Der Baum spielt in dieser Geschichte eine zentrale Rolle. Als Symbol, aber auch als reale Gefahr. „Ich stelle mir oft die Frage, was passiert, wenn ich auf dem Heimweg von der Firma am Baum lande“, sagt Reinhold von Eben-Worlée. Das ist sein Horrorszenario: Ihn rafft es plötzlich dahin, Tochter Henrietta und ihre beiden Schwestern stehen alleine da, mit Papas Firma. Bald klingelt das Finanzamt: Erbschaftsteuer bitte. Doch das Erbe besteht nur aus Maschinen, Lastwagen, Büroeinrichtung. Um bezahlen zu können, müssen die Schwestern verkaufen, ein Investor steigt ein und zerschlägt die Firma. Steuer drauf, Unternehmen tot.
So sorgt sich von Eben-Worlée, und so tun es viele mittelständische Unternehmen in diesen Tagen. „Immer wenn ich in letzter Zeit mit anderen Unternehmern rede, kommt das Gespräch irgendwann auf die Erbschaftsteuer.“ Von Eben-Worlée ist Inhaber der E.H. Worlée GmbH, eines Hamburger Familienbetriebs seit 1851. Das Unternehmen (gut 500 Mitarbeiter, 250 Millionen Euro Umsatz) stellt in Fabriken in Lauenburg und Lübeck Lackrohstoffe her. Am Hamburger Stammsitz werden Lebensmittel für die industrielle Verarbeitung aufbereitet, an diesem Tag sind es Pilze, die man in der gesamten Firma riecht. Shitake-Krümel rauschen über das Rüttelband, während die Steinpilzkrumen schon beim Magnetsortierer angekommen sind.
So läuft das hier seit fünf Generationen, und wenn es nach dem jetzigen Inhaber geht, darf es ruhig noch fünf Generationen weitergehen. Das Unternehmen hat zwei Weltkriege, Sturmfluten und Währungskrisen überlebt. Doch von Eben-Worlée sagt: „Ob es auch in der nächsten Generation noch so läuft, hängt leider nicht nur von unserem unternehmerischen Geschick ab, sondern auch von Karlsruhe.“
Am Dienstag berät dort das Bundesverfassungsgericht über die Frage, vor der sich Deutschlands Mittelstand mehr fürchtet als vor Euro-Krise und Deflation: Sind die Ausnahmen für Unternehmen von der Erbschaftsteuer verfassungswidrig? Diese Frage hat der Bundesfinanzhof vorgelegt, und allein aus der harschen Stellungnahme der Finanzrichter schließen manche Beobachter, dass die obersten Richter die aktuelle Gesetzgebung verwerfen. Das allein wäre aus Sicht der Unternehmen gar nicht so schlimm, vielleicht würden ein paar kosmetische Änderungen im Jahressteuergesetz genügen, um das Werk verfassungsfest zu machen. Doch die Erfahrung zeigt: Wenn erst einmal diskutiert wird, geht es schnell um Grundsätzliches.
Bei der Erbschaftsteuer konkurrieren zwei zentrale, aber gegensätzliche Ziele. Auf der einen Seite fördert die aktuelle Rechtslage den Betriebsübergang in der Familie. So bleibt Platz für Investitionen, die Arbeitsplätze müssen zudem garantiert werden. Die Verteidiger des geltenden Rechts wollen diesen Schutz unbedingt erhalten. Ihnen gegenüber steht die große Vokabel „Gerechtigkeit“: Unternehmer bilden nicht nur den produktivsten, sondern auch den vermögendsten Teil der Bevölkerung. Wer sie schont, zementiert Ungleichheit. So mahnt der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner: „Wir besteuern Arbeit stärker als Kapital und Vermögen. Das ist leistungsfeindlich und ungerecht.“
Hektische Unternehmen
Nicht nur für den Hamburger Unternehmer von Eben-Worlée klingt das wie eine Drohung. Nach Schätzungen des Industrieverbands BDI steht in den kommenden Jahren bei 135.000 Unternehmen mit insgesamt mehr als zwei Millionen Beschäftigten die Nachfolge an. Wer kann, der beeilt sich. „Zu uns in die Kanzlei kommen immer mehr Unternehmer, die ihre Nachfolge regeln wollen“, sagt Elke Volland, Erbschaftsteuerexpertin bei der Kanzlei Rödl & Partner. Für gewöhnlich kümmert die Gesellschaft sich um die Bilanzen deutscher Mittelständler, aber wenn einer seine Nachfolge organisieren will, ist man ebenfalls zur Stelle. „Seit klar ist, dass das Bundesverfassungsgericht bald entscheidet, werden manche Unternehmer hektisch“, erzählt Volland. Noch in der vergangenen Woche sei ein Unternehmer zu ihr gekommen, der sein Erbe unbedingt vor einer Entscheidung des Verfassungsgerichts abwickeln wollte.
