Auf einen Reflex ist Verlass: Wenn Politik gestalten will, kommt das Steuerrecht ins Spiel. Mittelständler motivieren, kräftig zu investieren? Das Vierte Corona-Steuerhilfegesetz ist unterwegs. Unternehmen krisenresistent machen? Die EU plant steuerliche Anreize für Eigenkapitalfinanzierungen. Hinterziehung verhindern? Anti-Steuervermeidungs-Richtlinie und globale Mindeststeuer sollen es richten.
Sicher, es geht um hehre Ziele. Allerdings ist offen, ob steuerliche Hebel dazu beitragen können, die Konjunktur zu stabilisieren, Insolvenzen zu verhindern und Gewinnverschiebung zu unterbinden. Klar aber ist: Neue Regeln verkomplizieren das Steuerrecht, schaffen bei Unternehmen Frust über immer mehr Bürokratie.
Wer Fehler vermeiden und Chancen nutzen will, braucht deshalb versierte Experten. Aber auf wen können Unternehmer bauen? Das Handelsblatt Research Institute (HRI) hat im Auftrag der WirtschaftsWoche die besten Steuerberatungen in jenen Bereichen identifiziert, die momentan besonders im Fokus stehen.
Zentraler Treiber des rasanten steuerlichen Wandels ist die Globalisierung. „In einer hochgradig vernetzten Welt können Regierungen Herausforderungen nur gemeinsam angehen“, sagt Andreas Kowallik, Partner der Beratung Deloitte in München. „Das führt zu einer steigenden Zahl internationaler Steuerinitiativen mit erheblichen Auswirkungen auf Unternehmen.“ Obwohl der Ampelkoalitionsvertrag nur wenige ambitionierte Steuervorhaben enthält, rollt auf die Wirtschaft deshalb eine Welle neuer Regeln zu. Neben der Mindeststeuer und Anreizen zur Eigenkapitalfinanzierung stehen auf EU-Ebene zum Beispiel neue Vorschriften für Onlineplattformen und Kryptowährungen auf der Agenda.
Über das Ranking
Das Handelsblatt Research Institute (HRI) fragte über 3800 Steuerberater aus mehr als 300 Sozietäten nach ihren renommiertesten Kollegen in den Bereichen Tax-Tech und Digitalisierungsberatung, Tax-Compliance (Vermeidung von Verstößen gegen Steuergesetze) und internationales Steuerrecht. Die Listen der Nominierten wurden der Jury aus Steuerexperten namhafter Unternehmen vorgelegt, die dann die Top-Kanzleien mit den besten Beraterinnen und Beratern wählte.
Die Jury: Jörg Herrfurth (Phoenix Group), Klaus Klemm (SAP), Jan Körner (BASF), Marc R. Plikat (Thyssenkrupp)
„Radikale Vereinfachung“
Kowallik beobachtet diese Ballung skeptisch. „Leider werden dadurch für zahlreiche Unternehmen weitere Pflichten und Auflagen hinzukommen“, kritisiert er. Dabei sei insbesondere für den Mittelstand „eine radikale Vereinfachung“ notwendig. Damit meint der Digitalisierungsexperte weniger Steuererklärungen auf dem Bierdeckel als Strukturreformen in den Behörden. „Es ist ein Armutszeugnis, dass der Gesetzgeber noch immer nicht für schnellere und einfachere Abläufe gesorgt hat.“ Österreich und Italien etwa seien „wesentlich weiter“.
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An Ideen, die Chancen der Digitalisierung auch praktisch zu nutzen, mangelt es nicht. So drängt Kowallik darauf, kleinen Unternehmen zu ermöglichen, einmal im Quartal ihre digitale Buchführung ans Finanzamt zu schicken. Auf dieser Basis, so die Idee, könnten Beamte dann sofort die fälligen Ertragsteuern ermitteln. „Vorauszahlungen und Steuererklärungen wären nicht mehr nötig“, sagt Kowallik. Immerhin habe der Fiskus infolge der Coronapandemie Fortschritte gemacht. So könnten Unternehmen Dokumente und Belege während einer Betriebsprüfung häufig online einreichen. Florian Oehl, Managing Partner bei der Beratung WTS, konstatiert ebenfalls einen „Digitalisierungsschub“ in den Finanzbehörden. Digitale Belege und Onlineprüfungen gehörten zum Alltag, sagt er.
Das ermögliche eine „schnellere und effektivere Bearbeitung von Steuersachverhalten“. Allerdings sieht auch Oehl viel Luft nach oben, etwa in den Gemeinden bei der Gewerbesteuer und den Immobiliensteuern. Klar ist: Für Unternehmen brächte es Vorteile, wenn die Behörden entschlossener digitalisieren. Schließlich haben sich viele von ihnen längst von analogen Prozessen verabschiedet, da ist es ärgerlich, wenn der Fiskus bremst.
„Die Finanzämter sind noch immer nicht in der Lage, Körperschaftsteuerbescheide oder andere Dokumente rechtssicher digital zu versenden“, rügt Kowallik. Mitarbeiter in den Unternehmen müssten Dokumente zuerst einscannen, um sie dann digital zu speichern. Wenn der bürokratische Aufwand sinkt, hätten Unternehmen mehr personelle Kapazitäten für strategische Fragen – und davon gibt es jetzt genug. Zudem bliebe mehr Zeit zu prüfen, ob und inwieweit neue Steuergesetze Chancen für das Unternehmen bieten.
Denn bei allem Ärger über neue Auflagen sollte niemand vergessen: Bisweilen eröffnet der Fiskus neue Möglichkeiten. So hat die Bundesregierung mit dem jüngsten Corona-Steuerhilfegesetz die „degressive Abschreibung“ verlängert. Noch bis Ende des Jahres gilt deshalb: Unternehmen dürfen bis zu 25 Prozent der Anschaffungskosten auf einen Schlag steuerlich geltend machen, wenn sie neue Fahrzeuge, Maschinen oder andere „bewegliche Wirtschaftsgüter“ kaufen.
Auch jenseits deutscher Grenzen bieten sich Optionen für Unternehmen, die nicht nur Briefkästen aufhängen wollen. Regierungen setzen derzeit darauf, mit Steueranreizen Investitionen zu fördern. Sehr entschlossen zeigt sich die Ukraine. Sie hat drei Wochen nach der russischen Invasion ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Entlastungen vorsieht: Viele Unternehmen müssen etwa statt Gewinn- und Mehrwertsteuer nur noch pauschal zwei Prozent ihres Umsatzes an den Fiskus überweisen. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat eine „maximale Deregulierung der Wirtschaft“ angekündigt. So will er die Weichen für einen Investitionsboom stellen – nach Kriegsende, auch wenn der Zeitpunkt ungewiss ist.
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