Schäuble-Berater Wie Banken den Fiskus hintergehen

Professor Christoph Spengel erklärt die Vorgehensweise und Rechtsverstöße beim Dividenden Stripping.

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Eine Börsenhändlerin beobachtet ihre Monitore Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Herr Professor Spengel, wie viele Milliarden Euro entgehen dem deutschen Fiskus dadurch, dass ausländische Staatsfonds, Hedgefonds und andere Investoren ihre Aktien um den Dividendenstichtag kurzzeitig auf ein deutsches Institut übertragen und so die Kapitalertragsteuer von 25 Prozent umgehen?

Genaue Zahlen gibt es dazu nicht. Aber bei 42 Milliarden Euro geschätzter Dividenden-Ausschüttung und rund 65 Prozent Auslandsbesitz der Dax-Aktien ist ein Schaden von bis zu 5 Milliarden Euro im Jahr 2015 für den deutschen Fiskus im Bereich des Möglichen. Die ertragschwächeren Vorjahre sind hier nicht eingerechnet. Folgt man diesen Überschlagsberechnungen, könnte sich der gesamte Steuerausfall aus diesen Geschäften in den vergangenen 10 Jahren auf rund 20 Milliarden Euro aufsummieren.

Zur Person

Ist das so genannte Dividenden Stripping überhaupt legal?

Jede einzelne Teilaktion ist für sich betrachtet nicht illegal, allerdings liegt ihnen ein Gesamtplan zugrunde. Denn funktionieren tun diese Geschäfte ja nur, weil sich der deutsche Kurzzeitbesitzer die Kapitalertragsteuer auf die Dividende erstatten lässt, was dem eigentlichen ausländischen Investor nicht möglich ist. Entscheidend ist zunächst die Frage, ob derjenige, der sich die Kapitalertragsteuer erstatten lässt, der wirtschaftliche Eigentümer der Aktien ist und damit die Anrechnung beziehungsweise Erstattung der Kapitalertragsteuer begehren kann. Dies ist eine Frage des Einzelfalls. Der Bundesfinanzhof hat dies kürzlich bei einem Gesamtvertragswerk, bei dem der Kurzzeitbesitzer wirtschaftlich überhaupt kein Kursrisiko getragen hat, explizit verneint.

Was bedeutet es, wenn die hiesige Bank oder Investmentgesellschaft zwar Kurzzeitbesitzer von Aktien, aber nicht der wirtschaftliche Eigentümer ist und sich die Kapitalertragsteuer erstatten lässt?

Dann tut sie dies unberechtigter Weise, denn sie ist nicht zur Erstattung der Kapitalertragsteuer berechtigt. Ob das wirtschaftliche Eigentum beim Dividenden Stripping nach derzeit geltendem Recht übergegangen ist oder nicht, ist umstritten und, wie gesagt, eine Frage des Einzelfalls. Interessanterweise hat das höchste Bundesgericht der Schweiz am 5. Mai 2015 zu einem Fall des Dividenden Stripping entschieden und den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums grundsätzlich verneint. Unabhängig davon, ob das wirtschaftliche Eigentum übergegangen ist oder nicht, dürfte aber ein Gestaltungsmissbrauch vorliegen. § 42 Abgabenordnung sagt eindeutig: Geschäfte, deren einziges Ziel die Vermeidung von Steuern ist und für die keine außersteuerlichen Gründe nachgewiesen werden, sind steuerlich nicht zu beachten.

Wer muss die außersteuerlichen Gründe gegenüber dem Fiskus nachweisen?

Derjenige, der sich die Kapitalertragsteuer erstatten lässt. Also eine deutsche Bank oder eine deutsche Investmentgesellschaft, die in das Dividenden Stripping involviert ist und die Steuer erstattet bekommen hat oder die Erstattung für die Zukunft begehrt. Rückwirkend können die in Frage stehenden Fälle der letzten 10 Jahre durchleuchtet werden. Und das ist keine Petitesse, sondern es geht hier um Milliardenbeträge.

"Geld- und Haftstrafen von bis zehn Jahren"

Auch so genannte Investmentaktiengesellschaften werden beim Dividenden Stripping eingesetzt. Was hat es damit auf sich?

Im Grundsatz handelt es sich im Vergleich zur Zwischenschaltung von Banken um nichts neues. Verglichen mit Banken sind Investmentaktiengesellschaften jedoch von der Steuer befreit. Dies bedeutet, dass bei diesen Gestaltungen im Falle des Dividendenbezugs eine Kapitalertragsteuer erst gar nicht einbehalten wird, falls diese Gesellschaften eine sogenannte Nichtveranlagungsbescheinigung vorlegen können. Da diese Gesellschaften speziell für eine Transaktion aufgesetzt werden und danach sofort wieder abgewickelt werden, ist diese Variante für den Fiskus besonders nachteilhaft. Denn er wird hier seine Steueransprüche nicht durchsetzen können, weil sie einfach nicht mehr da sind im Gegensatz zu den Banken.

Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte

Wer macht sich denn beim Dividenden Stripping strafbar?

Ist der Tatbestand des § 42 Abgabenordnung erfüllt, haben sich die Banken sowie die Akteure der Investmentgesellschaften, die die Kapitalertragsteueranrechnung bzw. die Steuerbefreiung begehren, zu verantworten, falls sie mit ihrem Antrag nicht den ganzen Sachverhalt offengelegt haben sollten. Dies dürfte häufig der Fall sein.

Wie sehen denn die Strafen aus?