Gegen den metaphorischen Baum
Dafür gibt es gute Gründe. Die Patriarchen fürchten nicht nur um Arbeitsplätze, sie wissen auch: So günstig wie heute war es nie, ein Unternehmen zu vererben. Während auf privates Vermögen bis zu 30 Prozent Steuern fällig werden, kommen Unternehmer im besten Fall steuerfrei davon. Dafür müssen sie ein paar Bedingungen erfüllen: Sie dürfen ihr Unternehmen sieben Jahre lang nicht verkaufen, auch die Lohnsumme muss in dieser Zeit im Durchschnitt konstant bleiben. Zudem müssen sie nachweisen, dass höchstens 15 Prozent der Besitztümer des Unternehmens sogenanntes „Verwaltungsvermögen“ sind, also Kunst, Immobilien oder Anlagen, die nicht zur Produktion beitragen. Wem diese Auflagen zu strikt sind, der kann ein gelockertes Modell wählen. Dann sind nur 85 Prozent des Unternehmenswertes steuerfrei, dafür muss das Unternehmen jedoch nur fünf Jahre gehalten werden und die Lohnsumme im Schnitt 80 Prozent des Ausgangswerts betragen. Auch der Anteil des Verwaltungsvermögens darf höher sein.
Freibeträge für Schenkungen
Abhängig vom Verwandtschaftsverhältnis zum Schenkenden gewährt das Finanzamt Freibeträge in unterschiedlicher Höhe. Wer seinen Freibetrag ausgeschöpft hat, muss den darüber hinausgehenden Betrag oder Gegenwert der geschenkten Sache versteuern. Die Höhe der Schenkungssteuer richtet sich nach den Schenkungssteuerklassen, die ebenfalls vom Grad der Verwandtschaft abhängen.
Innerhalb der Steuerklassen ist der Steuertarif progressiv. Das heißt: Je höher der Geldwert der Schenkung, umso höher ist auch der zu entrichtende Steuersatz. Dabei ist die Steuer gestaffelt zu bezahlen. Ein Beispiel: Bis zu einem Betrag von 75.000 Euro etwa sind in der Steuerklasse I sieben Prozent Steuern auf den über den Freibetrag hinausgehenden Betrag zu zahlen. Von 75.000 bis 300.000 hingegen sind Steuern in Höhe von elf Prozent fällig, also elf Prozent von maximal 225.000 Euro.
Die Freibeträge sind für die Beschenkten alle zehn Jahre aufs Neue nutzbar. Wer anstatt größere zu vererben lieber schenken möchte, kann sein Erbe so alternativ stückweise in Abständen von zehn Jahren verschenken. Der Beschenkte kann dann jedes Mal den vollen Freibetrag ausschöpfen.
Der Freibetrag für Ehepartner beträgt 500.000 Euro. Ehepartner werden der günstigsten Schenkungssteuerklasse I zugeordnet.
Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft werden steuerlich Ehepartnern gleichgestellt. Der Freibetrag liegt bei 500.000 Euro. Sie werden der Schenkungssteuerklasse I zugeordnet.
