Steuerflucht der Konzerne Wie Steuerschlupflöcher Betriebsrentner benachteiligen

Seite 5/5

Richter zeigt Sozialneid, aber kein Verständnis

Benchmark, Kostenaufschlag, Gewinnaufschlag – Reinhardt ist das eigentlich alles egal. Er hat sich zwar tief hineingegraben in das Geflecht internationaler Steuerakrobatik, letztlich will er aber vor allem eins: dass seine Rente wieder erhöht wird. Mit dem Wissen darüber, wie Umsatz und Gewinn der AGNS Deutschland zustande kommen, rechnete er sich beste Chancen aus, das durchzusetzen.

Ein Irrtum. „Vor Gericht hatten wir von Anfang an schlechte Karten“, sagt Reinhardt. „Die AGNS Deutschland ließ extra einen englischsprachigen Geschäftsführer aus London einfliegen, der saß dann mit zwei Simultandolmetschern und einem Gutachter vor dem Arbeitsrichter in Stuttgart. Das machte Eindruck!“ Dazu sei noch eine gehörige Portion Sozialneid gekommen. „Ein Richter sagte mit Blick auf die Betriebsrente eines Klägers: ,Was wollen Sie denn? Wenn ich so viel hätte wie Sie, wäre ich aber froh.‘“

Bislang haben die Betriebsrentner vor Gericht eine Schlappe nach der anderen erlitten. Im April urteilte das Bundesarbeitsgericht (3 AZR 107/14). Auch die dortigen Richter nickten die Ablehnung der Rentenerhöhung ab, weil das Unternehmen sonst „übermäßig belastet“ werde und keine „angemessene Eigenkapitalverzinsung“ mehr erwirtschaften würde. Als angemessen setzten die Richter die Rendite öffentlicher Anleihen zuzüglich zwei Prozent Risikoaufschlag an, 2010 waren das 4,4 Prozent. Da die AGNS Deutschland aber nur geringe Gewinne ausweist und gleichzeitig mit viel Eigenkapital ausgestattet ist – aufgelaufene Überschüsse werden stets als Rücklage einbehalten und dem Eigenkapital zugerechnet –, ist ihre Eigenkapitalverzinsung gering. Nach Abzug bestimmter Pensionslasten kamen die Richter am Bundesarbeitsgericht für 2010 auf nur 2,7 Prozent.

Dabei stellen die Richter selbst fest, dass über das AGITA „die Gewinnentstehung“ der AGNS Deutschland gesteuert wird. Trotzdem sei die Eigenkapitalverzinsung so zu ermitteln wie bei anderen Unternehmen auch. Dass die Rentenerhöhung die AGNS Deutschland tatsächlich gar nicht belasten würde, weil die Ausgaben – wie andere Kosten – im Konzern ausgeglichen würden, beeindruckte die Richter nicht. Reinhardt wird wütend, wenn er das hört. Er glaubt, dass die Richter die komplexe Sachlage einfach nicht verstanden haben.

Dass Verrechnungsmodelle mit deutschem Arbeitsrecht kollidieren, ist kein Einzelfall. So berichten Steuerberater von Fällen, in denen sich Geschäftsführer von Konzerntöchtern gegen die Einführung solcher Modelle gewehrt haben. Da ihre Boni am Gewinn der jeweiligen Konzerntochter hingen, hätten die steueroptimierten, niedrigen Gewinne sie Geld gekostet.

Doch anders als solche Geschäftsführer haben die Betriebsrentner der AGNS Deutschland heute keinen Einfluss im Unternehmen mehr.

Ans Aufgeben denken Reinhardt und seine Mitstreiter trotz der Niederlage am Bundesarbeitsgericht bislang nicht. Sie erwägen, als Nächstes vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%