Streitfall des Tages Wann Kunden ihre Versicherung kündigen dürfen

Vor drei Jahren wurde mit dem neuen Versicherungsvertragsgesetz die Kündigungsfristen reduziert. Doch viele Versicherer mauern. Wann Kunden ihre Policen kündigen können - und wann sie noch jahrelang zahlen müssen.

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Der Schmu des Tages. Illustration: Tobias Wandres

Der Fall

Im Juli 2006 hatte ein Kunde der Provinzial Rheinland Versicherung AG eine Unfallversicherung mit einer vereinbarten Vertragslaufzeit von fünf Jahren abgeschlossen. Schnell bereute er den Abschluss des langfristigen Vertrages und wollte die Gunst der Stunde nutzen. Denn das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG) trat zum 1. Januar 2008 in Kraft - und legte die Vertragslaufzeit auf maximal drei Jahren fest.

Daraufhin kündigte der Versicherte seinen Altvertrag mit dem Hinweis auf das neue Gesetz. Doch die Gesellschaft lehnte die Kündigung ab: Für Altverträge seien Übergangsfristen einzuhalten. Dagegen klagte der Versicherungsnehmer vor dem Amtsgericht Düsseldorf, das in einem am 20. Januar 2010 verkündeten Urteil der Klage des Versicherten stattgab (Az. 45 C 10776/09).

Die Richter: Ein mehrjähriger Versicherungsvertrag endet nach 11 Abs. 4 des neuen VVG vorzeitig.

 

Die Relevanz

Der Streit um die Kündigung von Altverträgen ist kein Einzelfall. Es gab und gibt mehrere Gerichtsverfahren, in denen die Provinzial Rheinland die Rechtsauffassung vertritt, dass für Altverträge eine Übergangsfrist gelte. Auch im Geschäftsbericht 2010 des Versicherungsombudsmann wird ein solcher Fall geschildert. Die Urteile der Gerichte fielen dazu uneinheitlich aus. Offenbar besteht auch unter den Richtern keine übereinstimmende Auffassung, wie die Kündigungsfristen von Altverträgen zu behandeln sind.

Veröffentlichte aktuelle Statistiken über die Vertragslaufzeiten in Deutschland gibt es nicht. Langfristige Versicherungsverträge sind aber vor allem bei Lebensversicherungen anzutreffen, die oft als Ansparprodukt (Kapitallebensversicherungen oder aufgeschobene Rentenversicherungen wie unter anderem Riester-Renten) für die Altersvorsorge abgeschlossen werden. Die vorzeitige Kündigung dieser oft über 20 und 30 Jahre laufenden Lebensversicherungsverträge ist zwar möglich, aber aufgrund hoher Kosten oft mit dem Verlust eingezahlter Beitragsbestandteile verbunden.

„In der Praxis erreichen 50 bis 80 Prozent aller Langfristverträge ihr Ablaufdatum nicht, stellen jedoch die wichtigsten Produkte für die Finanzvermittler und Produktgeber dar“, heißt es in der im Auftrag des Verbraucherministeriums BMELV erstellten Studie „Anforderungen an Finanzvermittler“ aus dem Jahre 2008.

Bei den Sachversicherungen wie Hausrat-, Rechtsschutz- oder Unfall-Policen wurden vor der Änderung des Versicherungsvertragsgesetz häufig mehrjährige Verträge über die Dauer von fünf und zum Teil auch zehn Jahren abgeschlossen. Versicherer bieten längerfristige Verträge in der Regel mit einem Beitragsabschlag an. Der Versicherungsnehmer bindet sich jedoch dadurch an einen Vertrag, der nur in Ausnahmefällen der am Markt günstigste und oft nicht bedarfsgerecht ist.   

 


Wann Versicherte vorzeitig kündigen können

Die Gegenseite

Von der Versicherung, die die Kündigung nicht akzeptierte, heißt es, dass sie für Neuverträge die neuen gesetzlich vorgegeben Kündigungsfristen anwende, für Altverträge jedoch eine Übergangsfrist gelte.