Kinder, Stief- und Adoptivkinder sowie Enkel bereits verstorbener Eltern erhalten einen Freibetrag von 400.000 Euro und werden ebenfalls der günstigsten Steuerklasse I zugeordnet.
Enkel, deren Eltern noch leben sowie Urenkel bekommen einen Freibetrag von immerhin 200.000 Euro zugesprochen und müssen Schenkungen darüber hinaus nach den Steuersätzen der Steuerklasse I versteuern.
Wollen Kinder ihren Eltern etwas schenken, ist der Freibetrag deutlich geringer als bei Schenkungen in die umgekehrte Richtung. Sie haben einen Freibetrag von lediglich 20.000 Euro und müssen alles darüber hinaus gemäß der Steuerklasse II versteuern. Die gleichen Regeln gelten für Schenkungen an Großeltern, den geschiedenen Ehegatten, Geschwister, Neffen und Nichten, Schwieger- und Stiefeltern sowie Schwiegerkinder.
Für Verlobte, Lebensgefährten sowie alle übrigen Beschenkten gilt ebenfalls ein Freibetrag von nur 20.000 Euro. Allerdings ist bei ihnen die Schenkungssteuerklasse zusätzlich die ungünstigste Klasse III.
Rechtliche Härtefälle
Unternehmer sehen in diesen Regeln keine Bevorzugung, sondern einen entscheidenden Baustein des Erfolgsmodells deutscher Mittelstand. Damit sind sie nicht allein: „Bei vielen Unternehmenserben entsteht erst durch die Befreiung von der Erbschaftsteuer der Anreiz, selbst im Unternehmen tätig zu werden“, sagt Steuerberaterin Volland. Manche Wissenschaftler stellen diesen Vorzug allerdings infrage: Sie vermuten, dass die generöse Befreiungsregel auch solche Nachkommen zu Unternehmern macht, die dafür gar kein Talent haben. Dann ginge es der Firma in Familienhand schlechter als nach einem Verkauf. Steuerberaterin Volland glaubt das nicht: „Der Fortbestand des Unternehmens ist für die meisten doch eine viel bedeutsamere Größe als der Steuervorteil.“
Gleichwohl bleibt die Frage, ob der Vorteil für die Unternehmer nicht zu generös ausfällt. Gegen den metaphorischen Baum prallen eben nicht nur Unternehmer, sondern auch vermögende Privatleute.
Andreas Richter arbeitet bei der auf Erbrecht spezialisierten Kanzlei Pöllath und Partner. In seinem Büro hoch über dem Potsdamer Platz in Berlin empfängt er die vermögendsten Deutschen, sobald sie ihr Erbe regeln möchten oder müssen. „Manchmal führt unser Erbschaftsteuerrecht zu ziemlichen Härtefällen“, sagt Richter. Einer ist ihm im Gedächtnis geblieben, gerade wegen der Härten mag er seinen Fall nur abstrakt schildern.
Der Privatmann hatte sein gesamtes Millionenvermögen in Aktien investiert. Weil er von seinem Marktgespür überzeugt war, hatte er Teile über Kredit finanziert. Jahrelang fuhr er gute Gewinne ein, doch dann starb er, und zwar zu einem steuerrechtlich denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Anfang August 2008. Die Erben traf die Härte des Gesetzes gleich doppelt. Denn zum einen sind Wertpapiere voll erbschaftsteuerpflichtig. Zum anderen ist die deutsche Erbschaftsteuer eine Anfallsteuer. Das heißt: Abgerechnet wird am Todestag. In diesem Fall war das der Monatsanfang, als die Börse strahlte. Ein paar Monate später, als die Steuerzahlung auf den nicht kreditfinanzierten Teil fällig wurde, hatte sich der Wert des Depots wegen der Lehman-Krise fast halbiert. Gemeinsam mit dem zu tilgenden Kredit überstiegen die Verbindlichkeiten plötzlich den Wert des Depots. „Am Ende haben die Hinterbliebenen das Erbe nicht angetreten“, berichtet Richter.
