Steueroasen "Ikea hat Steuervermeidung perfektioniert"

Verwirrungen um Ikea-Steuern. Quelle: imago images

Der Strafverteidiger und Honorarprofessor Falk Würfele untersucht die Steuertricks großer Unternehmen. Im Interview berichtet er zusammen mit seiner Studentin Jessica Kasperlik, wie sehr das Möbelunternehmen Ikea die Steuervermeidung auf die Spitze getrieben hat.

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WirtschaftsWoche: Herr Würfele, Sie untersuchen regelmäßig mit Ihren Studenten im Rahmen des Wirtschaftsstrafrechts die Steuervermeidungsstrategien großer Unternehmen. Warum ist das Beispiel Ikea so herausragend?
Falk Würfele: Ich biete meinen Studenten seit Jahren regelmäßig verschiedene Themen aus dem Bereich des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts zur Bearbeitung an. Dabei untersuchen die Studenten unter anderem namhafte Konzerne wie Amazon, Google oder Apple. Die herausragende Arbeit von Frau Kasperlik zeigt, dass Ikea die Steuervermeidung – soweit auf Basis der allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich – in einem gewissen Sinn perfektioniert hat.

Zu den Personen

Frau Kasperlik, worin besteht dieser besondere Trick von Ikea?
Jessica Kasperlik: Auch ich möchte vorausschicken, dass ich meine Erkenntnisse ausschließlich aus offiziellen Quellen bezogen habe. Eine Prüfung auf Basis der Geschäftsunterlagen von Ikea mag zu einem anderen Ergebnis kommen. Auf Basis meiner Informationen ergibt sich folgendes Bild: Es beginnt bei der Konstruktion des Konzerns. Ikea ist in zwei Hauptstränge gegliedert. Es gibt zwei Stiftungen, wobei eine in den Niederlanden und die andere in Luxemburg sitzt. Diese besitzen jeweils eine Holdinggesellschaft. Eine Holding überlässt den Tochterunternehmen, also den einzelnen Unternehmen etwa in Deutschland, das Geld für deren Geschäfte. Gleichzeitig wurde die Marke Ikea innerhalb des Konzerns verkauft und die Rechte der Nutzung gegen Lizenzgebühren vergeben. So besitzt die niederländische Holding die Marke Ikea. Die Tochterunternehmen, die vorher Geld aus den Niederlanden bekommen haben, müssen dann eine Lizenzgebühr in die Niederlande abführen. Und von den Niederlanden wird das Geld weitergeschickt an die Stiftung in Liechtenstein. Damit zirkuliert das Geld durch das ganze Unternehmen und damit werden Steuern vermieden. 

Schon 2014 enthüllten die sogenannten Luxemburg Leaks die besondere Steuermasche von Ikea. Hat der Konzern seitdem etwas verändert an seinem Modell?
Kasperlik: Nach den Enthüllungen der Luxemburg Leaks zeigte eine Studie der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im europäischen Parlament, dass IKEA innerhalb der EU so ziemlich jedes Steuerschlupfloch nutzt, das genutzt werden konnte. Damit kam Ikea auf einen Steuersatz von 0,002 Prozent. Alleine Deutschland sind dadurch 2010 wahrscheinlich über 36 Millionen Euro an Steuern entgangen.

IKEA widerspricht Ihrer Darstellung und teilte der WirtschaftsWoche mit, dass das Unternehmen in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren 848 Millionen Euro an Ertragssteuer und 347 Millionen Euro an Grund- und sonstigen Steuern gezahlt habe. Weltweit habe der IKEA Konzern im Geschäftsjahr 2016 1,9 Milliarden Euro an Steuern gezahlt. Wie verträgt sich das mit Ihren Erkenntnissen?
Würfele: Diese Zahlen sind nicht verwunderlich. Den Prozentsatz bestehend aus 15 % Körperschaftssteuer und ca. 7 % Gewerbesteuer wird jede beschränkt steuerpflichtige Körperschaft zahlen. Interessant wäre eine Stellungnahme zu den gezahlten Lizenzgebühren gewesen, deren Versteuerung im Ausland und der Berücksichtigung als Betriebsausgabe der deutschen Betriebsstätte oder der deutschen Gesellschaft. Aus diesen Umständen könnte sich ergeben, dass die aktuelle Steuerpolitik von IKEA unrechtmäßig ist. Mit diesen Fragen müssen sich der Fiskus und die Politik beschäftigen. Das Ergebnis können wir nicht vorhersehen. Es ist nur eben verwunderlich, dass diese Prüfung und öffentliche Diskussion über die Legalität oder Illegalität nach aktuellem Recht nicht in der gebotenen Tiefe stattzufinden scheint.

