Rein rechtlich

Aufsichtsräte in der Haftungsfalle

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Entlastung kein Verzicht auf Haftungsansprüche gegen Aufsichtsräte

Diese Figuren bestimmen das Machtspiel
Gerhard Cromme, 69, der Aufsichtsratschef der ThyssenKrupp AG Seit seinem Einstieg Ende der 1980er Jahre saß er an allen wichtigen Schaltstellen des Essener Konzerns - und war für den Umbau des Traditionsunternehmens mitverantwortlich. Stets unter dem wachsamen Auge von Berthold Beitz, mit dem er sich abspricht. Cromme saß im Krupp-Chefsessel, schon bevor diese in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, und noch bevor diese mit der Thyssen Stahl AG fusionierte. Seit 2001 ist er der Aufsichtsratsvorsitzende der ThyssenKrupp AG - und in dieser Position war er an allen wesentlichen Entscheidungen beteiligt, die schließlich zur Fehlinvestition der Stahlwerke in Brasilien und den USA führten. Nun dürften nicht wenige Aktionäre die Frage stellen: Was und wie viel wusste Gerhard Cromme genau? Quelle: dapd
Berthold Beitz, 99, Vorsitzender der Krupp-Stiftung Er ist ein Urgestein bei Krupp, für das Unternehmen arbeitet er seit bald 60 Jahren. Im Jahr 1968 übernahm Beitz den Vorsitz des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung. Dieser Stiftung, in die das Kruppsche Privatvermögen überführt wurde, gehört wiederum 25,3 Prozent an Thyssen-Krupp. Beitz ist somit einer der mächtigsten Manager in der deutschen Wirtschaft. Als Vorsitzender der Stiftung unternimmt Beitz auch informelle Intervention im ThyssenKrupp-Konzern, gemeinsam mit Cromme bildet Beitz ein gehärtetes Duo, an dem keiner im Konzern vorbeikommt. Beitz gab eine Biographie heraus, die er vor Drucklegung absegnete. Infolgedessen ist fast nur Positives über ihn dort zu lesen, wenig Selbstkritisches. Eine überragende Position nimmt Beitz in der Nazizeit ein. Er ist zwar kein Widerstandskämpfer, rettet aber - ähnlich wie Oskar Schindler - hunderten von Juden das Leben, in dem er sie als Direktor der Kapathen-Öl in Russland anstellt und somit vor dem Tod bewahrt. Quelle: dpa
Heinrich Hiesinger, 52, Vorstandsvorsitzender der ThyssenKrupp AG Vor seinem Aufstieg in den Chefsessel der ThyssenKrupp Anfang 2011 war Hiesinger bei Siemens für den Sektor Siemens Industry zuständig. Bei ThyssenKrupp hat sich der Schwabe vorgenommen, die alten Seilschaften zu kappen und den Konzern nach den Maßstäben des Weltmarktes zu richten. Dafür möchte Hiesinger Kosten senken und die Effizienz steigern. Die Losung lautet: Weg vom Stahl und dafür mehr Industrie- und Anlagenbau, Aufzüge und Marineschiffbau. Quelle: dpa
Guido Kerkhoff, 44, Finanzvorstand der ThyssenKrupp AG Gemeinsam mit Konzern-Chef Hiesinger steht Kerkhoff vor der Aufgabe, ThyssenKrupp wieder auf Vordermann zu bringen. Vor seinem Managerposten bei ThyssenKrupp war er Mitglied des Vorstands der Deutsche Telekom AG, verantwortete die Region Süd- und Osteuropa und ab April 2010 die Region Europa. Als Finanzchef der ThyssenKrupp AG möchte er am operativem Geschäft teilnehmen und die hierarchische Kultur im Konzern abschaffen. Quelle: dapd
Bertin Eichler, 61, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei der Thyssen Krupp AG, Vorstandsmitglied der IG Metall Eichler musste jüngst einräumen, dass er mit dem Aufsichtsrat von ThyssenKrupp auf Kosten des Unternehmens in der Ersten Klasse nach China, Thailand, in die USA und nach Kuba geflogen war. Sein Einwand: Es habe sich um dienstliche Reisen gehandelt. Eichler will sich zur Hauptversammlung im Jahr 2014 aus dem Aufsichtsrat zurückziehen. Zudem kündigte der Gewerkschafter an, die Differenz zwischen den Kosten der meist von Geschäftsreisenden benutzten Business-Klasse und der Ersten Klasse zu erstatten. Denn: „Es ist nicht alles richtig, was zulässig und üblich war“. Quelle: dpa
Diese Vorstandmitglieder mussten wegen der schweren Managementfehlern und Fehlinvestitionen auf Anordnung Crommes ihren Platz räumen: (von links nach rechts) Compliance-Vorstand Jürgen Claassen (54), Technologie-Vorstand Olaf Berlien (50) und Stahl-Vorstand Edwin Eichler (54).

Die Entlastungsverweigerung zieht nicht automatisch weitere rechtliche Konsequenzen für den Aufsichtsrat bzw. seine Mitglieder nach sich. Insbesondere ist mit der Verweigerung der Entlastung trotz des Vertrauensentzugs nicht zwangsläufig die Abberufung des Aufsichtsratsmitglieds verbunden. Dies gilt selbst dann, wenn der Beschluss die hierfür erforderlichen Mehrheiten erreichen würde.

Die Abberufung ist nur durch einen tatsächlichen Abberufungsbeschluss und unter Einhaltung der hierfür geltenden Formalitäten möglich. Gleichermaßen hindert die Entlastung die Hauptversammlung aber nicht, ein Aufsichtsratsmitglied abzuberufen.

Die Aktionärsstruktur von ThyssenKrupp

Ähnlich verhält es sich mit etwaigen Schadensersatzansprüchen. Genauso wenig wie die Entlastungsverweigerung automatisch zu Schadensersatzansprüchen gegen den Aufsichtsrat führt, hindert eine einmal erfolgte Entlastung die Aktiengesellschaft nicht an einer Verfolgung etwaiger Ansprüche gegen den Aufsichtsrat. Anderes gilt für den Aufsichtsrat einer GmbH, bei der mit der Entlastung zumindest bei einem freiwillig eingesetzten Aufsichtsrat eine Verzichtswirkung verbunden ist. 

Die Verweigerung der Entlastung zieht also keine unmittelbaren rechtlichen Sanktionen nach sich. Sanktionierend wirken vielmehr die damit erzeugte Stigmatisierung und das Negativimage in der Öffentlichkeit. Aus diesem Grund ist die Drohung von Aktionären, die Entlastung zu verweigern, eher als ein politisches Druckmittel einzustufen als ein rechtliches.

Die Aktionäre können damit beispielsweise versuchen, das Aufsichtsratsmitglied faktisch zur Amtsniederlegung zu drängen, wenn der Fehltritt für eine Abberufung nicht reicht. 

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