Solche Fälle sind Ausnahmen, doch sie zeigen den Einfluss eines Faktors, den Verfassungsrichter und die Freunde der Gerechtigkeit gar nicht mögen: des Zufalls. Kann es sein, dass ein Steuerrecht der einen Familie ihr gesamtes Vermögen nimmt und der anderen nicht einen Cent? Im Grundsatz macht die deutsche Verfassung dem steuererhebenden Gesetzgeber nur wenige Vorgaben. Er darf besteuern, was er will, und er darf dabei bestimmte Gruppen bevorzugen und benachteiligen. Er muss es bloß absichtlich und gleichmäßig tun, zudem darf die Begünstigung nicht allzu üppig ausfallen. Gegen einige dieser Faktoren könnte die aktuelle Gesetzgebung verstoßen. Sie bevorzugt nicht nur echte Betriebsvermögen, sie gibt Unternehmern auch Möglichkeiten, ihr Privatvermögen einzubeziehen. Die Richter des Bundesfinanzhofs benutzen dafür den umständlichen, aber treffenden Ausdruck „Begünstigungsüberhang“.
Absichtliche Panikmache
Christoph Gallhöfer weist auf den Baum vor ihm. Der verästelt sich symmetrisch, in der Krone wird es dicht und etwas unübersichtlich. „Das ist der Stammbaum unserer Unternehmerfamilie, über mir und meinem Bruder stehen die neun Erben, die jetzt auf die Übernahme warten“, sagt Gallhöfer. Der Senior führt das gleichnamige Unternehmen im Kölner Vorort Hürth gemeinsam mit seinem Bruder. Um die Jahrtausendwende geriet der Großhandel für den Zimmererbedarf in Schwierigkeiten, man hatte sich mit der Expansion nach Ostdeutschland übernommen. Das Kerngeschäft musste an den französischen Großkonzern Saint-Gobain verkauft werden, bei den Gallhöfers verblieben eine Filiale für den Handel mit Spezialbaustoffen, ein Bodenverlegebetrieb und vor allem: der Immobilienbesitz.
Diese Steuersätze werden im Erbfall fällig
Steuerklasse I: 7 Prozent
Steuerklasse II: 15 Prozent
Steuerklasse III: 30 Prozent
Steuerklasse: Je nach Verwandtschaftsgrad
Quelle: Erbschaftsteuergesetz
Steuerklasse I: 11 Prozent
Steuerklasse II: 20 Prozent
Steuerklasse III: 30 Prozent
Steuerklasse I: 15 Prozent
Steuerklasse II: 25 Prozent
Steuerklasse III: 30 Prozent
Steuerklasse I: 19 Prozent
Steuerklasse II: 30 Prozent
Steuerklasse III: 30 Prozent
Steuerklasse I: 23 Prozent
Steuerklasse II: 35 Prozent
Steuerklasse III: 50 Prozent
Steuerklasse I: 27 Prozent
Steuerklasse II: 40 Prozent
Steuerklasse III: 50 Prozent
Steuerklasse I: 30 Prozent
Steuerklasse II: 43 Prozent
Steuerklasse III: 50 Prozent
Gefräßige Konzerne
Den vermieten sie seitdem an Saint-Gobain, und mit einer Dekade Abstand zieht Gallhöfer ein gemischtes Fazit: „Natürlich ist es schade, dass das Kerngeschäft nicht mehr in Familienhand ist, aber finanziell geht es uns heute ganz gut.“ Das sehen auch die Erben. Einen niedrigen siebenstelligen Ertrag wirft das Restgeschäft ab, das ergibt für jeden eine auskömmliche Grundrente, wenn alles glattläuft. Bisher haben die Brüder 40 Prozent der Besitztümer übergeben, die weiteren Anteile sollten folgen. Doch jetzt warnt Gallhöfer: „Wenn die Verschonungsregeln gekippt würden, müssen unsere Kinder verkaufen, und dann geht wieder ein Familienunternehmen an einen gefräßigen Konzern.“
Das soll bedrohlich klingen, doch so richtig verfängt das Argument nicht. Die Gallhöfers selbst kann man verstehen. Doch wo liegt der Beitrag zum Gemeinwohl, wenn die Erben ihre Immobilien vermieten? Hier scheinen weder Arbeitsplätze in Gefahr zu sein noch die langfristig orientierte Unternehmenskultur. Saint-Gobain hat bei der Übernahme alle Mitarbeiter weiterbeschäftigt.
