Urteil des Bundesverfassungsgerichts Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Erbschaftsteuer

Die Erbschaftsteuer ist in zentralen Punkten verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Womit Unternehmen und Privatleute rechnen sollten.

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Formular für eine Erbschaftsteuererklärung Quelle: dpa

Die massiven Steuerprivilegien für Firmenerben verstoßen in ihrer derzeitigen Form gegen das Grundgesetz. Das entschied das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch. Die seit 2009 geltende Regelung zur großzügigen Verschonung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer wurde für verfassungswidrig erklärt. Sie verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber müsse bis 30. Juni 2016 eine Neuregelung treffen. Bis dahin seien die bisherigen Vorschriften weiter anwendbar. (Az. 1 BvL 21/12).

Immer wieder musste das Verfassungsgericht über die Regeln verhandeln, immer wieder gab es danach Neuregelungen – die wiederum angegriffen wurden. Bisher störten sich die Verfassungsrichter fast immer an den Ausnahmeregeln im Gesetz, denn die geraten schnell in Konflikt mit dem grundgesetzlichen Gleichheitssatz. So ist es auch diesmal.

Wer muss in Deutschland Erbschaftsteuer zahlen?

Prinzipiell jeder, der durch Erbe oder Schenkung ein Vermögen erhält. Doch das Gesetz sieht eine Reihe von Ausnahmen vor. Zum einen sind kleinere Erbschaften bis zu einer Grenze von 500.000 Euro (für Lebenspartner) oder 400.000 Euro (je Kind) steuerfrei. Grundsätzlich befreit ist zudem selbstgenutzter Wohnraum. Diese Ausnahmen werden vom Bundesverfassungsgericht aber nicht infrage gestellt.

Diese Steuersätze werden im Erbfall fällig

Welche Ausnahmen gibt es für Unternehmer?

Vor dem Bundesverfassungsgericht wurden in den vergangenen Monaten die Ausnahmen für Betriebsvermögen geprüft, nachdem diese zuvor vom Bundesfinanzhof gerügt worden waren. Denn für Unternehmen gibt es deutlich weitreichendere Ausnahmen als für Privatleute. Ihnen stehen grundsätzlich zwei Befreiungsvarianten offen. Wenn sie nach dem Erbanfall über fünf Jahre die Zahl der Beschäftigten im Betrieb um höchstens 20 Prozent verringern und zudem das Unternehmen nicht verkaufen, müssen sie nur auf 15 Prozent des Unternehmenswertes Steuern zahlen. Für Betriebe mit weniger als 20 Mitarbeitern gilt Art der Befreiung ohne Auflagen. Wenn Unternehmer ihren Betrieb sieben Jahre lang nicht verkaufen und die Zahl der Mitarbeiter dabei sogar konstant halten, entfällt die Erbschaftsteuer ganz.

Steuerklassen und Freibeträge für Erben und Beschenkte

Welche Kritik gibt es an der aktuellen Regelung?

Der wichtigste Kritikpunkt ergibt sich aus dem Konflikt mit dem Gleichheitsgrundsatz. Denn die Befreiungsregeln für Unternehmen stellen diese gegenüber allen anderen Bürgern deutlich besser. Zwar gibt es für diese Besserstellung einen gesellschaftlichen Zweck, nämlich den Bestand von Arbeitsplätzen zu sichern. Nach der Ansicht des Bundesfinanzhofs ließe sich dieser jedoch auch mit einer weit weniger weitreichenden Befreiung erreichen.

Kritisiert wird insbesondere, dass Unternehmer in das steuerfreie Vermögen bis zu 50 Prozent „nicht betriebsnotwendiges“ Vermögen, also zum Beispiel Immobilien oder Kunstgegenstände einbringen dürfen. Dadurch führt die Steuerbefreiung für das Betriebsvermögen de facto in vielen Fällen auch zu einer Steuerminderung auf die Privatvermögen der Unternehmer.

Da für Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern der Zwang zum Arbeitsplatzerhalt nicht gilt, wird das angestrebte Ziel aus Sicht des Bundesfinanzhofs zudem mit der aktuellen Regelung gar nicht erreicht. Schließlich liegen mehr als 90 Prozent aller Betriebe unter dieser Grenze.

