Rein rechtlich

Sinnvolle Grenzen der Mitbestimmung

Geht es nach dem Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof, ist die Mitbestimmung bei deutschen Konzernen europarechtskonform und darf auf deren Mitarbeiter in Deutschland beschränkt bleiben. Ein gutes Votum.

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Der Europäische Gerichtshof. Quelle: dpa

Der Stein, den der deutsche TUI-Aktionär Konrad Erzberger mit seiner Klage gegen die Zusammensetzung des Aufsichtsrats des Reisekonzerns ins Rollen gebracht hat, hätte leicht eine Lawine auslösen können. Seiner Ansicht nach ist der Aufsichtsrat falsch besetzt, weil nach dem Mitbestimmungsgesetz nur die TUI-Beschäftigten in Deutschland die Arbeitnehmervertreter wählen dürfen. Ob dies europarechtswidrig ist, wollte das Kammergericht Berlin vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) wissen.

Doch eine Diskriminierung von Mitarbeitern an Standorten außerhalb Deutschlands liegt nach Einschätzung Generalanwalts am EuGH, Henrik Saugmandsgaard Øe, nicht vor. In seinen viel beachteten Schlussanträgen stellte er vergangene Woche klar, dass das Mitbestimmungsgesetz durchaus (nationale) Grenzen setzen darf. Die Luxemburger Richter folgen in der Regel den Argumenten der Generalanwälte.

Würde der EuGH das deutsche Mitbestimmungsgesetz kippen, hätte dies weitreichende Auswirkungen auf vergleichbare Verfahren, die zurzeit vor anderen Gerichten ruhen und in Erwartung der EuGH-Entscheidung ausgesetzt wurden.

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Bis zur Hälfte Arbeitnehmervertreter

Das ist insbesondere deswegen heikel, weil das Mitbestimmungsgesetz wichtige Eckpunkte für die Corporate Governance, also die Gestaltung der Unternehmensführung in den großen Unternehmen, setzt. In Deutschland besteht neben der betrieblichen Mitbestimmung durch Betriebsräte ab einer bestimmten Größe die Pflicht, Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat aufzunehmen. Bei mehr als 500 beschäftigten Arbeitnehmern erfolgt dies nach Maßgabe des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG) zu einem Drittel, bei mehr als 2000 Arbeitnehmern zur Hälfte nach dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG).

Im Konzernverbund können Mitarbeiter abhängiger Konzerntöchter der herrschenden Konzernmutter zugerechnet werden. Während eine solche Zurechnung nach dem Mitbestimmungsgesetz in jedem Fall stattfindet, ist dies bei der Drittelmitbestimmung nur bei Vorliegen von Beherrschungsverträgen der Fall.

Michael Magotsch. Quelle: PR

Deutsches Mitbestimmungsrecht im Ausland?

Fraglich ist, ob diese Regeln an den Grenzen Deutschlands enden, oder ob deutsche Mitbestimmungsgrundsätze auch im Ausland zur Anwendung kommen müssen. Insbesondere ist umstritten, ob im Ausland beschäftigte Mitarbeiter ausländischer Tochtergesellschaften bei den vorgenannten Schwellenwerten berücksichtigt werden müssen oder ob sie sogar wahlberechtigt sind. Bisher herrschte die Auffassung vor, dass sich deutsche Gesetze grundsätzlich nicht auf ausländische Staaten erstrecken und dass folglich die deutsche Mitbestimmung nur auf inländische Arbeitnehmer Anwendung findet.

Deutsche Gesetzgebung und andere Staaten

Das Landgericht Frankfurt ist nun aber vor nicht allzu langer Zeit von diesen Grundsätzen abgewichen und hat entschieden, dass auch im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer von ausländischen Tochtergesellschaften bei der Ermittlung der Arbeitnehmeranzahl zu berücksichtigen und an der Aufsichtsratswahl zu beteiligen sind (Az.: 3-1601/14). Eigentlich sieht das sogenannte Territorialitätsprinzip vor, dass sich die deutsche Gesetzgebung nicht auf das Hoheitsgebiet anderer Staaten erstreckt.

Der Fall betraf ein Statusverfahren der Deutsche Börse AG und ist mittlerweile beim OLG Frankfurt in der Beschwerdeinstanz anhängig. Es ruht dort aber angesichts des aktuellen EuGH-Verfahrens in Sachen TUI AG.

Kippt die deutsche Mitbestimmung, braucht es neue Aufsichtsräte

Würden die Luxemburger Richter das Mitbestimmungsgesetz in seiner jetzigen Form aus den Angeln heben, müsste die Deutsche Börse AG einen paritätisch besetzten Aufsichtsrat bilden. Das hätte auch weitere Folgen, da an die Mitbestimmung und deren Ausgestaltung zahlreiche andere Regelungen der Corporate Governance geknüpft sind. So gilt etwa, um ein Beispiel zu nennen, für paritätisch mitbestimmte börsennotierte Unternehmen eine Mindestquote von 30 Prozent Frauen im Aufsichtsrat.

Hunderte andere Unternehmen wären verpflichtet, erstmals einen mitbestimmten Aufsichtsrat einzurichten oder von der Drittelbeteiligung zu einer hälftigen Vertretung der Beschäftigtenseite im Kontrollgremium zu wechseln.

Abgesehen von dem damit verbundenen organisatorischen Aufwand – es drohen etwa ganz erhebliche Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung und Durchführung von Wahlverfahren im Ausland - und den Kosten stellt sich die Frage, ob ein Wahlrecht von Arbeitnehmern im europäischen Ausland nicht weit über den Sinn und Zweck der Mitbestimmung hinausschießt. In der Begründung des Urteils der Frankfurter Richter heißt es, die Arbeitnehmerfreizügigkeit werde beeinträchtigt, da ein Wegzug aus Deutschland zum Verlust der Mitbestimmung führe.

Die Anknüpfung der Mitbestimmungsregeln an den Tätigkeitsort beinhalte eine mittelbare Diskriminierung ausländischer Mitarbeiter.

Unternehmen brauchen Rechtssicherheit

Es wäre zu begrüßen, wenn der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts folgen würde. Damit wäre die Rechtsunsicherheit beendet. Weitere zeitraubende Statusverfahren könnten so vermieden werden. Aufsichtsräte, über denen das Damoklesschwert der Falschbesetzung schwebt, können nicht effizient und zeitnah ihren Aufgaben nachkommen. Ohne die Durchführung eines Statusverfahrens ist jedoch eine Aufsichtsratswahl nichtig. Entsprechend sind auch die vom Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse ungültig. Damit ist eine Aktiengesellschaft in ihrer Handlungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.

Das kann nicht der Sinn des Europäischen Rechts sein.

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