Auch Christoph Gallhöfers eigene Steuergeschichte spricht eher nicht dafür, dass die Erbschaftsteuer das Unternehmen vernichten könnte. In den Achtzigerjahren hat er genau das erlebt, wovor Unternehmer wie von Eben-Worlée jetzt wortgewaltig warnen. Sein Vater verstarb plötzlich, auf einmal standen er und sein Bruder mit Firma, aber ohne geregeltes Erbe da. Die Erbschaftsteuer konnten die beiden nicht allein über Gesellschafterkredite bezahlen. „Wir mussten einen Teil unseres Privatvermögens verkaufen, um die Steuer zu bezahlen“, erinnert sich Gallhöfer und legt die nötige Andacht in seine Stimme. Doch als er darüber nachsinnt, was genau damals verkauft wurde, kommt die Erinnerung und er gerät ins Schmunzeln. „Die Briefmarkensammlung!“
Was Gallhöfers Anekdote nahelegt, stützen andere mit Gutachten. „Es war nicht möglich, einen konkreten Fall zu benennen, bei dem ein Betrieb aufgrund der Erbschaftsteuer aufgegeben, veräußert oder zahlungsunfähig wurde,“ heißt es in einem Bericht des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium zur Erbschaftsteuer von 2012. Mitautor Lars Feld, Professor an der Universität Freiburg und Mitglied der Fünf Wirtschaftsweisen, wird deutlicher: „Die Warnung vor Arbeitsplatzverlusten ist absichtliche Panikmache“, meint er. „Die derzeitige Befreiung von Betriebsvermögen ist zu generös. Es gibt zu viele Gestaltungsmöglichkeiten, die dazu führen, dass gerade besonders große Privatvermögen bei Vererbung verschont werden.“ Sein Plädoyer: „Es wäre fairer, Privat- und Betriebsvermögen gleich zu behandeln. Im Gegenzug müssen die Steuersätze verringert und die Freibeträge deutlich erhöht werden.“ Außerdem, so Feld, müssten Stundungsregeln sicherstellen, dass die Steuerlast auf mehrere Jahre verteilt werden könne.
Reformkonzepte
Beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rechnet Vermögensforscher Markus Grabka vor, wie eine reformierte Erbschaftsteuer ein viel größeres Problem lösen könnte: die Vermögensungleichheit. 2012 besaßen die Deutschen eine Summe von insgesamt rund 7,4 Billionen Euro, abzüglich der Verbindlichkeiten blieben netto 6,3 Billionen Euro. „Betriebsvermögen sind ein wesentlicher Grund für die Vermögensungleichheit“, analysiert Grabka. Etwa zehn Prozent der 6,3 Billionen Euro sind Betriebsvermögen, aber die Eigentümer dieser Unternehmensgüter stellen nur rund vier Prozent der Bevölkerung. Außerdem gelte: „Unternehmer sind meist gut bis sehr gut verdienende Selbstständige, die privat vorsorgen müssen“, so Grabka. „Diese Gruppe besitzt deshalb auch überdurchschnittlich viele Immobilien, Aktien oder anderes Geldvermögen.“
Hart gegen Andere
Wolfgang Grupp müsste es bei solchen Worten mit der Angst zu tun bekommen. Der 72-Jährige ist Inhaber des Bekleidungsherstellers Trigema; er hat einen Sohn und eine Tochter. Die Firma floriert, 1.200 Mitarbeiter, 89 Millionen Euro Umsatz, und das laut Grupp seit 1968 mit Gewinn. Wer Chef im Hause wird, steht für den Patriarchen fest: „Ein Kind wird das Unternehmen bekommen, das andere ausbezahlt.“
