
Zunächst interessierte es kaum jemanden. Aber weil immer mehr US-amerikanische Unternehmen die legale Steuerflucht ins Ausland praktizieren, schauen jetzt viele Beobachter genauer hin. Und sie sind fündig geworden.
Im Jahresabschluss-Bericht von Microsoft, den der Software-Gigant bereits Ende Juli der US-Börsenaufsicht SEC vorlegte, findet sich zur Steuerbelastung des Unternehmens ein brisanter Absatz. Darin steht, dass Microsoft nach den dort gültigen Bilanzierungsvorschriften 29,6 Milliarden Dollar an Unternehmenssteuern hätte zahlen und im Jahresabschluss ausweisen müssen - wenn es sich nicht um Einkünfte und Vermögen außerhalb der USA gehandelt hätte.
Oder anders formuliert: Hätte der Konzern aus Redmond im US-Staat Washington seine außerhalb der USA gehorteten Einnahmen von 92,9 Milliarden Dollar in die USA überführt, wären Unternehmenssteuern in dieser Größenordnung fällig gewesen. So aber zahlte Microsoft im abgelaufenen Geschäftsjahr in den USA lediglich 5,5 Milliarden Dollar Einkommensteuer. Zur Steuervermeidung nutzt Microsoft Niederlassungen in Irland, Singapur, Bermuda und Puerto Rico.
Übernahmen mit Steuerersparnis
Der Bananenhändler Chiquita will seinen irischen Konkurrenten Fyffes übernehmen. Die Unternehmen planen, den Deal noch bis Ende des Jahres abzuschließen.
Der Pharmahersteller AbbVie aus den USA produziert unter anderem das Arthritis-Medikament Humira. Mitte Juli erklärte das Unternehmen, für 55 Milliarden Dollar den britischen Konkurrenten Shire kaufen zu wollen.
Medtronic, ein Hersteller medizinischer Geräte aus Minneapolis, übernimmt für 42,9 Milliarden Dollar seinen Rivalen Covidien. Dieser hat seinen Hauptsitz zwar in Massachusetts, ist aber in Irland registriert.
Auch der US-Pharmahersteller Perrigo verlegte nach dem Kauf des irischen Rivalen Elan seinen Firmensitz nach Irland.
Die US-Drogeriekette Walgreen übernimmt für 15,3 Milliarden Dollar die fehlenden 55 Prozent am Konkurrenten Alliance Boots. Allerdings will das Unternehmen den Firmensitz nicht in die steuerlich günstigere Schweiz verlegen. Es heißt, Walgreen habe einen Tax Inversion-Deal geprüft, ihn dann aber verworfen.
Der Deal des Viagra-Herstellers Pfitzer ist dagegen gescheitert. Der US-Konzern hatte zuletzt 117 Milliarden Dollar für seinen britischen Rivalen AstraZeneca geboten. Die Briten lehnten das Angebot allerdings ab.
Die Kritik an den Steuervermeidungsstrategien der Unternehmen wird in den USA immer lauter. Denn was einzelne Firmen bereits seit Jahrzehnten praktizieren, kommt dort zunehmend in Mode. Dadurch sind die Einnahmen aus der Unternehmenssteuer dramatisch gesunken.
Kam in den Achtzigerjahren noch ein Drittel aller Steuereinnahmen von Unternehmensseite, sind es heute nur noch zehn Prozent. Amerika, das in den vergangenen Jahren wegen seiner hohen Staatsverschuldung gleich mehrmals nur knapp der - wenn auch politisch herbeigeredeten - Zahlungsunfähigkeit entging, könnte die Milliarden gut gebrauchen. Denn das Geld wird für dringende Investitionen in die Infrastruktur, Bildung und Sicherheit benötigt, von denen auch die Unternehmen profitieren.
