
Seit Jahresanfang sind Stundenlöhne unter 8,50 Euro nicht mehr zulässig. Der neue Mindestlohn gilt – mit wenigen Ausnahmen – für alle. Doch wer bei den Betroffenen nur an Putzkräfte, Friseure oder Callcenter-Mitarbeiter denkt, irrt. „Auch Normalverdiener können schnell unter die 8,50 Euro rutschen, wenn ihr Fixgehalt nur einen geringen Anteil des Gesamtgehalts ausmacht“, sagt Michael Huth, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ebner Stolz in Hamburg.
In der Praxis lägen die nach dem Mindestlohn anerkannten Beträge oft deutlich unter der Lohnsumme. Großunternehmen hätten das meist auf dem Schirm. „Kleine und mittelgroße Unternehmen ohne Rechts- oder Steuerabteilung aber sind darauf teilweise noch unzureichend vorbereitet“, sagt Huth. So kann zum Beispiel ein Vertriebler im Außendienst bei 3000 Euro Durchschnittsverdienst pro Monat und 40-Stunden-Woche zu wenig verdienen– obwohl er, rein rechnerisch, auf über 17 Euro pro Stunde kommt.
Recht einfach: Putzen
Ein Vermieter aus Nordrhein-Westfalen hatte im Mietvertrag festgelegt, dass Treppenhaus und Keller des Mehrfamilienhauses nach einem von ihm erstellten Reinigungsplan von den Mietern abwechselnd zu säubern seien. Ein Mieter wollte nicht zu Schrubber und Besen greifen. Vor Gericht wurde er dazu verdonnert. Die Richter erklärten die Putzklausel für rechtmäßig (Amtsgericht Borken, 15 C 466/04).
Ein Mieter aus Bremen war mit seiner Putzpflicht drei Tage im Verzug. Der Vermieter fürchtete Proteste anderer Bewohner. Flugs beauftragte er Profis. Die Rechnung sollte der säumige Mieter zahlen. Der wehrte sich – ohne Erfolg. Die Richter hielten die postwendende Beauftragung des Putzservices für zulässig (Amtsgericht Bremen, 9 C 346/12).
Ein Vermieter aus Regensburg ließ die ihm gehörende Apartmentanlage zwei Mal pro Woche von einer Fremdfirma säubern. Die Mieter spürten den Putzfimmel des Hausbesitzers über die hohe Nebenkostenabrechnung. Sie wehrten sich erfolgreich. Einmal pro Woche Putzen reiche auch in großen Wohnanlagen aus, so das Amtsgericht Regensburg (11 C 3715/03).
Ein Mieter in Hockenheim zog aus seiner Mietwohnung. Wie im Vertrag vereinbart, fegte er vorher einmal durch. Das war dem Vermieter zu wenig. Er verlangte von dem Ex-Mieter die Kosten für eine Feuchtreinigung mit intensiver Politur der Fensterrahmen. Die Putzkosten wurden zum einem Fall für die Justiz. Die Juristen entschieden für den Mieter. „Besenrein“ bedeute eine grobe Endreinigung mit einem Besen – nicht mehr (Bundesgerichtshof, VIII ZR 124/05).
Dahinter stecken die Details des Mindestlohns. Auf jeden Fall angerechnet werden nämlich nur das Fixgehalt sowie monatlich ausgezahlte Garantieprämien. Im Musterfall könnte das Fixgehalt bei nur 1000 Euro pro Monat liegen, was 6,94 Euro pro Stunde entspricht. Die restlichen 2000 Euro Monatsverdienst blieben voraussichtlich außen vor. Das könnte eine jährliche variable Erfolgsprämie sein, angenommen wurden 6000 Euro. Gleiches gilt für einen pauschalen Spesenersatz (500 Euro pro Monat), den Gegenwert der Privatnutzung eines Dienstwagens (400 Euro), betriebliche Altersvorsorge (300 Euro), jährliches Weihnachtsgeld (umgerechnet 100 Euro pro Monat) und möglicherweise auch Überstundenzuschläge (200 Euro).
Ob Zuschläge zählen, ist noch unklar
Ob Zuschläge für Überstunden, Sonn- und Feiertagsarbeit beim Mindestlohn berücksichtigt werden, ist noch strittig. Auch bei Zulagen für Schichtarbeit und bei Sachbezügen, wie dem zu versteuernden Vorteil aus einer Privatnutzung des Dienstwagens, ist die Rechtslage unklar.
In Branchen, in denen variable Gehaltsbestandteile wie Akkordprämien der Trinkgeld von Bedeutung sind, kann der Mindestlohn schnell greifen. So könnte eine Schneiderin in einer Großschneiderei zwar rund 2000 Euro im Monat verdienen. Würden davon aber nur 1300 fest gezahlt, der Rest als Akkordprämie (650 Euro), Weihnachtsgeld und vermögenswirksame Leistung, entspräche das bei einer 40-Stunden-Woche nur 7,51 Euro Stundenlohn – zu wenig. Auch bei einer Berufseinsteigerin in der Medienbranche, die zwar ihre ganze IT-Ausstattung gestellt bekommt, aber fest nur 1400 Euro verdient, wäre der Lohn zu niedrig.
Betroffene Unternehmen würden meist die Fixgehälter anheben und dafür andere Gehaltsbestandteile senken, berichtet Anwalt Huth. Allerdings würden leistungsabhängige Zahlungen meist nur in geringem Umfang ersetzt. Aus Angestelltensicht führt das zu weniger Geld, aus Unternehmenssicht zu geringeren Leistungsanreizen.