Die Klausel bietet zudem allen größeren Unternehmen ein Einfallstor, um über Betriebsaufspaltungen die Auflagen des Gesetzes zu umgehen. In der ersten Anhörung im Sommer hat das Bundesverfassungsgericht ähnliche Zweifel anklingen lassen.

Folgen des Urteils zur Erbschaftsteuer

Welche unmittelbaren Folgen hat das Urteil?

Selbst die meisten Unternehmer rechnen inzwischen damit, dass die Richter die Steuer nicht unangetastet lassen wird. Direkte Folgen dürfte das mit großer Wahrscheinlichkeit trotzdem nicht haben. Dazu käme es nur, wenn die Richter das Gesetz für nichtig erklären würden. Dann wären alle noch nicht abgeschlossenen Betriebsübergänge seit der vorherigen Neuregelung 2008 betroffen. Auf sie würde dann wohl gar keine Steuer anfallen.

Es ist aber deutlich wahrscheinlicher, dass die Richter dem Bund eine Frist zur Neuregelung lassen. Solange würde dann weiterhin die aktuelle Regelung gelten. Sollte das passieren, dürfte es nur eine unmittelbare Folge geben: stark zunehmende Betriebsamkeit in deutschen Steuerkanzleien.

Viele Unternehmer werden dann die Chance nutzen, um noch zügig ihr Erbe unter den aktuellen Konditionen zu regeln. Nicht umsonst gilt diese als die unternehmerfreundlichste der Nachkriegsgeschichte. Bereits das gesamte Jahr über hat die anstehende Entscheidung ihren Schatten vorausgeworfen, viele Anwälte meldeten eine stark wachsende Zahl von Anfragen zum Thema.

Was Erben wissen sollten
Alleinerbe Der Alleinerbe erbt als einzige Person. Er tritt rechtlich „in die Fußstapfen des Verstorbenen“ und übernimmt dessen gesamte Rechte, aber auch Pflichten. Quelle: dpa
Gesetzliche Erbfolge Die gesetzliche Erbfolge greift immer dann, wenn kein Testament oder Erbvertrag vorliegt. Danach wird der Nachlass zwischen dem Ehepartner und den Verwandten des Verstorbenen aufgeteilt, wobei Kinder und Enkel des Erblassers Vorrang vor Eltern, Großeltern oder anderen Angehörigen genießen. Quelle: REUTERS
Annahme der ErbschaftWer in Deutschland erben will, muss dafür in der Regel nichts tun. Vor allem braucht er die Annahme des Erbes nicht zu erklären. Dieses Phänomen heißt im Juristen-Deutsch “Von-Selbst-Erwerb.“ Quelle: AP
Ausschlagung der Erbschaft Wer nicht erben will, kann (und muss) die Erbschaft innerhalb einer Frist von sechs Wochen ausgeschlagen. Die Zeit läuft ab dem Moment, in dem der Betreffende von der Erbschaft und deren Gründen erfahren hat. Nach Ablauf der Frist ist eine Ausschlagung in der Regel nicht mehr möglich. Lediglich in Ausnahmefällen besteht die Möglichkeit, die Annahme der Erbschaft anzufechten. Quelle: REUTERS
EhegattentestamentVerheiratete und eingetragene Lebenspartner können ein gemeinschaftliches Testament errichten. Eine weit verbreitete Form ist dabei das sogenannte Berliner Testament. Dabei setzen sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen Vollerben ein. Erst wenn beide Partner verstorben sind, werden auch die Kinder bedacht. Sie werden zu Schlusserben, also zu Erben des länger lebenden Ehegatten ernannt. Quelle: dpa
Pflichtteil Ein Erblasser kann bestimmte Personen von der Erbfolge ausschließen, aber nicht immer verhindern, dass diese Personen etwas aus seinem Nachlass erhalten. Grund: Der sogenannte Pflichtteil garantiert den nächsten Angehörigen des Erblassers also eine Mindestteilhabe an seinem Nachlass. Quelle: dpa
EnterbungHat er Erblasser einen oder mehrere gesetzliche Erben von der Erbfolge ausgeschlossen oder sie bei der Verteilung des Nachlasses nicht erwähnt, spricht man von Enterbung. Handelt es sich bei den fraglichen Personen um enge Angehörige, können sie oft zumindest seinen Pflichtteil verlangen. Quelle: obs

Wie könnte eine Neuregelung aussehen?

