Urteil des Bundesarbeitsgerichts Jetzt drohen Arbeitgebern hohe Nachforderungen

Das Bundesarbeitsgericht hat gängige Verfallsklauseln in Arbeitsverträgen für unwirksam erklärt – mit weitreichenden Folgen. Quelle: dpa

Das Bundesarbeitsgericht hat gängige Verfallsklauseln in Arbeitsverträgen für unwirksam erklärt – mit weitreichenden Folgen. Vor allem ab 2015 geschlossene Verträge könnten für Arbeitgeber teuer werden.

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Für viele Juristen kam das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom vergangenen Dienstag überraschend. Denn das, was das Gericht da entschieden hat, könnte vor allem bei Arbeitsverhältnissen, die in den vergangenen Jahren beendet wurden, zu nachträglichen Forderungen von Arbeitnehmern führen.

Normalerweise enthalten die meisten Arbeitsverträge, ja sogar die meisten Tarifverträge, eine sogenannte Verfallsklausel. „Die gängigen Verfallsklauseln sollen insbesondere nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schneller für Rechtsicherheit sorgen, indem sie die Verjährung von Ansprüchen für beide Seiten von den gesetzlich vorgeschriebenen drei Jahren auf üblicherweise drei Monate verkürzt“, erklärt Arbeitsrechtsexperte Martin Lüderitz von der Großkanzlei Bryan Cave Leighton Paisner. Arbeitnehmer konnten dank dieser Klausel somit beispielsweise nur drei Monate nach Vertragsende Urlaubsabgeltung oder eine Überstundenvergütung nachfordern, der Arbeitgeber musste umgekehrt zum Beispiel Spesenvorschüsse innerhalb dieses Zeitraums zurückverlangen. Wer trotz Verfallsklausel auch Ablauf der Frist Forderungen stellte, ging leer aus.

Genau diese Verfallsklausel dürfte aber nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts in vielen Arbeitsverträgen insgesamt unwirksam sein. Die Logik hinter dem Urteil ist selbst für Juristen verblüffend: Weil zum 1. Januar 2015 der Mindestlohn per Gesetz eingeführt wurde, sind die Verfallsklauseln unwirksam, wenn diese Klausel nicht auch explizit die Bestimmungen zum Mindestlohn von der Verfallsfrist ausnehmen. Fehlt der Mindestlohnausschluss, ist die gesamte Verfallsklausel nicht klar und verständlich und damit unwirksam.

So steht im §3 Satz 1 des Mindestlohngesetzes: „Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam.“ Insbesondere das vorletzte Wort „insoweit“ hatte bei vielen Arbeitsrechtsexperten zu der Annahme geführt, die Unwirksamkeit würde sich auf Ansprüche aus dem Mindestlohngesetz beschränken, für alles Übrige würden die Verfallsklauseln hingegen weiter gelten. Diese Einschätzung geißelt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts nun als falsch.

„Das Urteil ist ein Erdbeben“, meint Fachanwalt für Arbeitsrecht Lüderitz. „Die allerwenigsten unmittelbar nach Einführung des Mindestlohngesetzes geschlossenen Arbeitsverträge dürften eine wirksame Ausschlussfrist enthalten.“ Lüderitz rät Arbeitgebern daher, Altverträge auf fehlerhafte Klauseln zu prüfen und beim Neuabschluss von Arbeitsverträgen dringend auf eine wirksame Vertragsgestaltung zu achten. Insbesondere Unternehmen, die vielen Mitarbeitern den Mindestlohn zahlen, sollten ihren Vertragsbestand unter die Lupe nehmen. „Für die Vergangenheit ist nun wider Erwarten mit Klagen zu rechnen. Das kann, wie im entschiedenen Fall bei der Forderung nach Abgeltung von Urlaubsansprüchen, für Arbeitgeber teuer werden“, prophezeit Lüderitz.

Das Urteil erinnert in seiner Tragweite an das Bundesgerichtshofurteil, das viele Widerrufsregelungen in Kreditverträgen für unwirksam erklärte, weil die Widerrufsfristen darin nicht klar geregelt waren. Die Folge: Immobiliendarlehen wurden tausendfach auch noch viele Jahre nach Abschluss des Kreditvertrages widerrufen, die Banken mussten dann die vereinnahmten Zinsen samt Verzinsung zurückerstatten.

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Dass Arbeitgeber jetzt aber in großem Stil bestehende Arbeitsverträge der neuen Rechtsprechung anpassen, hält Lüderitz für unwahrscheinlich. Das Urteil dürfte vor allem Arbeitsverträge unmittelbar nach Einführung des Mindestlohns 2015 betreffen. „Es gibt aber keine Verpflichtung für Arbeitgeber, bestehende Verträge zu ändern. Vielmehr werden die Unternehmen jetzt ihre Vertragsvorlagen anpassen und bei Vertragsänderungen oder Neuverträgen auf eine wirksame Verfallsklausel achten müssen“, so Lüderitz.

Wenig spricht dafür, dass die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts noch mal Thema vor Gericht wird. Theoretisch könnte die Arbeitsgeberseite noch das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. „Das ist zwar nicht ausgeschlossen, aber doch eher unwahrscheinlich“, schätzt Lüderitz. Zunächst bliebe die Urteilsbegründung des Bundesarbeitsgerichts abzuwarten. Erfahrungsgemäß kann das aber noch Wochen oder sogar Monate dauern.

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