Keine Frage, der Fall hat das Zeug zur fernsehtauglichen Gerichtssoap. Die Kulisse: das Hamburger Amtsgericht. In den Hauptrollen: ein Richter mit Hang zur Kontroverse, ein Gerichtspräsidium, das sich in den Fallstricken des Disziplinarrechts verheddert und eine Reihe rebellischer Insolvenzverwalter. Nun kommt – wenn man so will – noch ein Touch Glamour hinzu. In Person eines bekannten Hamburger Modedesigners.
Was zunächst nach leichter Kost klingt, ist in Wahrheit eine reichlich diffizile Angelegenheit, bei der es um Wesentliches geht, mithin sogar um Kernfragen der Juristerei: Wo endet der Ermessensspielraum eines Richters? Wie weit reicht die richterliche Unabhängigkeit und was kann beziehungsweise darf der Präsident eines Amtsgerichts tun, um seinen Insolvenz- und Gerichtsstandort zu schützen?
Kurzum: Es geht um den Fall des in der Insolvenz-Szene gleichermaßen bekannten wie umstrittenen Hamburger Richters Frank Frind. Als Vorstandsmitglied des Bundesarbeitskreises Insolvenzgerichte und Autor zahlreicher Fachaufsätze reicht sein Einfluss weit über die Grenzen der Hansestadt hinaus. Ende vergangenen Jahres sorgte denn auch ein Bericht der WirtschaftsWoche zu Frinds bevorstehender Entmachtung für Wirbel.
Nun folgt die Rolle rückwärts: Per E-Mail wurde Hamburgs Insolvenzverwaltern vergangene Woche mitgeteilt, dass Frind ab Anfang September wieder in das Insolvenzgericht zurückgeht. Zwar sollen dem Vernehmen nach künftig nur überschaubare 20 Prozent seines richterlichen Pensums auf Insolvenzsachen entfallen – zuvor waren es 70 Prozent –, dennoch sorgt die Personalie in der Branche je nach Perspektive für Jubel- oder Alarmstimmung. „Nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg haben wir eine Lösung mit dem Präsidium des Amtsgerichts gefunden“, erklärt Frind gegenüber der WirtschaftsWoche. „Ich hoffe, dass es nun wieder um Sachfragen geht und nicht um Personen.“
Mehrere Verwalter zeigten sich indes bestürzt über die Kehrtwende. Auch die Spitze des Amtsgerichts sei über Frinds Rückkehr wenig erbaut, heißt es in Justizkreisen. Schließlich hatte das Präsidium Ende vergangenen Jahres eigens die interne Geschäftsverteilung für 2018 geändert, um den Richter aus der Insolvenzabteilung zu verbannen.
Auslöser war damals die Bitte eines Insolvenzverwalters an das Präsidium, „geeignete Maßnahmen zur Herstellung von Rechtsstaatlichkeit in den Abteilungen des Insolvenzgerichts“ zu ergreifen. Sein Vorwurf: Frind habe versucht, ihn unter Androhung schwerster Konsequenzen zur Rücknahme eines Insolvenzplans zu nötigen, geht aus Gerichtsunterlagen hervor. Frind trat dem Vorwurf zwar entschieden entgegen und betonte, er habe dem Verwalter weder mit einem „Delisting“ noch mit weiteren Sanktionen gedroht. Doch auch drei weitere Insolvenzrechtler schilderten dem Präsidium ähnlich gelagerte Konflikte in der Vergangenheit. Auch diesen Darstellungen widersprach Frind und kritisierte, keine Möglichkeit für eine angemessene Verteidigung erhalten zu haben, konnte das Präsidium aber nicht überzeugen. Im Protokoll einer Sitzung legten sie Frind ausdrücklich den „vergeblichen Versuch einer Beeinflussung und die anschließende ‚Abstrafung‘“ eines Insolvenzverwalters durch die Entlassung aus zwei laufenden Verfahren sowie „kaltes Delisting“ zur Last. Das Präsidium erkannte darin ein „Defizit eines verantwortungsvollen Umgangs mit richterlicher Macht“ und entschied, Frind durch Zuweisung eines anderen Rechtsgebiets kalt zu stellen.
Die größten Unternehmensinsolvenzen 2017
Betroffene Mitarbeiter: 620 Beschäftigte
Nach der Insolvenz Anfang 2017 hat die matratzen direct AG das Verfahren bereits wieder beendet. Demnach bleiben 180 Filialen mit insgesamt 400 Mitarbeitern bestehen.
Quelle: Creditreforn
Betroffene Mitarbeiter: 641 Beschäftigte
Der insolvente Bettwarenhersteller Gebr. Sanders ist inzwischen mehrheitlich von der Wiener Grosso Holding übernommen worden.
