
Nanu, was sind denn das für Töne? Die Überschrift von Punkt 1.6 des CDU-Wahlprogramms lautet: „Steuern: einfach, wettbewerbsfähig und gerecht“. Und weiter heißt es, schonungslos offen in Analyse und Sprache: „Das deutsche Steuerrecht steht wie nirgendwo sonst auf der Welt für Komplexität, Unübersichtlichkeit, überhöhte Steuersätze und verfestigte Besitzstände.“ Es brauche daher, so die CDU, einen steuerpolitischen Neuanfang – getragen vom Leitgedanken der Vereinfachung.





Es sind klare, prägnante, hoffnungsfrohe Sätze für steuergeplagte Bürger und Unternehmen. Doch leider sind es keine Sätze aus dem aktuellen Wahlprogramm der Merkel-CDU, das Anfang Juli offiziell vorgestellt werden soll. Stattdessen handelt es sich um Auszüge aus dem Programm, das die Union im Juli 2005 mit Blick auf die damalige Bundestagswahl erst verabschiedet, dann aber schnell verworfen hat. Seither ist auch der Vorschlag einer radikal vereinfachten Einkommensteuer (drei Stufen; 15, 20 und 25 Prozent; keine Abschreibungen) vom Tisch, seither ist dessen Urheber, der Verfassungsrechtler und damalige CDU-Schattenfinanzminister Paul Kirchhof, von der politischen Bühne verschwunden. Seither sind zwölf Jahre vergangen, in denen die Angela-Merkel-CDU das Thema demonstrativ beschwiegen hat.
Dabei täte eine Reform mehr not denn je; das deutsche Steuerrecht ist nämlich noch komplizierter geworden. Unternehmen müssen mittlerweile auch Zins- und Lizenzschranken in ihren Steuerbilanzen beachten, sie haben ihre internationalen Geschäfte akribisch zu dokumentieren und in jedem Land öffentlich Rechenschaft abzulegen. Für Hunderttausende Mittelständler existiert seit ein paar Jahren eine umständliche und damit kaum praktikable Regelung zur „Thesaurierung“ von Gewinnen. Und will ein Bürger sein Haus sanieren und dabei vielleicht einige Euro Steuern sparen, droht er von höchst detaillierten Ratschlägen und Vorschriften zu möglichen Fördermitteln erschlagen zu werden. Auf einen Bierdeckel, auf dem wir Deutsche nach der Vision von Ex-CDU-Vordenker Friedrich Merz unsere Steuererklärung einmal skizzieren sollten, passt nach all den Jahren nur der Hohn der Politik: „Ätsch, hat leider doch nicht geklappt – und wird auch nicht klappen.“
Denn nichts deutet darauf hin, dass die Parteien in den nächsten vier Jahren irgendetwas zur Vereinfachung des deutschen Steuerrechts unternehmen werden. Im Gegenteil, die Linke will die Vermögensteuer reaktivieren, mit der doppelten Folge, dass der Fiskus schätzungsweise 40 Millionen Immobilien neu bewerten müsste – und dass jeder Eigentümer gegen die Neubewertung klagen könnte. Sozialdemokraten und Grüne geben sich zwar noch unschlüssig, ob sie dabei mitmachen wollen. Dafür basteln sie bereits an einer zusätzlichen Progressionseinheit bei der Einkommensteuer. Und auch die beiden bürgerlichen Parteien, Union und FDP, arbeiten an einer weiteren Verkomplizierung des Steuerwesens: Sie wollen eine Art Baukindergeld sowie Abschläge bei der Grunderwerbsteuer einführen.
Das alles rechtfertigende Zauberwort dafür heißt Gerechtigkeit oder deutlicher ausgedrückt: Umverteilung. Diesem Drang wollen deutsche Politiker sogar die größte Steuervereinfachung der vergangenen 15 Jahre opfern: die Abgeltungsteuer. Der pauschale Satz von 25 Prozent auf Kapitalerträge ist vielleicht das beste Beispiel für die Irrwege des steuerpolitischen Zeitgeistes.