Rein rechtlich
Quelle: dpa Picture-Alliance

Liebe Chefs, E-Mails blockieren ist ein Irrweg

Immer mehr Unternehmen setzen der Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter in der Freizeit Grenzen. Mail-Server werden abgeschaltet, Anrufe auf das Handy unterbunden. Das ist juristisch aber problematisch. Es geht auch anders.

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In einigen Bundesländern herrscht die fünfte Jahreszeit, einige haben sogar eine ganze Woche Winterferien. Endlich Zeit, sich vom Stress am Jahresende zu erholen.

Arbeitnehmer haben einen Anspruch auf störungsfreie Ruhezeiten und Urlaubstage. Sofern sie nicht leitende Angestellte sind, können sie ihr Smartphone außerhalb der Höchstarbeitszeiten getrost abschalten. Aber haben auch die Arbeitgeber das Recht, ihre Mitarbeiter vom Informationsfluss abzukoppeln, nur weil sie nicht „im Dienst“ sind? Erst jüngst forderte der Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück medienwirksam die Löschung dienstlicher E-Mails während der Freizeit und fachte damit die bundesweite Diskussion über die Grenzen der digitalisierten Arbeitswelt neu an.

Aus rechtlicher Sicht ist die Löschung von E-Mails oder anderer Nachrichten durch den Arbeitgeber außerhalb der Arbeitszeit aber nicht unproblematisch.

Berufsfreiheit nicht einschränken

Dem Anspruch, die Arbeitnehmer vor überproportionaler Belastung und Stress zu schützen, steht zunächst der grundgesetzliche Schutz der Berufsfreiheit entgegen. So kann ein Mitarbeiter daran gehindert werden, seinen Beruf auszuüben, wenn ihm durch Löschung von E-Mails Informationen vorenthalten werden, die er zur Kommunikation mit Kunden oder Kollegen benötigt. Dies kann auch dann gelten, wenn sie zwar nicht gelöscht, aber erst mit Beginn der Arbeitszeit des Mitarbeiters verzögert übermittelt werden.

Martin Lüderitz ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und leitet als Counsel die arbeitsrechtliche Beratung von Bryan Cave in Hamburg. Quelle: PR

In internationalen Konzernen, die mit Kunden und Lieferanten in verschiedenen Zeitzonen zu tun haben, muss der Arbeitgeber gewährleisten, dass ein freier Informationsfluss auch außerhalb der geregelten Arbeitszeit in Deutschland erfolgen kann. Dass in Ländern wie China oder den USA – mithin den wichtigsten Handelspartnern außerhalb der EU – andere Feiertage und Urlaubszeiten gelten, macht die Situation zudem nicht einfacher. Werden für einen Großauftrag entscheidende Dokumente nicht an den Mitarbeiter versandt, sondern gelöscht, und werden dadurch Fristen versäumt, können durchaus erhebliche wirtschaftliche Schäden entstehen. Der Vorschlag, der Versender müsse von der Löschung informiert werden und die E-Mail dann nach Beginn der Arbeitszeit des Empfängers erneut senden, ist nicht praktikabel und realitätsfern.

Benachteiligung ist unzulässig

Ferner ist es gesetzlich unzulässig, einen Arbeitnehmer zu „maßregeln“. Danach darf der Arbeitgeber einen Angestellten nicht benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte (etwa auf Ruhezeit und Urlaub) ausübt. Ist er vorübergehend nicht in der Lage eine E-Mail zu lesen, wird er durch die Löschung der E-Mail außerhalb der Arbeitszeit in unzulässiger Weise benachteiligt. Auch Errungenschaften neuester Zeit wie die Einbindung von Mitarbeitern, die sich in Elternzeit befinden, in den Informationsfluss, um ihnen den Wiedereinstieg nach der Auszeit zu erleichtern, würden so in Frage gestellt.

Interesse an Erreichbarkeit berechtigt

Im Kern muss also das Unternehmen zwischen den berechtigten Interessen der Arbeitnehmer an einem störungsfreien Informationsfluss und dem Schutz der Mitarbeiter vor dem Stress einer 24-stündigen Erreichbarkeit an sieben Tagen/Woche abgewogen werden. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Betriebsrat, der bei der Ausgestaltung der Regelungen umfassende Mitbestimmungsrechte hat. Einerseits müssen Mitarbeiter geschützt werden, andererseits beim Versand von E-Mails außerhalb der Arbeitszeit des Empfängers entsprechend sensibilisiert werden. Hinweise zur Dringlichkeit der Nachricht können ebenso geeignet sein, wie das (zeitweise) Blockieren der Zustellung; die Löschung ist es jedenfalls nicht.

Dass ein solcher Prozess nicht einfach ist, zeigen die Bemühungen des Bundesarbeitsministeriums, für die eigenen Mitarbeiter eine entsprechende Vereinbarung mit dem Personalrat zu erreichen. Während die frühere Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen immer wieder betriebliche bzw. gesetzliche Regelungen zur Begrenzung der Mitarbeiter-Erreichbarkeit forderte, sieht eine entsprechende, im Jahr 2013 verabschiedete Richtlinie des Ministeriums "zur ausnahmsweisen Erreichbarkeit außerhalb der individuellen Arbeitszeit" keine grundsätzliche Abschaltung von Mailservern vor, sondern lediglich eine Begrenzung von Störungen in der Freizeit auf „begründete Ausnahmefälle“.

Unternehmen brauchen flexible Leitlinien

Damit deutet sich ein Ausweg aus der Zwickmühle für die Unternehmer an, denen die Gesundheit ihrer Mitarbeiter ebenso am Herzen liegt wie die durch die Digitalisierung gewonnene zusätzliche Flexibilität der Arbeitswelt 4.0: Unternehmensleitlinien sollten klarstellen, wie viel Erreichbarkeit der Arbeitgeber für welche Leitungsfunktionen erwartet, und welche Rechte der Arbeitnehmer gleichzeitig hat, abzuschalten und E-Mails liegen zu lassen. Damit sollte sich eine Löschung von E-Mails, die im Ernstfall wirtschaftliche Einbußen mit sich bringen kann, verhindern lassen.

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