Das wird vor allem vom genauen Wortlaut der Entscheidung abhängen. Denn die Politiker der Union und auch die des Wirtschaftsflügels der SPD haben bereits verkündet, dass sie nach wie vor von der aktuellen Regelung überzeugt sind – unabhängig von der Entscheidung der Richter.

Der Erfolg des deutschen Mittelstands ruht aus ihrer Sicht zu einem großen Teil auch auf den gnädigen Besteuerungsregeln. Sollte nicht wider Erwarten der linke SPD-Flügel um Vize-Chef Ralf Stegner in den kommenden Monaten starken Zulauf bekommen, dann wird die Koalition nur das ändern, was unbedingt sein muss.

In Berlin dürfte man deshalb auf möglichst konkrete Aussagen hoffen. Sollten die Richter nur die Behaltensregeln bemängeln, könnte man diese ein bisschen verschärfen. Sollten sie sich an der Befreiung für nicht-betriebsnotwendiges Vermögen stören, könnte man hier die Quote senken.

Politisch besonders unangenehm (und steuersystematisch besonders interessant) wäre hingegen ein Urteil, dass die Besserstellung von Unternehmen im Kern für verfassungswidrig erklären würde. Dann müsste die Regierung die Systematik der Erbschaftsteuer ganz neu angehen.

Zudem stünde sie dann unter dem Risiko, sich schon bald wieder in Karlsruhe auf der Anklagebank zu finden. Viele Steuerrechtler wünschen sich eine solche Neuordnung schon lange, aus ihrer Sicht würde ein niedriger, einheitlicher Steuersatz Bürger und Unternehmen gleich behandeln, ohne die Unternehmen in ihrem Bestand zu gefährden. Hier wird allerdings um Zahlen gerungen.

Manche Ökonomen glauben, dass sich mit einen Einheitssatz von knapp zehn Prozent das Einnahmenniveau von knapp fünf Milliarden Euro im Jahr zumindest konstant halten ließe. Andere Studien, beispielsweise vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), warnen vor großen Verlusten.

Wie groß ist die Gefahr von Notverkäufen, wenn die Ausnahmen wegfallen?

Es ist zweifellos die spektakulärste Warnung der Unternehmensverbände. Wenn die Befreiungsregeln wegfielen, so mahnen sie, könnten sich viele Erben die Weiterführung der Geschäfte nicht mehr leisten und müssten verkaufen. Damit sei der Fortbestand tausender Unternehmen in Gefahr. Adieu, deutscher Mittelstand!

So eindrucksvoll die These, so schwach ist die Beweislage. Die Unternehmensverbände argumentieren meist mit Unternehmensbefragungen nach dem Muster „Was wäre wenn“. Da ergeben sich dann schnell Quoten von bis zu 50 Prozent der Unternehmer, die den eigenen Betriebsübergang bei Einführung einer Erbschaftsteuer in Gefahr sehen.

Sehr glaubhaft ist das nicht. Zum einen galt in Deutschland bis in die Neunzigerjahre ein recht strenges Erbschaftsteuerrecht ohne echte Ausnahmen für Unternehmen. Dennoch konnten selbst die Gutachter des wissenschaftlichen Beirats von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble – einem bekennenden Anhänger der aktuellen Regelung – in einer großen Studie zum Thema keinen einzigen Fall auftun, in dem es in dieser Zeit tatsächlich wegen der Steuer zu einem Notverkauf  gekommen wäre.

Hinzu kommt, dass viele Unternehmer die günstige Situation seit der letzten Reform bereits genutzt haben, um ihre Unternehmensnachfolge zu regeln. Plötzliche Todesfälle ausgenommen haben den meisten Unternehmer nämlich durchaus ein paar Jahre Zeit um ihre Nachfolge zu regeln.

Wo dies noch nicht getan wurde, da wird man im Falle einer echten Reform noch ein bisschen abwarten – die nächste Neuregelung kommt bestimmt.

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