„Verfassungswidrige Ungleichbehandlung“ Bundesfinanzhof macht Anlegern Hoffnung auf günstigere Steuerregeln

Im März 2020 bricht der Dax an der Frankfurter Börse wegen der Coronapandemie ein. Viele Anleger haben ihre Aktien verkauft und hohe Verluste eingefahren. Quelle: dpa

Bisher lassen sich Verluste mit Aktien nicht mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen steuerlich verrechnen. Der Bundesfinanzhof hält das für verfassungswidrig. Viele Anleger könnten davon profitieren.

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Wieder einmal müssen Richter die Politik korrigieren. Jetzt ist es der Bundesfinanzhof (BFH), der Finanzminister Olaf Scholz auf die Finger klopft. Der BFH hält es für verfassungswidrig, dass Anleger Verluste aus Aktiengeschäften nicht mit Gewinnen aus anderen Kapitalanlagen bei der Abgeltungsteuer verrechnen können. Diese Regel war 2009 mit Einführung der Abgeltungsteuer beschlossen worden, auch vor dem Hintergrund der massiven Börsenverluste im Zuge der Finanzkrise. Nun muss das Bundesverfassungsgericht final entscheiden.

Derzeit können Anleger Einbußen beim Verkauf von Aktien nur mit Aktiengewinnen verrechnen. Falls in einem Steuerjahr keine Gewinne aus Aktiendeals anfallen, müssen sie die Verluste auf die folgenden Jahre vortragen. Der BFH hält diese Praxis für eine „verfassungswidrige Ungleichbehandlung“, weil Aktionäre gegenüber Steuerzahlern mit anderen Kapitalanlagen benachteiligt würden. Diese Ungleichbehandlung sei weder mit möglichen Steuermindereinnahmen noch mit dem Risiko des Steuermissbrauchs zu rechtfertigen.

Das ist eine Ohrfeige für die Bundesregierung, die zuletzt die Regeln für die steuerliche Verrechnung von Börsenverlusten sogar noch weiter verschärft hat. Um die Ungleichbehandlung von Anlegern zu prüfen, hat der BFH dem Bundesverfassungsgericht einen Fall vorgelegt, in dem ein Anleger im betreffenden Steuerjahr mit Aktien nur Verluste eingefahren hat (VIII R 11/18). Er konnte diese Verluste wegen der geltenden Steuervorschriften nicht verrechnen. Gegen diese Vorschrift hatte der Anleger geklagt.

Sollte das Bundesverfassungsgericht wie der BFH entscheiden, dann wäre das für Aktionäre ein großer Vorteil. Sie könnten Verluste aus dem Verkauf von Aktien künftig dann beispielsweise auch mit Zinsen oder Dividenden verrechnen. Bislang geht das nicht. Meist wäre es dann nicht mehr nötig, Aktienverluste in die Folgejahre zu übertragen. Die Steuerzahler könnten so schneller über Liquidität verfügen. 

Über die Verlustverrechnung bei Aktien hinaus, hätte ein Urteil der Verfassungsrichter zugunsten der Anleger wohl auch Folgen für andere Kapitalanlagen. Im vergangenen Jahr hat das Bundesfinanzministerium entschieden, dass Verluste aus Termingeschäften sich nur bis 20.000 Euro pro Jahr mit Gewinnen aus eben diesen Geschäften verrechnen lassen. Nicht verrechenbare Verluste müssen Anleger auf die Folgejahre übertragen. Kritiker hatten von Anfang an auch diese Regelverschärfung für eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gehalten. In unserem Format WiWo Coach haben wir beschrieben, welche Regeln bei der steuerlichen Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften gelten, gerade auch, wenn schon 2020 erlittene Verluste noch nicht vollständig verrechnet worden sind.

Immerhin: Optionsscheine und Knock-out-Zertifikate sind nach einem aktuellen Schreiben des Finanzministeriums vom Verlustdeckel bei 20.000 Euro nicht betroffen. Allerdings bleibt die Deckelung für Termingeschäfte, die nicht unter die Ausnahmen fallen. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Verfassungsrichter auch mit dem juristisch umstrittenen Deckel bei 20.000 Euro beschäftigen werden. Olaf Scholz müsste dann wohl ein weiteres Mal nachbessern.  

Mehr zum Thema Verrechnung von Börsenverlusten  lesen Sie in unserer neuen Service-Rubrik WiWo Coach. Bei WiWo Coach beantworten unsere WiWo Coaches jede Woche Fragen von Leserinnen und Lesern zu den Themen Karriere, Steuern, Altersvorsorge und Immobilien.

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