P&R-Insolvenz Debakel für Investoren in Seecontainer

Container im Hamburger Hafen: Finanzdienstleister P&R, führend bei Direktinvestitionen in Seecontainer, ist in bedrohlicher Schieflage. Quelle: REUTERS

Zehntausende Anleger investierten bei P&R – jetzt hat der Finanzdienstleister Insolvenz beantragt. Es droht der größte Anlageskandal in der Geschichte der Bundesrepublik.

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Kein Jahr ohne Finanzdebakel. Milliarde auf Milliarde wird in Deutschland jedes Jahr gespart. Und während sich viele Anleger vor dem Kauf von Aktien scheuen, sind sie von ihrem herkömmlichen Sparkonto wegen ausbleibenden Zinsen enttäuscht.

Stattdessen vertrauen sich die Deutschen regelmäßig schwer durchschaubaren Anlagemodellen an – und fallen immer wieder ins Bodenlose. 2018 trägt das Desaster den Namen P&R – ein Unternehmen, das kaum jemand kennt und dennoch 3,5 Milliarden Euro einsammelte. Am vergangenen Donnerstag hat es Insolvenz angemeldet.

P&R, der Marktführer für Direktinvestitionen in Seecontainer mit Sitz in Grünwald bei München, ist zahlungsunfähig. Wie das Amtsgericht München am Montag dem Handelsblatt bestätigte, hat es Michael Jaffé aus München als vorläufigen Insolvenzverwalter für die P&R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH sowie die P&R Gebrauchtcontainer Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH eingesetzt.

Für die P&R Container Leasing GmbH ernannte das Gericht Philip Heinke zum vorläufigen Insolvenzverwalter – ebenfalls aus der Kanzlei Jaffé. Es handelt sich um ein reguläres Insolvenzverfahren.

Damit wurde Michael Jaffé und seiner Kanzlei das vierte größere Insolvenzverfahren binnen weniger Monate zugeteilt. Im Februar wurde Jaffe auf Vorschlag der Aufsicht BaFin bereits für die Verwaltung der insolventen Dero Bank eingesetzt. Im Januar wurde er Sachwalter der Wefers Gebäudetechnik in Köln.

Im Dezember wurde er vom Amtsgericht München als Insolvenzverwalter der Phoenix Solar Aktiengesellschaft eingesetzt. Seit September verwaltet Jaffé auch das insolvente Krebstherapiezentrum Pro Health AG, das mit Protonen-Strahlung arbeitet.

Die Insolvenzverwalter wollen die „erheblichen Mittelzuflüsse aus der fortlaufenden Container-Vermietung“ für die Anleger und Gläubiger der insolventen Gesellschaften sichern, wie sie am Montagnachmittag in einer ersten Stellungnahme mitteilten. Deshalb sollten weltweit die P&R–Gesellschaften fortgeführt werden. „Unser Ziel ist es, die berechtigen Ansprüche der Anleger nach den gesetzlichen Vorgaben bestmöglich zu befriedigen“, so die vorläufige Insolvenzverwaltung.

Den Anlegern empfehlen Michael Jaffé und Philip Heinke zunächst Ruhe zu bewahren. „Eine eigene Verwertung der Container durch die Anleger macht wirtschaftlich keinen Sinn, schon weil mit den Containern langfristige Mieteinnahmen erzielt werden sollen.“ Sie raten den Anlegern von Versuchen ab, die eigenen Container abzuholen, die weltweit im Einsatz sind. Ihre Warnung: Solche Vorstöße könnten erheblichen Schaden anrichten.

„Parallel werden wir die Krisenursachen aufarbeiten“, sagte der vorläufige Insolvenzverwalter Dr. Michael Jaffé. Das werde einige Zeit in Anspruch nehmen. Die Wirtschaftsprüfer vor PricewaterhouseCoopers seien damit beauftragt, das Zahlenwerk zu erfassen und aufzuarbeiten.

„In welcher Höhe Rückflüsse an die Anleger möglich sind, hängt auch von der Marktentwicklung in den nächsten Jahren ab und lässt sich heute noch nicht sagen“, sagte Jaffé.

Gemessen am Investmentvolumen könnte sich der Fall zum größten Anlageskandal in Geschichte der Bundesrepublik entwickeln. Die unrühmlichen Spitzenplätze im Ranking der Anlegerpleiten hielten bisher der Itzehoer Windkraftproduzenten Prokon (Insolvenz 2014), der Dresdner Finanzdienstleister Infinus (2014) und die Göttinger Gruppe (2007). Keine der Pleiten war auch nur halb so groß wie die 3,5 Milliarden Euro, die nun bei P&R im Feuer stehen.

Die Insolvenz kommt überraschend. „P&R hat seit 1975 nachweislich alle vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Anlegern ausnahmslos zu 100 Prozent erfüllt“, steht noch immer auf der Webseite des Unternehmens.