Einzelheiten regelt § 370 Abgabenordnung. Neben Geldstrafen sieht dieser Haftstrafen von bis zu fünf Jahren vor. In schweren Fällen sogar bis zu zehn Jahre. Entscheiden werden aber letztlich die Gerichte. Man kann auch über die Möglichkeit einer Selbstanzeige nachdenken.

Wie kann der Fiskus denn erkennen, ob sich ein Aktionär die Kapitalertragsteuer zu Unrecht hat erstatten lassen?

Das ist ein großes Problem. Denn in Deutschland werden tagtäglich viele Millionen Aktien gehandelt. Da ist es für den einzelnen Finanzbeamten nahezu unmöglich, bei einem Antrag auf Erstattung der Kapitalertragsteuer gleich zu erkennen, ob missbräuchliche Geschäfte dahinter stecken, wenn der die Erstattung Begehrende nicht den gesamten Sachverhalt offenlegt, also etwa nicht auf Hedgegeschäfte hinweist.

Dann brauchen sich die Dividenden Stripper doch nur in die Furche ducken und hoffen, dass sie nicht entdeckt werden, oder?

Das wäre mutig, denn die betroffenen Banken und Investmentgesellschaften sind verpflichtet, im Fall der Anrechnung oder des Begehrens auf Anrechnung der Kapitalertragsteuer den Fiskus auf den konkreten Sachverhalt, d.h. auch auf normalerweise nicht erkennbare Hedgegeschäfte, ausdrücklich hinzuweisen. Wie hoch das Entdeckungsrisiko einzustufen ist, müssen die Betroffenen selbst entscheiden. Es handelt sich ja nicht um eine kleine, abgrenzbare Personengruppe. Zudem ist in der Öffentlichkeit und in der Finanzverwaltung das Bewusstsein hinsichtlich dieser Gestaltungen in den letzten beiden Jahren deutlich gestiegen.

"Mehr Transparenz schaffen"

Beteiligte an diesen Gestaltungen sagen dagegen, der Bundesfinanzhof habe entschieden, dass beim Dividenden Stripping kein Gestaltungsmissbrauch vorliege. Stimmt das?

Diese Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist zu einer seit 2002 nicht mehr geltenden Rechtslage ergangen. Soweit ich es überblicke, erging das letzte einschlägige Urteil des Bundesfinanzhofs am 20. November 2007 zu einem Sachverhalt, der das Jahr 1988 betraf.

Bitte sehen Sie mir nach, dass ich jetzt kurz ein wenig technisch werde: Bis einschließlich 2001 hat das Einkommensteuergesetz in § 50 c Absatz 8 eine Börsenklausel enthalten, welche „über die Börse“ ausgeführte Geschäfte unabhängig von der Motivation der Beteiligten und von etwaigen Individualabsprachen erfasst hat. Diese Börsenklausel hat nach damals geltender Rechtslage die Dividenden Stripper vor der Anwendung der allgemeinen Missbrauchsnorm des § 42 Abgabenordnung geschützt. Der § 50 c Absatz 8 Einkommensteuergesetz ist aber durch das Standortsicherungsgesetz mit Wirkung für die Jahre ab 2002 entfallen. Deswegen rate ich bei der Einschätzung der seitdem geltenden Rechtslage zur Vorsicht. Man kann den Marktteilnehmern bei diesen Geschäften nur nachdrücklich empfehlen, den ganzen Sachverhalt offenzulegen, um sich nicht dem Verdacht der aktiven Steuerhinterziehung auszusetzen.

Was könnte der Gesetzgeber unternehmen, um missbräuchliches Dividenden Stripping zu erschweren bzw. leichter zu erkennen?

Man könnte etwa mehr Transparenz schaffen, welche die Meldepflichten des Wertpapierhandelsgesetzes derzeit ungewollt verhindern. Australien hat eine 45-Tage-Regel eingeführt. Danach müssen Investoren Aktien mindestens 45 Tage rund um den Dividendenstichtag halten und dürfen den Kurs nicht absichern, um sich die Kapitalertragsteuer erstatten zu lassen. Das erhöht erstens die Transaktionskosten für die ausländischen Investoren. Zum zweiten entsteht so auch abseits von § 42 Abgabenordnung eine Meldepflicht gegenüber dem Fiskus, der dann leichter nachvollziehen kann, welche Art von Transaktion zugrunde liegt. Eine solche 45-Tage-Regel wäre auch für Deutschland ein geeignetes Instrument gegen missbräuchliches Dividenden Stripping.

Kritiker sagen, dass deutsche Aktien für ausländische Investoren uninteressant werden, wenn diese am Ende die 25 Prozent Kapitalertragsteuer zahlen müssen. Muss man dieses Argument unter dem Stichwort „Attraktiver Standort Deutschland“ nicht berücksichtigen?

Der Aufbau von Drohkulissen ist rechtlich bestandslos. Wer Steuern zu Unrecht nach § 42 Abgabenordnung verkürzt, muss sich den rechtlichen Konsequenzen stellen, ob er mag oder nicht. Außerdem ist diese von Steuerrechtspraktikern gestreute Behauptung durch nichts belegt. Im Gegenteil: Solange deutsche Unternehmen besser als ihre Konkurrenten wirtschaften, sind sie für Anleger im In- und Ausland attraktiv. Dies gilt mit und ohne Kapitalertragsteuerpflicht der Dividenden. Wie bereits oben gesagt, kommt man auch in der Schweiz in ähnlich gelagerten Fällen seit kurzem nicht mehr um die Kapitalertragsteuer herum.

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