Zur Erbschaftsteuer argumentiert er für ihn typisch: hart in der Sache, hart gegen andere. „Ich habe noch nie gehört, dass ein Unternehmen wegen der Erbschaftsteuer pleiteging.“ Weil er zu 100 Prozent mit Eigenkapital und ohne Bankkredite arbeitet, dürften zumindest seine Nachfahren keine Probleme haben, die Steuer aus dem Betriebsvermögen zu bezahlen. Von einer steuerlichen Gleichstellung mit Privatleuten will Grupp dennoch nichts wissen: „Wer mit seinem Erbe ins Risiko geht und die Verantwortung für Mitarbeiter übernimmt, muss vom Finanzamt besser behandelt werden als derjenige, der einen Haufen Geld erhält, mit dem er sich ein unbeschwertes Leben machen kann.“
Sollte Karlsruhe so entscheiden wie erwartet, dürften all diese Probleme in Berlin landen. Zwar will keiner der Koalitionäre dem Gericht vorgreifen, aber hinter den Kulissen feilen sie längst an Reformkonzepten. Wer zuerst mit einer Idee an die Öffentlichkeit tritt, bestimmt die Debatte. Gerade für die SPD könnte ein Richterspruch zum Ansatzpunkt werden, um das in den Koalitionsverhandlungen zum Tabu erklärte Thema Steuern doch noch auf die Tagesordnung zu bringen.
Risiko Verkehrswert
Vor Kurzem traf Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, den Ökonomen Feld im Zug. Bei der Erbschaftsteuer fanden sie schnell zusammen. „Wir dürfen im Idealfall keine Umgehungsmöglichkeiten mehr zulassen“, sagt Binding. „Bleibt es aber bei einer Besserstellung von Betriebsvermögen, muss der Erhalt von Arbeitsplätzen auch nach dem Erbfall garantiert werden.“ In der Fraktions-Arbeitsgruppe wird darüber nachgedacht, die Lohnsummen-Fristen zu ändern. Binding selbst feilt an einem Stundungsmodell. „Wichtig ist, dass die anfallende Steuer arbeitsplatzneutral beglichen werden kann.“
Risiko Verkehrswert
Genau das bezweifeln die Koalitionskollegen in der Union. So warnt der Fraktionsvize Ralph Brinkhaus: „Sollte Betriebsvermögen nicht mehr freigestellt werden, erhält die Unternehmensbewertung eine entscheidende Bedeutung.“ Das birgt Risiken: Würde man heute die Erbschaftsteuer einfach auf Betriebe ausweiten, kämen die Gallhöfer-Brüder mit ihrer Briefmarkensammlung nicht mehr weit. Denn früher wurden Unternehmen im Erbfall nach ihrem sehr niedrigen Bilanzwert beurteilt. Seit der letzten Reform zählt der Verkehrswert. Der ist schwer zu ermitteln, da auch Markenwerte oder erwartete zukünftige Erträge mit einfließen. In jedem Fall aber ist er deutlich höher als der Bilanzwert. Brinkhaus deutet an, dass er um die Ausnahmen für Betriebe kämpfen will: „Es geht darum, die Belastung für Betriebe und Arbeitsplätze – nicht für einzelne Personen – möglichst gering zu halten.“ SPD-Parteivize Stegner bringt schon mal einen möglichen Kuhhandel ins Gespräch: „Wenn wir eine Erbschaftsteuerreform hinbekommen, die robust ist und Mehreinnahmen in Milliardenhöhe bringt, könnten wir auf die Vermögensteuer verzichten.“
Die Familie von Eben-Worlée kann der heraufziehenden Debatte ansatzweise entspannt entgegensehen. Bis vergangenen Herbst hielt der inzwischen 90-jährige Großvater Albrecht noch 55 Prozent der Unternehmensanteile, 40 Prozent hat er nun an seinen Sohn übertragen. Zumindest ein Grund weniger, sich wegen all der Bäume finanzielle Sorgen zu machen.