„Die Provinzial Rheinland hat niemals bei dieser Frage die alten Kündigungsfristen angewandt beziehungsweise die alten Laufzeiten nach dem 01.01.2008 für maßgeblich gehalten“, betont Pressesprecher Christoph Hartmann. So habe auch für Kunden der Provinzial ab dem 01.01.2008 die Dreijahresfrist des neuen VVG gegolten, wobei der Versicherer davon ausgegangen sei, dass diese Frist aufgrund einer Übergangsvorschrift erst ab dem 01.01.2008 zu berechnen sei. "Dies führte dazu, dass eine vorzeitige Kündigung zum 01.01.2011 akzeptiert wurde, es sei denn, dass zuvor bereits die fünfjährige Laufzeit ablief“, erklärt Hartmann.

 

Die Rechtslage

Die Kündigungsfristen sind in Paragraf 11 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) geregelt, das am 1. Januar 2008 in Kraft trat. In Absatz 4 heißt es dort: „Ein Versicherungsvertrag, der für die Dauer von mehr als drei Jahren geschlossen worden ist, kann vom Versicherungsnehmer zum Schluss des dritten oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden.“

Der Paragraph 11 Abs. 4 gilt für alle Versicherungsverträge mit Ausnahme der Kranken-, Lebens- und Berufsunfähigkeitsversicherung. Für diese Versicherungen kommen die Vorschriften §§ 168, 176, 205 VVG zur Anwendung.

Von einer Übergangsfrist für länger laufende Altverträge steht in dem Gesetz nichts. Nach der alten Regelung konnten Versicherungsnehmer solche Verträge frühestens nach fünf Jahren kündigen. Von wenigen Versicherungsgesellschaften wie der Provinzial Rheinland wurde bis heute bestritten, dass die Regelung auch für Altverträge gilt.

Sie vertraten die Auffassung, dass die Vertragslaufzeit von drei Jahren auch für Altverträge zum Zeitpunkt des Inkrafttreten des neuen VVG zum 01.01.2008 beginnt. Danach konnten diese Altverträge spätestens bis zum 01.01.2011 gekündigt werden.

Der Ombudsmann für Versicherungen, Professor Dr. Günther Hirsch, ehemals Richter am Bundesgerichtshof, vertrat die Auffassung, dass ein Sonderkündigungsrecht für mehrjährige Versicherungsverträge schon nach drei Jahren ab Vertragsbeginn der Altverträge gelte. Zu beachten sei für Verbraucher nur eine gesetzlich vorgeschriebene Kündigungsfrist von drei Monaten.

 

Die Experten

Auch andere Experten teilen die Rechtsauffassung der Provinzial Rheinland nicht. „Auffällig ist: In den Urteilsbegründungen pro Versicherer stützen sich die Gerichte auf eine Veröffentlichung von Jörg Funck und Hans-Joachim Pletsch in der Zeitschrift Versicherungsrecht (VersR)“, erläutert Erwin Hausen, Chefredakteur der Branchenpublikation „Der Versicherungstipp“. „Die Autoren sind Abteilungsleiter beziehungsweise stellvertretender Abteilungsleiter der Rechtsabteilung der Provinzial Rheinland Versicherungen.“ Dadurch hätten einige Gerichte teils eine "einhellige Literaturmeinung" zu Gunsten des Versicherers postuliert, die objektiv nicht existiere.

Andreas Gernt, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Niedersachsen, teilt die Ansicht, dass vor der Reform des Versicherungsvertragsgesetz abgeschlossene Altverträge nach den Kündigungsregeln des neuen Gesetzes gekündigt werden können. „Wir hatten einen solchen Fall aber bislang nicht, auch ist die Zahl von Versicherungsverträgen mit langen Vertragslaufzeiten in den vergangenen Jahren aufgrund der Rechtsprechung und Gesetzesänderungen merklich zurückgegangen", schränkt er ein.

In der Sachversicherung wie in den Sparten Privathaftpflicht-, Hausrat-, Wohngebäudeversicherung und bei der Unfallversicherung würden mehrjährige Verträge aber immer noch vorkommen. „Früher waren fünf- und zehn-Jahresverträge durchaus üblich, die Anbieter boten und bieten für länger laufende Verträge einen Beitragsnachlass an.“ 

Ob sich das aber für die Versicherten letztlich rechne, sei keinesfalls sicher, da viele Kunden leider vor Abschluss oft keine genaue Risikoanalyse und trotz Beitragsunterschieden von meist über hundert Prozent keinen Preis- und Leistungsvergleich durchführen. „Zudem kommen immer wieder neue und vielleicht auch preisgünstigere oder leistungsstärkere Angebote auf den Markt, so dass Versicherungsnehmer mit kurzen Vertragslaufzeiten am schnellsten reagieren können.

