
Eigentlich wollte der 48-jährige Westfale nur eine Routine-Vorsorgeuntersuchung machen lassen, eine Darmspiegelung, wie sie etwa alle zehn Jahre empfohlen wird. Doch die Routineuntersuchung ging schief, der Chirurg perforierte ihm versehentlich seinen Darm, letzten Endes wurde der Mann durch die Folgen der Untersuchung berufsunfähig. Der Fehler des Chirurgen löste eine ganze Kette von Katastrophen aus: Wenige Tage nach der Spiegelung musste der Patient als Notfall operiert werden. Daraufhin bekam er, was öfter bei dieser Konstellation passiert, eine Bauchfellentzündung. Der Horror ging weiter: mehrere Operationen, danach Monate auf der Intensivstation. Am Ende bekam der Mann einen künstlichen Darmausgang und wurde zum Frührentner – mit 100 Prozent Behindertenquote.
Der Mann klagte gegen das Krankenhaus und gewann. Dass der Patient eine Einverständniserklärung auf einem Vordruck unterschrieben hatte, genügte dem Gericht nicht: Formulare und Merkblätter ersetzten kein Aufklärungsgespräch mit dem Arzt. Mangelhafte Aufklärung des Patienten ist ein häufig angesetzter Hebel für Schadensersatzklagen. Hätte der Patient einer Darmspiegelung zugestimmt, wenn er geahnt hätte, was passieren kann? Nein, urteilte das Oberlandesgericht Hamm und sprach dem Mann 220.000 Euro Schmerzensgeld zu (Aktenzeichen 26 U 85/12).
Gemessen an den gravierenden Folgen des Fehl-Eingriffs, scheint die gezahlte Summe nicht sonderlich hoch. „Patienten sind meist bitter enttäuscht, wenn sie Ärzte oder Kliniken auf Schmerzensgeld verklagen“, sagt Medizinrechtler Martin Stellpflug, Partner bei Dierks + Bohle in Berlin. Zwar sind auch hierzulande die pro Einzelfall gezahlten Schmerzensgeldsummen in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen, in der Zahnmedizin haben sie sich binnen 15 Jahren sogar verdoppelt. Doch von hohen Millionenzahlungen wie in den USA sind sie noch weit entfernt. „Betroffene orientieren sich leider oft an TV-Serien über Kliniken und Law Firms und nicht an der deutschen Rechtsprechung aus einschlägigen Tabellen wie der Beck’schen Schmerzensgeldtabelle oder der vom ADAC“, sagt Bernd Schwarze, Medizinrechtler und Partner bei BLD Bach Langheid Dallmayr in Köln.
Sieben Top-Kanzleien für Patienten | |
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Makiol Lüken & Kollegen | Achim Makiol |
Meinecke & Meinecke | |
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Dr. Roland Uphoff | |
Quelle: WiWo-Expertenpanel und Jury |
Die andere große Kategorie der Streitfälle, bei denen Patienten vor Gericht gute Karten haben, sind Befunderhebungsfehler, vulgo: unterlassene Untersuchungen. So wurde ein Krankenhaus im westfälischen Dorsten verklagt, weil die Ärzte bei einer bewusstlosen Patientin nicht rechtzeitig einen Neurologen zur Beurteilung einer Computertomografie hinzuzogen. Deshalb sei ein massiver Hirnstamminfarkt unerkannt geblieben, infolgedessen die Patientin am Ende starb. 50.000 Euro Schmerzensgeld sollten ihre Kinder laut Urteil des Oberlandesgerichts Hamms bekommen (Aktenzeichen 3 U 122/12).
Weil Patienten inzwischen aufgeklärter und streitbarer sind, bekommen spezialisierte Anwälte seit Jahren mehr Arbeit. Hinzu kommt: Zwischen 1991 und 2012 ist die Zahl der Behandlungsfälle in deutschen Krankenhäusern um mehr als vier Millionen auf 18 Millionen Behandlungen im Jahr gestiegen, so die „Ärztezeitung“. Gleichzeitig aber ist die Zahl der Klinikmitarbeiter um rund 90.000 gesunken, auf zuletzt 694.900. Mehr Behandlungen und weniger Mitarbeiter bedeuten mehr Zeitdruck und damit auch mehr Fehler.
„Der Bereich wächst und ist für Anwälte auch wirtschaftlich interessant“, sagt Schwarze. Auseinandersetzungen zwischen Patienten und Kliniken oder Krankenkassen rechnen Anwälte nach der gesetzlichen Gebührenordnung ab. Nur in Ausnahmefällen werden Stundenhonorare zwischen 220 und 300 Euro fällig.