Betroffene Mitarbeiter: 667 Beschäftigte
Der auf Dekoartikel spezialisierte Versandhändler Schneider musste im April Insolvenz anmelden. Im Zuge des Verfahrens wurde ein Käufer für Schneider gefunden – die Klingel-Gruppe, ebenfalls ein Versandhändler.
Betroffene Mitarbeiter: 900 Beschäftigte
Die bekannte Deko-Kette musste Anfang 2017 Insolvenz anmelden, konnte das Verfahren aber im September beenden. Die Sanierung hat allerdings deutliche Spuren im Unternehmen hinterlassen. Die Zahl der Filialen in Deutschland sank von 102 auf 74.
Betroffene Mitarbeiter: 1000 Beschäftigte
Rege stellt Teile vor Verbrennungsmotoren her, unter anderem Zylinderköpfe, Pleuel und Kurbelgehäuse. Bereits 2016 mussten Stellen gestrichen werden, im Januar 2017 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.
Betroffene Mitarbeiter: 1850 Beschäftigte
Der Solarhersteller Solarworld AG hat im Mai 2017 Insolvenz angemeldet. Es bestehe „keine positive Fortbestehensprognose“ mehr, teilte das Unternehmen in einer Pflichtmitteilung an die Börse mit. Noch Ende März hatte das Unternehmen seine Finanzlage als beherrschbar dargestellt.
Betroffene Mitarbeiter: 2193 Beschäftigte
Nachdem die HSH Nordbank als wichtigster Kreditgeber des Unternehmens ihre Zustimmung zur geplanten Umstrukturierung der Rickmers-Schulden verweigert hat, war der Gang vor den Insolvenzrichter unvermeidbar.
Betroffene Mitarbeiter: 2200 Beschäftigte
Seit dem Börsengang 1995 hatte Alno mit einer Ausnahme durchgängig Verluste geschrieben. Auch mehrere Restrukturierungen konnten das Unternehmen nicht retten. Allen Mitarbeitern wurde im Herbst 2017 gekündigt, im Januar soll die Produktion mit etwa 300 Mitarbeitern wieder anlaufen – aber in der neu gegründeten Alno GmbH, nicht mehr der Alno AG.
Betroffene Mitarbeiter: 6000 Beschäftigte
Im Juni wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Laut dem Unternehmen habe das Schutzschirmverfahren nichts mit operativen Problemen zu tun, sondern diene "ausschließlich der mit unseren Banken abgestimmten Lösung zur Bereinigung eines Altschuldenproblems aus 2008". Das habe auf die Mitarbeiter und die Beschäftigungsverhältnisse keinen Einfluss.
Betroffene Mitarbeiter: 8656 Beschäftigte
Im August musste die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Insolvenz anmelden. Ende Oktober musste Air Berlin den Betrieb einstellen.
Statt um Großpleiten sollte er sich fortan ausschließlich klassischen Zivilverfahren widmen. „Dass ich mich nach 21 Jahren im Amt nicht mehr mit Insolvenzsachen befassen soll, ist die ‚Höchststrafe‘ für mich“, sagte Frind damals der WirtschaftsWoche und kündigte an, seine rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen. Das tat er auch, zog bis vor das Oberverwaltungsgericht Hamburg (OVG) – und konnte dort jüngst einen Etappensieg erzielen.
Frind droht weiter strafrechtliches Ungemach
Denn das OVG Hamburg bewertete den Fall Ende Juni als einen unzulässigen Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit. Ob die erhobenen Vorwürfe des Machtmissbrauchs zutreffen oder nicht, war dabei kein Thema. Vielmehr ging es um die letztlich formale Frage, inwiefern das Präsidium bei angeblichen Dienstvergehen überhaupt tätig werden darf und ob die Geschäftsverteilung für deren disziplinarische Ahndung genutzt werden kann.
Entsprechend fiel die Entscheidung aus: Die Änderung der Geschäftsverteilung sei in Frinds Fall eine „verdeckte Disziplinarmaßnahme“ gewesen, geht aus den veröffentlichten Leitsätzen des OVG Hamburg hervor. „Das Präsidium darf im Vorgriff auf das mögliche Ergebnis disziplinarischer Ermittlungen eine Verletzung der Dienstpflichten nicht als solche feststellen und eine bestimmte Entscheidung – wie die Besetzung der Spruchkörper – allein unter Rückgriff auf eine solche Feststellung treffen“, heißt es darin.
Die Folge: Das Präsidium des Amtsgerichts musste jetzt zurückrudern und die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts umsetzen. Frind darf sich also – wenn zunächst auch in bescheidenem Umfang – wieder mit Insolvenzsachen befassen.
