Verkehrsrecht Expertenrat zum Thema Radarfallen

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zu Videoaufnahmen gibt es Freisprüche für Temposünder und uneinige Richter. Mathias Tiedemann, Verkehrsrechtler aus der Frankfurt, erklärt, was Raser erwartet.

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Mathias C. Tiedemann, Verkehrsrechtler aus Frankfurt

Herr Tiedemann, haben Temposünder nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zu Videoaufnahmen bessere Chancen, ohne Strafe davonzukommen?

In vielen Fällen schon. Zahlreiche Gerichte stellen wegen des Verfassungsgerichtsurteils derzeit Verfahren gegen Autofahrer ein, wenn diese von einer Videokamera identifiziert wurden, die verdachtsunabhängig den gesamten Verkehr filmt.

Was gilt bei Blitzgeräten?

Die machen verdachtsabhängige Bilder, weil sie nur bei einem konkreten Verstoß wie etwa überhöhter Geschwindigkeit auslösen. Das ist juristisch anders zu bewerten. Ich habe gehört, dass einige Richter diese Fotos nicht mehr als Beweis akzeptieren, aber ich bin skeptisch, ob sich diese Rechtsprechung durchsetzt.

Was raten Sie betroffenen Autofahrern?

Wer von einer Videokamera erfasst wurde, die verdachtsunabhängig aufzeichnet, sollte seine Rechte bis zur obergerichtlichen Klärung wahren, indem er binnen 14 Tagen Einspruch einlegt. Allgemein gilt: Eine juristische Prüfung ist sinnvoll, weil viele Verfahren schon wegen der kurzen dreimonatigen Verjährungsfrist oder wegen Ungereimtheiten bei der Messung eingestellt werden.

Richter streiten über das Verfassungsgerichtsurteil zu automatischen Aufnahmen von Rasern. Was die Verfassungshüter entschieden haben – und wie andere Gerichte das Urteil interpretieren.

Bundesverfassungsgericht. Ein Autofahrer wurde auf der A 19 von einer automatischen Videokamera erfasst. Die Aufnahme ergab: Er hatte 129 Stundenkilometer drauf, obwohl nur 100 erlaubt waren. Gegen das Bußgeld von 50 Euro und die drei Punkte in Flensburg wehrte sich der Mann: Für die verdachtsunabhängige, automatisierte Überwachung gebe es keine Rechtsgrundlage. Stimmt, sagten die Richter. Die automatische Aufzeichnung sei ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht. Das Amtsgericht Güstrow müsse den Fall neu aufrollen und prüfen, ob es eine gesetzliche Grundlage gebe (2 BvR 941/08).

Amtsgerichte. Eine solche Grundlage gibt es nicht, meinen viele Richter. Mit diesem Argument sprach das Amtsgericht (AG) Grimma einen Autofahrer frei, der geblitzt worden war. Fotos dürfen ebenso wie Videos nicht mehr als Beweis verwertet werden, denn im Urteil der Verfassungshüter sei „ausdrücklich von Bildern die Rede, nicht nur vom Video“ (003 Owi 153 Js 30059/09). Auch das AG Eilenburg sieht keine gesetzliche Basis für die Verwertung von Blitzer-Fotos (5 Owi 253 Js 53556/08). Das AG Saarbrücken hält Fotos und Videos dagegen für verwertbar. Zwar sei eine gesetzliche Basis wohl „bundesweit nicht vorhanden“. Das führe aber nur zu einem Beweiserhebungs- und nicht zu einem Verwertungsverbot (22 Owi 68 Js 734/09).Oberlandesgericht Bamberg. Die Richter erklärten eine Videomessung für zulässig, bei der zunächst zwei Übersichtskameras den Verkehr filmten. Erst als auf den Bildern ein Raser zu erkennen war, aktivierte ein Beamter die „Identifizierungskamera“. Für deren verdachtsabhängige Aufnahmen gebe es eine gesetzliche Grundlage, so die Richter – und zwar Paragraf 100 h der Strafprozessordnung, der Ermittlern erlaubt, außerhalb von Wohnungen „Bildaufnahmen“ von Verdächtigen zu machen (2 Ss Owi 1215/09).

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