Strafzinsen auf Steuernachzahlungen Kämpfer gegen den staatlichen Wucherzins

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Strafzinsen bescheren dem Staat Milliardeneinnahmen

Und das ist längst noch nicht alles. Der Staat nutzt den hohen Zinssatz auch in anderen Bereichen aus; dieser schlägt etwa im Unternehmenssteuerrecht bei der Ermittlung von Pensionsrückstellungen zu Buche – und zwar kräftig: 24 Milliarden Euro jährlich würden Firmen deswegen zu viel an Steuern zahlen, schätzt Johanna Hey, Direktorin des Kölner Instituts für Steuerrecht und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums. Eine Senkung des Steuerzinses auf ein marktgerechtes Niveau käme den Fiskus damit weit teurer als beispielsweise die Abschaffung des Solidaritätszuschlages.

Damit liegt es einmal mehr an der Justiz, die Politik zum steuerpolitischen Handeln zu zwingen, so wie bei der Aussetzung der Vermögensteuer (1995) oder bei der Reform der Erbschaftsteuer (zuletzt 2015).

Im Falle der Nachverzinsung haben betroffene Bürger wie Rieschel den Klageweg bis zum Bundesverfassungsgericht eingeschlagen. Beim Zinssatz für Pensionsrückstellungen hat das Finanzgericht Köln gerade eine Klage nach Karlsruhe weitergereicht. Kläger ist in diesem Fall ein mittelständisches Unternehmen aus dem Rheinland, das wegen der sechs Prozent fast in die roten Zahlen rutscht – und deshalb während des Gerichtsverfahrens anonym bleiben will. Aus Sorge, dass Banken und Lieferanten sonst die Kreditreißleine ziehen könnten.

Das Unternehmen erwirtschaftete zuletzt einen operativen Gewinn von 300.000 Euro, so steht es in der Handelsbilanz. In der Steuerbilanz taucht dagegen ein Plus von 900.000 Euro auf. Das klingt zunächst einmal nach gesunden Zahlen, hat aber zur Folge, dass das Unternehmen viel mehr Steuern zahlen muss – 290.000 Euro, also 97 Prozent vom kaufmännischen, korrekten Gewinn der Handelsbilanz.

Und das nur, weil das Steuerrecht bei Pensionsrückstellungen den Abzinsungssatz von sechs Prozent vorschreibt, das Handelsrecht dagegen nur knapp vier. Die zwei Prozentpunkte Differenz mögen auf Laien wie Peanuts wirken, führen bei der Ermittlung der jährlichen Rückstellungen aber dazu, dass das rheinische Unternehmen 600.000 Euro weniger als Aufwand ausweisen darf und als Gewinn versteuern muss.

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Steuerrechtlerin Hey, die den Unternehmer vor Gericht vertritt, argumentiert, das sei Besteuerung eines „Scheingewinns“. Sie hält die sechs Prozent angesichts der extrem niedrigen Zinsen für „nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt“. Sie fielen daher unter das Willkürverbot und seien verfassungswidrig.

Dass die Politik von sich aus nichts tut, enttäuscht den Mittelständler aus dem Rheinland. Sein Unternehmen biete den Mitarbeitern eine Altersvorsorge und werde dafür auch noch bestraft. Unter solchen Umständen müsse „ein Unternehmer doch verrückt sein, wenn er seinen Mitarbeitern noch eine Betriebspension anbietet“, sagt der Chef.

Und die Politik? Es werde bald „ernst für den Fiskus“, glaubt der CDU-Bundestagsabgeordnete und Steuerberater Fritz Güntzler. Er hat kein Verständnis für das Festhalten an den sechs Prozent. „Seit vier Jahren grabe ich an dem Thema“, sagt er, sei aber bislang keinen Schritt weiter gekommen. Und so bleibt Unternehmen und Bürgern wie Rieschel vorerst nur eines: selber kämpfen – vor Gericht.

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