Dass damit Ruhe in den Hamburger Insolvenzbetrieb einkehrt, scheint gleichwohl fraglich. Ein disziplinarisches Verfahren läuft weiter - Ausgang offen. Zudem droht Frind strafrechtliches Ungemach. Kurz vor der jüngsten Entscheidung des Präsidiums hat der Hamburger Rechtsanwalt Christian Abel Strafanzeige gegen Frind wegen versuchter Nötigung und vollendeter Rechtsbeugung erstattet. Abel ist bei der Kanzlei Norton Rose Fulbright verantwortlich für den Bereich Insolvenzrecht in Hamburg. „In verschiedenen Insolvenzverfahren, in denen ich Schuldner beraten habe, hat Herr Frind aus meiner Sicht die zulässigen Grenzen überschritten“, sagte Abel der WirtschaftsWoche. Konkret sei dies etwa im Insolvenzverfahren um das Modelabel „Herr von Eden“ der Fall gewesen, „wo Herr Frind einen Insolvenzplan lange Zeit und aus unserer Sicht völlig grundlos torpediert und verzögert hat“, sagt Abel.
Frind kennt den konkreten Inhalt der Anzeige nach eigenen Angaben nicht. „Ich sehe darin in Anbetracht der zeitlichen Platzierung den Versuch, die Entscheidung des Präsidiums aufzuhalten“, sagt er. Tatsächlich wurde das Präsidium über die Strafanzeige informiert, sah aber keine Veranlassung, Frinds Rückkehr aufzuschieben.
Abels Vorwürfen widerspricht Frind: „Beim Verfahren um das Modelabel ‚Herr von Eden‘ wurden meine Entscheidungen zu den Insolvenzplänen von höheren Instanzen alle rechtskräftig bestätigt“. Befangenheitsanträge von Herrn Abel seien zurecht abgelehnt worden. „Dass das Verfahren ausgerechnet jetzt wieder thematisiert wird, werte ich als Retourkutsche“, so Frind.
Insolvenzverfahren in Deutschland im Zehnjahresvergleich
Gesamtinsolvenzen: 155.910
Unternehmensinsolvenzen: 29.580
Verbraucherinsolvenzen: 98.450
Quelle: Creditreform, Stand: Dezember 2017
Gesamtinsolvenzen: 162.870
Unternehmensinsolvenzen: 32.930
Verbraucherinsolvenzen: 100.790
Gesamtinsolvenzen: 169.840
Unternehmensinsolvenzen: 32.060
Verbraucherinsolvenzen: 109.960
Gesamtinsolvenzen: 159.580
Unternehmensinsolvenzen: 30.120
Verbraucherinsolvenzen: 103.250
Gesamtinsolvenzen: 150.810
Unternehmensinsolvenzen: 28.720
Verbraucherinsolvenzen: 98.050
Gesamtinsolvenzen: 141.590
Unternehmensinsolvenzen: 26.120
Verbraucherinsolvenzen: 91.360
Gesamtinsolvenzen: 135.020
Unternehmensinsolvenzen: 24.030
Verbraucherinsolvenzen: 86.460
Gesamtinsolvenzen: 127.570
Unternehmensinsolvenzen: 23.180
Verbraucherinsolvenzen: 80.220
Gesamtinsolvenzen: 122.590
Unternehmensinsolvenzen: 21.560
Verbraucherinsolvenzen: 77.260
Gesamtinsolvenzen: 116.000
Unternehmensinsolvenzen: 20.200
Verbraucherinsolvenzen: 72.100
(Zahlen für 2017 geschätzt)
Abel verweist dagegen auf einen Beschluss des Landgerichts Hamburg von Ende 2015, aus dem hervorgeht, dass einzelne Insolvenzplan-Entscheidungen eben nicht bestätigt, sondern kassiert wurden. Der Anwalt ist überzeugt: „Herr Frind sollte meiner Meinung als Richter nicht länger für Insolvenzsachen zuständig sein dürfen, weil er seine Macht zum Nachteil von Schuldnern und Gläubigern missbraucht.“ Frind entgegnet: „Zu meinen Aufgaben als Richter gehört es zu prüfen, inwiefern eine Entscheidung den Gläubigern nutzt oder schadet. Auch die Prüfung von Insolvenzplänen dient gesetzlich dem Schutz der Gläubiger und die Ablehnung kann damit geboten sein.“
Die Hamburger Polizeidienststelle für interne Ermittlungen wird den Sachverhalt jetzt prüfen. Die nächste Folge der Gerichtssoap dürfte wohl nicht lange auf sich warten lassen.