Zu 16 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilte das Geschworenengericht in Turin Harald Espenhahn, den Spitzenmanager von ThyssenKrupp. Der Vorwurf: Totschlag mit bedingtem Vorsatz. Das war vor einem Jahr. Mit ihm wurden fünf weitere Manager verurteilt, die Freiheitsstrafen bis zu 13,5 Jahren kassierten. Was war passiert? 2007 brach in einem Werk von ThyssenKrupp Acciai Speciali Terni (AST) in Turin ein verheerender Brand aus, sieben Menschen kamen in den Flammen ums Leben.
Die Sicherheitsvorkehrungen seien völlig unzureichend, die Feuerlöscher leer gewesen, und es habe auch keine Notruftelefone gegeben, warf das Gericht den Führungskräften aus Deutschland vor. Und das, obwohl laut Staatsanwaltschaft Brandversicherung und Aufsichtsbehörden die Unternehmensleitung früh auf den Missstand aufmerksam gemacht hatten. Die Manager hätten in den Brandschutz investieren müssen, so die Richter. Dies sei aber aus Kostengründen unterblieben, weil das Werk ohnehin geschlossen werden sollte.
Die Turiner Richter fällten mit dem Urteil den härtesten Spruch Italiens aller Zeiten in puncto Arbeitsschutz. ThyssenKrupp reichte gegen ihn vor zwei Monaten Berufung ein – Ende offen. „Informationen über den Zeitplan der zweiten Instanz liegen derzeit nicht vor“, heißt es bei ThyssenKrupp. Und weil das Urteil nicht rechtskräftig sei, gehe Harald Espenhahn nach wie vor seinen Managementaufgaben beim Stahlkonzern nach.
Klassischer Fall für Compliance
ThyssenKrupp ist ein klassischer Fall von Compliance (Einhaltung von Regeln und Gesetzen), auch wenn er nicht von Bestechung und Korruption, Datenschutz- oder Kartellrechtsverstößen handelt.
Fälle wie die jahrelange Schmiergeldpraxis bei Siemens, die Datenschutzskandale bei der Deutschen Telekom und der Deutschen Bahn, aber auch die Rotlicht-Affäre von Volkswagen haben die Manager landauf, landab aufgeschreckt. Das Thema Compliance ist inzwischen weit oben auf der Unternehmensagenda angesiedelt.
Manche Unternehmen haben eigene Compliance-Ressorts eingerichtet, wie etwa Daimler mit der Ex-Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt an der Spitze. Drohen den Unternehmen doch nicht nur direkt hohe Millionenverluste, wenn Strafen gegen sie verhängt und sie beispielsweise nach Embargo-Verstößen zur Strafe von Aufträgen ausgeschlossen werden. Im Schadensfall müssen Unternehmen auch teure Anwälte in großen Teams monatelang im Unternehmen beschäftigen, um für die Staatsanwaltschaft die Sachlage aufzuklären.
Wer schon viel Geld für Kanzleien ausgibt, sollte sich die richtigen Spezialisten suchen (siehe Tabelle S. 3).
Schließlich stehen auch die Karrieren der Manager und ihr Privatvermögen auf dem Spiel; im schlimmsten Fall droht dazu noch Gefängnis. „Arbeitsschutzrecht gehört zum Compliance-System, und Manager müssen sich um so etwas Langweiliges kümmern. Wer die Illusion hat, es vernachlässigen zu können, dem hält diese atemberaubende Verurteilung des deutschen Managers in Turin den Spiegel vor“, sagt Thomas Klindt, Partner der Kanzlei Noerr in München.
Einhaltung von Recht und Gesetz und gute Unternehmensführung
Compliance-Beratung, Compliance-Schulungen in den Unternehmen und die Installation von Compliance-Systemen – die auf die Einhaltung von Recht und Gesetz und gute Unternehmensführung zielen – sind für deutsche Anwälte inzwischen zu einer guten Einnahmequelle geworden. Beim Schmiergeldskandal von Ferrostaal beispielsweise kassierten die US-Kanzlei Debevoise & Plimpton, die Kanzlei Heuking Kühn und die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young insgesamt 77 Millionen Euro für ihre unternehmensinternen Ermittlungen und Analysen.
Die Stundenhonorare der Compliance-Anwälte schwanken für Partner zwischen 320 und 400 Euro – je nach Disziplin, Kartellrechtler sind teurer als Arbeitsrechtler. Eine anwaltliche Beratung bei Produktrückrufen kostet zwischen 400 bis 450 Euro. Besonders renommierte Compliance-Experten verlangen sogar 600 Euro pro Stunde. Zu tun gibt es für die Spezialisten genug: „70 Prozent der Unternehmen haben noch gar keine Compliance installiert, die sicherstellt, dass im Unternehmen keine Gesetze und Regeln verletzt werden“, schätzt Achim Glade von der Kanzlei Glade Michel Wirtz.
Jurist Klindt erwartet noch Probleme, zum Beispiel für die Autoindustrie. So hätten dort Konstruktionsleiter und ihre Teams jahrelang gesetzliche Vorschriften zu CE-Kennzeichnungen und vorgeschriebene Dokumentationen nicht umgesetzt. Der Grund: Die Vorschriften seien ihnen unbekannt gewesen, weil ihre Unternehmen an Fortbildungen sparten. Am Ende könnten hohe Kosten wegen Rückrufen oder Klagen von Produktgeschädigten stehen.
