Rein rechtlich Unternehmer im Dienste der Steuerfahndung

Grenzüberschreitende Geschäfte werden vom Fiskus häufig mit Argusaugen verfolgt. Ob es sich um Warenaustausch innerhalb eines Unternehmens dreht oder um die Lieferung von Ware ins Ausland – es wird regelmäßig geprüft, ob der Unternehmer dabei im Heimat- wie auch im Zielland seinen steuerlichen Pflichten nachkommt. Die Nachweise, die er dafür erbringen muss, wachsen mittlerweile ins Uferlose. Mit der dabei notwendigen Prüfung der Geschäftspartner werden Unternehmer zu Steuerfahndern. Und statt den Gesetzgeber in die Schranken zu verweisen, bestärkt der Gerichtshof der Europäischen Union auch noch die immer absurder werdende Praxis.

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Quelle: dpa

Im entschiedenen Fall ging es um ein ungarisches Unternehmen, das mit Getreide, Tabak, Saatgut und Futtermitteln handelt. Es verkaufte an eine italienische Gesellschaft 1000 Tonnen Raps und ließ diesen vom Käufer in Ungarn abholen. Der übersandte dem Händler von Italien aus mehrere sogenannte CMR-Frachtbriefe. Für den Verkäufer war damit belegt, dass der Raps nach Italien geliefert worden war. Entsprechend ging er von einem von der Mehrwertsteuer befreiten innergemeinschaftlichen Umsatz aus und stellte diese auch nicht in Rechnung.

Für den italienischen Fiskus war die Käuferin jedoch nicht auffindbar, in Italien hatte sie nie Mehrwertsteuer für das Geschäft abgeführt. Daraufhin wurde die Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer der Gesellschaft rückwirkend gelöscht. Da damit kein steuerbefreiter innergemeinschaftlicher Handel mehr nachgewiesen werden konnte, verlangte nun das Finanzamt in Ungarn vom Verkäufer die Zahlung der Mehrwertsteuer und verhängte eine Geldbuße und einen Verspätungszuschlag, der in Ungarn in nicht unbeträchtlicher Höhe an den Fiskus abgeführt werden muss. Im Kontext des Verfahrens legte das ungarische Gericht dem EuGH die Frage vor, wie der Verkäufer beweisen kann, dass eine mehrwertsteuerbefreite Lieferung erfolgt ist, und ob er für das rechtswidrige Handeln des Käufers verantwortlich gemacht werden kann.

Hans Weggemann

Harte Linie wird bestätigt

Zwar halten die Luxemburger Richter zunächst fest, dass der nationale Gesetzgeber festlegen muss, welche Nachweise ein Händler erbringen muss, um für ein Geschäft innerhalb der Unionsgrenzen von der Mehrwertsteuer befreit zu werden. Die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit seien allerdings zu beachten. Und dennoch bestätigt er die harte Linie früherer Entscheidungen, in denen dem Unternehmer die Befreiung versagt wird, „wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass dieses Geschäft mit einer Steuerhinterziehung des Käufers verknüpft war, und er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um diese zu verhindern.“ Mit anderen Worten: Der Unternehmer wird zur Verhinderung von Steuerstraftaten herangezogen, allenfalls bleiben ihm Steuervergünstigungen versagt. Mehr noch, er muss selbst wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.

Verkäufer in der Rolle des Steuerfahnders

Jüngster Auswuchs dieses Rollenwechsels ist in Deutschland die Einführung der sogenannten „Gelangensbestätigung“. Seit dem 1. Januar verlangt die neue Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vom Händler, sich für jede Warensendung eine Bestätigung in der jeweiligen Landessprache ausstellen lassen müssen, dass die Ware auch angekommen ist. Früher waren dafür Speditionsbelege ausreichend. Zwar dauert das Tauziehen um die konkrete Ausgestaltung der neuen Nachweispflicht zwischen Bundesfinanzministerium und Vertretern der Wirtschaft noch an. Klar ist aber: Der Verkäufer wird, wenn er die ihm zustehenden Steuererleichterungen erhalten will, immer mehr in die Rolle eines Steuerfahnders gedrängt. Zudem muss er die Kosten der Einführung der Gelangensbestätigung tragen. Von der Verhältnismäßigkeit, die das europäische Recht für die Nachweispflichten seitens der Unternehmen vorsieht, entfernen wir uns immer weiter. In wieweit dieser Umstand dadurch kompensiert wird, dass Unternehmer mithilfe der Gelangensbestätigung endlich mehr Rechtssicherheit erhalten, kann noch nicht abgeschätzt werden. Der internationale Handel – eine der Säulen des wirtschaftlichen Erfolgs der Bundesrepublik - bleibt steuerlich ein Vabanquespiel.

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