Doch Fakt ist nunmal: Das US-Steuersystem erlaubt es den Konzernlenkern, den Haupt- oder Steuersitz ins Ausland zu verlagern - wenn sie dort eine Tochtergesellschaft besitzen. Dafür genügt unter Umständen schon eine Beteiligung von nur 20 Prozent. Immer mehr gut verdienende Firmen betreiben die sogenannte "Inversion", zu deutsch "Umkehrung", indem sie Unternehmen außerhalb der USA aufkaufen und ihren Steuer- oder gleich den Unternehmenssitz nach Irland, in die Niederlande oder andere steuerlich vorteilhafte Länder verlagern. Sofern sie ihre Einnahmen dort dauerhaft reinvestieren, fallen in den USA keine Unternehmenssteuern an.
Allein in diesem Jahr soll es schon 14 dieser "Inversionen" von großen US-Unternehmen gegeben haben, im Vorjahr waren es 19. Der Organisation "Citizens for Tax Justice" (Bürger für Steuergerechtigkeit) zufolge sparen sich allein die 500 erfolgreichsten US-Unternehmen auf diese Weise Steuerzahlungen im Volumen von 550 Milliarden Dollar. Dafür parken sie etwa zwei Billionen Dollar Gewinn jenseits der USA. Mit dem Geld bezahlen sie dann etwa Zukäufe anderer Firmen.
Keine Steuerreform in Sicht
Jüngster Fall: Der Fastfood-Konzern Burger King schluckte die kanadische Kaffee- und Donut-Kette Tim Hortons - und legte seinen Sitz offiziell in das Nachbarland. Dabei muss der Wechsel nur auf dem Papier erfolgen, Verwaltung und Produktionsstätten können in den USA weitermachen wie bisher. Netter Nebeneffekt: Während der Unternehmenssteuersatz in den USA 35 Prozent beträgt, werden in Kanada nur 26,5 Prozent fällig.





Präsident Barack Obama und die Demokratische Partei haben "Inversion" bereits öffentlich scharf kritisiert. Eine Reform des Steuersystems trauen Experten der Regierung angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Land jedoch nicht zu. Demokraten und Republikaner blockieren sich in dieser Frage gegenseitig. Die Republikaner fordern einen niedrigeren Steuersatz, die Demokraten wollen die Hürden für eine Inversion erhöhen.
Tatsächlich geht es weniger um eine Senkung des Steuersatzes. Denn tatsächlich zahlt kaum ein Unternehmen die vollen 35 Prozent. Nach Angaben des Nachrichtensenders n-tv zahlt jeder vierte große US-Konzern überhaupt keine Steuern. Und Firmen, die die regulären Möglichkeiten zur Steuersenkung nutzen, zahlen im internationalen Vergleich nicht die höchsten, sondern vergleichsweise wenig Steuern.
Daher geht es inzwischen vielmehr um die Frage, ob die USA als eines von ganz wenigen Ländern im Ausland erwirtschaftete Gewinne überhaupt besteuern sollen. Einige Ökonomen würden die Unternehmenssteuer gerne abschaffen, dann könne sie auch nicht umgangen werden. Stattdessen wäre eine Mehrwertsteuer wie hierzulande denkbar.
Kritiker dieses Vorschlags bezweifeln allerdings, dass die Unternehmen dann wieder ihre Gewinne im Heimatland deklarieren. Das "Manager Magazin" zitierte den US-Ökonomen Dean Baker mit der zynischen Einschätzung, Unternehmen würden 99,99 Dollar dafür ausgeben, 100 Dollar an Steuern zu sparen.
Im Fall von Microsoft ist das für den amerikanischen Fiskus besonders bitter. Das Unternehmen hat sein Auslandskapital in den vergangenen Jahren massiv vergrößert, indem es seine wichtigsten Gewinnbringer - die Lizenzrechte für das Betriebssystem Windows und die Bürosoftware Office - schrittweise in Steueroasen verlagert hat.
Zwischen 2007 und 2013 stieg das im Ausland gehaltene Kapital von 6,1 auf 76,4 Milliarden Dollar. Dabei hat Microsoft technisch betrachtet noch nicht einmal eine "Inversion" vorgenommen und seine Zentrale in den USA nicht zu einer Niederlassung einer ausländischen Gesellschaft gemacht. Dennoch sparte Microsoft auch auf die Umsätze in den USA 4,5 Milliarden Dollar an Steuern - pro Tag mehr als vier Millionen Dollar.