Warum wird die Marke Ikea innerhalb des Konzerns verkauft?

Ist das eine übliche Masche, um Steuern zu sparen, oder zeichnet sich das Modell der Marke IKEA durch besondere Tricks aus?
Kasperlik: Schon wenn man die Unternehmensteile skizziert, sieht man wie extrem verschachtelt das Konzept ist. Teilweise fließt das Geld dabei gleich zwei Mal durch dasselbe Land. Von „üblich“ würde ich also nicht sprechen. Dass die Marke IKEA innerhalb des Konzerns verkauft wurde, wirft zudem die Frage auf, warum ein Unternehmen so etwas macht. Das sehe ich in dieser Konstellation als sehr fragwürdig an. Und in meiner Arbeit kam ich zu dem Ergebnis, dass diese Konstruktion der Steuervermeidung dient.

Sehen Sie das auch so, Herr Würfele? Unterscheidet sich das Steuersparmodell von IKEA von anderen der von Ihnen untersuchten Konzerne?
Würfele: Im Detail hat jedes der von uns untersuchten Unternehmen seine eigene Konstruktion. Aber ich teile die Einschätzung von Frau Kasperlik, dass IKEA die Steuervermeidung besonders weit entwickelt hat. Was ich besonders auffällig finde ist, dass die Lizenzgebühren unter diesen Bedingungen der Aufspaltung von Namensrechten und Nutzungsgebühren sehr hoch erscheinen. 

 

Ist diese Art der Steuervermeidung illegal?
Kasperlik: In meiner Arbeit bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass die verwobene Konzernstruktur der Steuervermeidung dient. Meines Erachtens könnte hier ein Fall des Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten vorliegen. Der tatsächliche Sachverhalt müsste von den Finanzämtern genau geprüft werden. Wenn es sich um eine missbräuchliche Gestaltung handelt, müsste IKEA die vermiedenen Steuern nachzahlen. Es könnte also ein Steuernachzahlungsanspruch des Deutschen Staats gegen eine IKEA Gesellschaft bestehen. In diesem Fall wäre die Steuervermeidung illegal.

Ist diese Art der Steuervermeidung auch als Steuerhinterziehung zu werten Herr Würfele?
Würfele: Wie Frau Kasperlik ausgeführt hat, ist die erste Frage, ob die spezielle Unternehmenskonstruktion im Fall IKEA ausschließlich zum Zweck der Steuervermeidung geschieht und sich auch nicht durch einen anderen Grund rechtfertigen lässt. Dann könnte man in einem ersten Schritt von Missbrauch sprechen, der zu einem Nachzahlungsanspruch gegen das Unternehmen führen kann. Die nächste Stufe wäre zu untersuchen, ob sich deshalb eine natürliche Person, zum Beispiel die Geschäftsführung, strafbar gemacht hat. Sofern ein Vorsatz auf die Umgehung des deutschen materiellen Steuerrechts vorliegt, kann sich aus einem Missbrauch grundsätzlich auch eine Strafbarkeit, etwa Steuerhinterziehung, ergeben. Dies wäre die Frage einer Einzelfallprüfung.

Wie könnte der Gesetzgeber solche Steuerschlupflöcher schließen?
Kasperlik: Innerhalb der EU müsste die Steuergesetzgebung für große Unternehmen vereinheitlicht werden. Damit hätten die Unternehmen gar nicht die Möglichkeiten, durch so verschachtelte Unternehmensstrukturen Steuern zu vermeiden.
Würfele: Die Körperschafts- und Einkommenssteuersätze sollten innerhalb der EU generell harmonisiert werden. Damit wäre das Thema innerhalb Europas schon mal vom Tisch. Gleichzeitig haben wir aber schon Gesetze wie z. B. die Abgabenordnung, nach denen man diese Konstruktionen schon jetzt besteuern könnte. Auf kleine Mittelständler werden diese Gesetze ja auch ganz problem- und kompromisslos angewandt. Natürlich ist das bei großen Konzernen schwieriger, aber eben keineswegs unmöglich. Weil die Gesetze aber nicht gleichmäßig angewendet werden, haben wir de facto eine "Zwei-Klassen-Steuerpolitik".  

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