Im Übrigen gilt aber seit dem 1. Januar 2009 nur noch das neue Versicherungsrecht und jeder mit einer Dauer von mehr als drei Jahren laufende Versicherungsvertrag – egal ob Alt- oder Neuvertrag – kann nunmehr zum Ende des dritten oder jedes darauf folgenden Jahres unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten gekündigt werden. Dieses ordentliche Kündigungsrecht besteht auch dann, wenn in der Police eine längere Laufzeit stehen sollte und die umstrittene Übergangszeit für Altverträge hat sich jetzt schon allein durch Zeitablauf erledigt.

Wer beispielsweise noch in 2007 einen Sachversicherungsvertrag mit einer Laufzeit von fünf Jahren abgeschlossen hat, muss jetzt nur noch darauf achten, dass sein Kündigungsschreiben spätestens drei Monate vor dem im Versicherungsschein dokumentierten Ablauftermin beim Versicherer eingeht. Neben dem ordentlichen Kündigungsrecht besteht weiter unter bestimmten Voraussetzungen auch das Recht zu einer vorzeitigen Kündigung nach einer Beitragserhöhung (Prämienerhöhung) oder nach einem Schadensfall (Versicherungsfall).

Da es im Übrigen noch zahlreiche Sonderregelungen gibt, gilt es stets, die Versicherungsbedingungen genau zu lesen und sich möglichst vor einer Vertragskündigung umfassend zu informieren und sich auch beraten zu lassen.“

 


Die Strategie für Wechsler

Das Fazit

Auch nach unterschiedlicher Rechtsauffassung konnten Altverträge, die mit Vertragslaufzeiten von über drei Jahren vor dem 01.01.2008 abgeschlossen wurden zum 01.01.2011 kündigen. Für Versicherungsnehmer, die solche Verträge haben, empfiehlt es sich, Altverträge nach ihrer Bedarfsgerechtigkeit zu überprüfen und eventuell bei günstigere oder besseren Alternativen zu kündigen.

Laut VVG gilt dann: „Die Kündigungsfrist muss für beide Vertragsparteien gleich sein; sie darf nicht weniger als einen Monat und nicht mehr als drei Monate betragen. Wurde der Altvertrag nicht vor Ablaufen der Versicherungsperiode rechtzeitig gekündigt, kann der Vertrag nur vor Schluss der nächsten (einjährigen) Versicherungsperiode gekündigt werden. Für Neuverträge empfiehlt sich in der Regel nur Policen mit einjährigen Vertragslaufzeiten zu wählen, um möglichst flexibel auf neue bessere Angebote reagieren zu können.

 

Nützliche Adressen

Die gesetzliche Regelung zur Kündigung von Verträgen können im Versicherungsvertragsgesetz im Internet eingesehen werden (http://dejure.org/gesetze/VVG/11.html ).

Informationen aus Verbrauchsicht bieten die Verbraucherzentralen der Länder (Bundesverband Verbraucherzentralen mit Wegweiser zu der nächsten Zentrale: http://www.vzbv.de).

Auch Versicherungsberater führen gegen Honorar eine individuelle Risikoanalyse und eine Einschätzung bestehender Versicherungsverträge durch, ohne deshalb ein finanzielles Interesse an die Vermittlung neuer Policen zu haben (www.bvvb.de).

Eine – allerdings nicht mehr ganz aktuelle Übersicht – über die Rechtssprechung dazu, bietet der Versicherungstipp in einer Pressemeldung vom 04.02.2010 (http://www.markt-intern.de/presse/newsdetails/datum/2010/02/04/sonderkuendigungsrecht-bei-mehrjaehrigen-versicherungsvertraegen-verbraucherfreundliche-rechtsauffa/)

Alle Teile der Serie "Streitfall des Tages": www.handelsblatt.com/streitfall

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