Gutachten sind gefragt
Kanzleien schreiben auch im Vorfeld von Schadensersatzprozessen gerne Gutachten. So etwa Gleiss Lutz für die Deutsche Bahn, deren Tochtergesellschaft Berliner S-Bahn ausgerechnet bei den gesetzlich vorgeschriebenen Wartungsarbeiten gespart hatte. Millionenschäden waren die Folge.
In Erwartung wachsender Geschäfte rüsten die Kanzleien bei den Compliance-Anwälten aktuell auf. „Wir haben an jedem unserer sechs Standorte entsprechende Gruppen aufgebaut“, so Wendelin Acker, Partner bei Hogan Lovells. Durchsucht dann zum Beispiel das Bundeskartellamt bei einem Mandanten die Büros und womöglich auch Privatwohnungen, können umgehend bis zu acht Anwälte zu Hilfe eilen. Wichtig ist die regionale Nähe laut Acker, weil selbst gestandene Top-Manager in solchen Momenten versuchen, gegenüber den Beamten alles herunterzuspielen, in der Hoffnung, dass ihnen dann eine Anklage erspart bleibt. Oft aber redeten sie sich dabei um Kopf und Kragen. „Tauchen wir Anwälte auf, können wir zumindest auf Aussageverweigerungsrechte achten, sogenannte Zufallsfunde verhindern und auf die Grenzen des Durchsuchungsbefehls pochen“, so Acker.
Wichtig sei so ein Eileinsatz der Juristen aber auch, um den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten. Fehlen dem Unternehmen nach Beschlagnahmeaktionen wichtige Unterlagen, wie etwa Vertragsvereinbarungen, könnten sie möglicherweise nicht mehr weiterarbeiten. Aufgabe der Anwälte ist es dann, sicherzustellen, dass nur so viele Unterlagen wie nötig die Firma verlassen und diese vorher fotokopiert werden.
Die Kanzlei Noerr hat zum Beispiel für Durchsuchungen der Kartellwächter eine eigene Handy-App entwickelt. Manager können so mit einem Klick Hilfe herbeirufen, wenn es mal wieder brennt – und dringend ein Anwalt benötigt wird, der sich in Compliance-Fragen auskennt.
Auf der nächsten Seite: Die Top-Kanzleien der WirtschaftsWoche in Compliance-Fragen
Top-Kanzleien für Compliance
25 Top-Kanzleien für Compliance | |
Porträts: Bitte klicken Sie auf den Namen der Kanzlei oder des jeweiligen Anwalts, um mehr zu erfahren | |
Kanzlei | Name, Vorname |
Allen & Overy | Hans-Christoph Ihrig1, Ellen Braun3 |
Ashurst | Lutz Englisch1,6 |
Clifford Chance | Daniela Weber-Rey6 |
CMS Hasche Sigle | Michael Bauer3 |
Freshfields Bruckhaus Deringer | Marius Berenbrok5, Andreas Fabritius 1, 6, Konstantin Mettenheimer7 |
Glade Michel Wirtz | Achim Glade1, 6, Arndt Michel1, Markus M. Wirtz3 |
Gleiss Lutz | Wolfgang Bosch3 |
Görling Rechtsanwaltsgesellschaft | Helmut Görling5, Dirk Seiler5 |
Hengeler Mueller | Jochen Vetter1, 6, Daniela Favoccia1, Rainer Krause1, Georg Seyfarth1 |
Heuking Kühn Lüer Wojjtek | Andre-M. Szesny1, 5 |
Hogan Lovells | Wendelin Acker4, 5, Detlef Haß5, Tim Wybitul5, 8 |
Knierim & Kollegen | Thomas C. Knierim5 |
Latham & Watkins | Ulrich Wuermeling8 |
Linklaters | Hans-Ulrich Wilsing1,6 |
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft | Robert von Steinau-Steinrück10, André Große Vorholt1, 5, Jörg Rodewald1, 4 |
Noerr | Torsten Fett1, Thomas Klindt9, Christian Pelz5 |
Oppenhoff & Partner | Jürgen Hartung4, 8, Michael Abels4, 5, Axel Bödefeld7, Günther Seulen1,6 |
PricewaterhouseCoopers | Christoph E. Hauschka1,4 |
Rödl & Partner | Ulrike Grube5 |
Shearman Sterling | Hans Diekmann1,6, Markus S. Rieder5 |
Simmons & Simmons | Hans-Hermann Aldenhoff1, 5 |
SZA Schilling, Zutt & Anschütz | Jochem Reichert1,6, Marc Löbbe1,6 |
Taylor Wessing | Andreas Max Haak3 |
Tdwe | Sven Thomas5, Simone Kämpfer5 |
White & Case | Barbara Mittelstaedt2, Nils Clemm5, Jürgen Detlef W. Klengel5, Karl-Jörg Xylander5 |
Auflistung in alphabetischer Reihenfolge; 1 Corporate Compliance; 2 Bankaufsichtsrechtliche Compliance; 3 Kartell- und vergaberechtliche Compliance; 4 Compliance Struktur; 5 Forensische, strafrechtliche und steuerstrafrechtliche Compliance; 6 Aktienrechtliche Compliance; 7 Steuerliche Compliance; 8 Datenschutz; 9 Technical Compliance; 10 Arbeitsrechtliche Compliance; Quelle: WirtschaftsWoche 2012 |