Im September beendete der Bundesgerichtshof (BGH) eine Ära: Die obersten Zivilrichter bestätigten die achtjährige Haftstrafe für Hanno Berger (72) wegen „besonders schwerer Steuerhinterziehung“. Der Anwalt war maßgeblich an den berüchtigten Cum-ex-Deals beteiligt, bei denen sich betuchte Investoren nie gezahlte Kapitalertragsteuern erstatten ließen – und damit de facto in die Staatskasse griffen.
Der einstige Finanzbeamte steht wie kein Zweiter für einen Beratertypus, der über Jahrzehnte die Szene prägte: Aggressive Steuergestalter loteten mit Kreativität und bisweilen sogar krimineller Energie die Grenzen der Legalität aus. Ob mit Immobilienprojekten, Filmfonds, internationalen Goldgeschäften oder gewieften Konzernstrukturen: Stets ging es um maximale Vorteile für Mandaten.
Der BGH-Beschluss hat damit auch symbolischen Charakter. Mit der Haftstrafe für den wohl berüchtigsten Steuergestalter der Republik ist klar: Die Zeit, in der Hinterziehung als Kavaliersdelikt, gar als Notwehr gegen übergriffige Finanzämter verbrämt wurde, ist endgültig passé. Auch die Beraterszene hat sich tiefgreifend verändert. Wer die Liste der führenden Experten für Steuerrecht durchgeht, die das Handelsblatt Research Institute für die WirtschaftsWoche ermittelt hat (siehe Tabelle und Kasten), stellt fest: Viele Stars der Szene sind Experten für Tax Compliance. Sie unterstützen Unternehmen, im Dickicht komplexer Vorschriften dabei, Fehler zu vermeiden – und so Steuerprüfern keine Angriffsfläche zu bieten.
„Vielen Entscheidern geht es nicht mehr darum, Steuervorteile zu maximieren, sondern Risiken zu minimieren“, berichtet Markus Ernst, Partner der Kanzlei Hengeler Mueller. So komme es immer öfter vor, dass sich Geschäftsführer in Gespräche über Steuerthemen einschalten und nach etwaigen Reputationsrisiken fragen. Deshalb könnten sich Berater nicht mehr auf rein rechtliche Analysen beschränken: „Neben juristischem Fachwissen ist zunehmend der Blick über den Tellerrand gefragt.“
Über das Ranking
Das Handelsblatt Research Institute (HRI) fragte mehr als 820 Juristen aus 112 Kanzleien nach ihren renommiertesten Kollegen aus den Bereichen Steuerrecht und Steuerstrafrecht. Im Anschluss bewerteten die Juroren die ausgewählten Kanzleien.
Die Jury: Jan Eckert (ZF), Achim Schunder (C.H. Beck), Claas Westermann (RWE).
Wenn Managern Strafen drohen
Bisweilen stehen bei Verstößen gegen Steuerregeln sogar strafrechtliche Vorwürfe im Raum. „Es kommt leider immer wieder vor, dass Finanzbeamte bei Versehen Vorsatz unterstellen“, sagt Daniel Neuhöfer, Partner der Kanzlei Redeker Sellner Dahs, die zu den Top-Kanzleien im Steuerstrafrecht gehört:
Häufig sei das nicht unbedingt böser Wille, sondern eher Ausdruck einer Risikoaversion: Betriebsprüfer fürchten den Vorwurf der „Strafvereitelung im Amt“, wenn sie es unterlassen, die Steuerfahndung einzuschalten. „In einigen Fällen machen Betriebsprüfer in ihrer Mitteilung an die Kollegen aber direkt deutlich, dass die Angelegenheit aus ihrer Sicht nicht gravierend ist“, berichtet Neuhöfer.
Was ihm auffällt: Die Finanzbehörden sind in den letzten Jahren professioneller und schlagkräftiger geworden. „Das liegt unter anderem an neuen Spezialeinheiten der Steuerfahndung und einer besseren Zusammenarbeit innerhalb Europas.“
Und selbst über Europa hinaus kooperieren Finanzbeamte immer enger: Im Zuge des globalen automatischen Informationsaustausches (AIA) erhalten die hiesigen Finanzbehörden Jahr für Jahr detaillierte Informationen über Kapitalerträge, die deutsche Bürger im Ausland einstreichen. 119 Länder nehmen bereits teil; darunter frühere Steueroasen von Andorra über die Schweiz bis Zypern. Und ständig kommen weitere Datenlieferanten hinzu, in diesem Jahr zum Beispiel Ghana, Kenia, Marokko und die Ukraine.
Auch superreiche Steuerhinterzieher, die ausländisches Vermögen diskreten Briefkastengesellschaften übertragen, sind vor Entdeckung nicht mehr gefeit. Das zeigt eine beispiellose Serie von Datenlecks bei Offshore-Dienstleistern – von Panama Papers über Paradise Papers bis zu den Pandora Papers, die inzwischen in vollem Umfang dem deutschen Fiskus vorliegen. Um über 3,8 Terabyte Daten und mindestens 10,4 Millionen Dokumente soll es allein bei den Pandora Papers gehen. Die Forschungsstelle Künstliche Intelligenz (FSKI) im Finanzamt Kassel will helfen, diese Daten möglichst schnell auszuwerten.
Auf Steuerstrafrechtler dürfte dann eine neue Welle von Mandaten zukommen – kaum die letzte. Neuhöfer geht davon aus, dass weitere Datenpakete auftauchen, die Straftaten ans Licht bringen. Gilt doch immer noch: „Viele Menschen sind bereit, hohe Risiken einzugehen, um ihre Steuerlast zu senken.“
Lesen Sie auch: Brorhilker darf Cum-ex-Chefermittlerin bleiben – welche Probleme jetzt noch übrig sind