Ende Februar 2018 bekamen die Anleger plötzlich ein Schreiben. Man bedauere, dass sich fällige Überweisungen verzögerten, hieß es in dem Brief, über den das Handelsblatt Anfang März berichtete. Dann wurde der Vertrieb eingestellt. Fragen des Handelsblattes zu den aktuellen Entwicklungen hat das Unternehmen seitdem nicht mehr beantwortet.

Blackbox P&R

Nun muss Insolvenzverwalter Jaffé nachforschen. Die Container-Geschäfte wickelte die Unternehmensgruppe über die P&R Equipment & Finance Corp. ab. Die Gesellschaft im schweizerischen Zug war Dreh- und Angelpunkt des operativen Geschäfts. Über sie flossen Mieten, Kauf- und Rückkaufzahlungen zwischen Deutschland und den jeweiligen Container-Leasing-Gesellschaften hin und her.

Nach Informationen des Handelsblattes soll die P&R Equipment & Finance Corp. in den vergangenen Tagen Geldtransfers in Richtung Grünwald schuldig geblieben sein. Möglicherweise geriet das Management um Geschäftsführer Martin Ebben deshalb unter Zugzwang. Was aus der schweizerischen Gesellschaft nun wird, ist zurzeit noch unklar.

Aus den Prospekten geht hervor: 2016 hatte die P&R Equipment & Finance Corp. rund 991,7 Millionen Euro Verpflichtungen gegenüber den deutschen P&R-Gesellschaften – aus Verträgen, die noch bis 2022 laufen. Demgegenüber verfügte sie nur über Eigenkapital von rund 27 Millionen Euro.

Der wichtige Rahmenvertrag zwischen der deutschen und der schweizerischen Seite war für Anleger bislang nicht einsehbar. Anlegerschützer kritisierten P&R deshalb in Vergangenheit auch als „Black Box“.

Das Geschäftsmodell hingegen galt als leicht verständlich: Zunächst verkaufte die Gruppe Seecontainer an die Investoren, mietete sie dann zurück, um sie an große internationale Container-Leasing-Gesellschaften weiterzuvermieten. Die Anleger bekamen quartalsweise garantierte Mieteinnahmen ausgezahlt und nach fünf Jahren ein Rückkaufangebot für die gebrauchten Container, das bei rund 65 Prozent des Kaufpreises lag. Unter dem Strich blieb nach Steuern eine Rendite zwischen drei und fünf Prozent im Jahr.

Das Geschäft funktionierte lange Zeit stabil, jedenfalls schien es nach außen so. P&R ist seit mehr als 40 Jahren am Markt aktiv. Allerdings gab auch mahnende Stimmen. Vor zwei Jahren wies der Experte für Geldanlageprodukte Stefan Loipfinger in seinem Blog Investmentcheck.de auf die starke Abhängigkeit von P&R vom Neugeschäft hin.

Demzufolge wurden 2014 bis 2016 höhere Mieten an Anleger ausgezahlt, als aus der Vermietung hereinkamen. Die jährliche Unterdeckung einer dreistelligen Millionensumme muss aus dem Neugeschäft ausgeglichen worden sein, sagt der Analyst.

„Ob hier ein Schneeballsystem betrieben wurde und eine Abhängigkeit von neu einzuwerbendem Anlegerkapital bestanden hat, muss noch untersucht werden“, sagt Anleger-Anwalt Peter Mattil aus München.

P&R hat das zuletzt im Sommer 2017 bestritten und auf hohe Liquidität und Rücklagen verwiesen, die Unterdeckungen auffangen könnten.

Fest steht allerdings, dass der Container-Verkauf bei P&R zuletzt mächtig ins Stocken geraten ist. Nach dem Rekordjahr 2013, in dem die Gruppe mehr als eine Milliarde Euro frisches Kapital einsammelte, ging das Geschäft deutlich zurück. Im vergangenen Jahr gab es nur noch Neuabschlüsse für 442 Millionen Euro – das war ein Einbruch von 40 Prozent zum Vorjahr.

„P&R zeigt, dass die derzeitige Gesetzeslage Anleger in Deutschland weiterhin nur ungenügend vor nicht tragfähigen Geschäftsmodellen schützt“, sagte am Abend der Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick von den Grünen. Er sieht Handlungsbedarf für die Bundesregierung.

Weil im Grauen Kapitalmarkt trotz milliardenschwerer Anlagesummen kein Tragfähigkeitsgutachten eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers erforderlich gewesen sei, habe sich die Aufsicht nur auf Vollständigkeit, Verständlichkeit und Widerspruchsfreiheit des Prospekts konzentriert. „Diese eklatante Lücke muss die GroKo schließen", forderte Schick.

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