Steuersatz aus. Dazu kommt es, wenn es sich bei den Einkünften unter Progressionsvorbehalt um negative Einkünfte handelt, also Verluste. Hat eine steuerpflichtige Person im Inland also Einkünfte von 90.000 Euro, jedoch im Ausland 20.000 Euro an Einkommensverlusten erlitten, werden 20.000 Euro aufgrund des geltenden Doppelbesteuerungsabkommens bei der Ermittlung des Steuersatzes von den 90.000 Euro abgezogen. Zur Berechnung des Steuersatzes werden dann also nur noch 70.000 Euro herangezogen. Entsprechend ist der Steuersatz niedriger.

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Welche Kritik gibt es am Progressionsvorbehalt?

Am Progressionsvorbehalt, für den es unter Aspekten der sozialen Gerechtigkeit gute Argumente geben mag, gibt es auch Kritik. Neben Bedenken bei der Steuertransparenz, da die Besteuerungsgrundlagen für den Otto-Normalverbraucher schwerer zu durchblicken sind, liegt einer der großen Kritikpunkte auf der Hand: Einkünfte, die eigentlich als steuerfrei gelten, werden durch Progressionsvorbehalte indirekt doch besteuert. Eben, weil sie letzten Endes zu einer Erhöhung des Steuersatzes und damit zu einer höheren Steuer führen. Gerade weil Steuern und Abgaben in Deutschland vergleichsweise sehr hoch sind, ruft das wenig Begeisterung hervor. Deswegen ist beim Progressionsvorbehalt des Öfteren von einer „Quasi-Steuer“, einer „heimlichen Besteuerung“ oder einer „Steuer durch die Hintertür“ zu lesen.

Zudem bringt die praktische Anwendung immer wieder komplizierte Streitfragen zwischen Steuerzahlern und Finanzverwaltung hervor, die sich ohne Unterstützung von Steuerberatern oder Steuerrechtlern kaum noch lösen lassen. Etwa dann, wenn es um die Auslegung von sehr speziellen Auslandseinkünften geht, die in Doppelbesteuerungs- oder zwischenstaatlichen Abkommen nicht eindeutig geregelt sind.

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