Zu schnell gefahren Wie Sie gegen einen Bußgeldbescheid vorgehen können

Mobile und stationäre Blitzer legen Rasern oft das Handwerk. Doch sind die Blitzeraufnahmen überhaupt gültig? Und darf der Beifahrer fotografiert werden? Welche Rechte vermeintliche Raser haben.

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Ein mobiles Blitzgerät fotografiert auf einer Bundesstraße Fahrzeuge mit überhöhter Geschwindigkeit. Quelle: dpa

In den nächsten Wochen trudeln die Bußgeldbescheide des europaweiten Blitzmarathons aus dem April ein. Insgesamt wurden 3,5 Millionen Fahrer kontrolliert – rund 100.000 von ihnen fuhren zu schnell und dürfen sich nun über Geldstrafen und mitunter sogar Fahrverbote ärgern.

Auf den Aufnahmen der Blitzer ist das Kennzeichen zu sehen, sodass der Halter ermittelt werden kann. Das reicht allerdings nicht aus – in Deutschland gilt die Fahrerverantwortlichkeit, haftbar ist also nicht der Halter, sondern der Fahrer. Dieser ist in den meisten Fällen anhand des Gesichts auf der Blitzaufnahme identifizierbar.

Was Raser wissen müssen

Doch ist eine solche Blitzaufnahme überhaupt gültig? 2009 hatte das Bundesverfassungsgericht das in Zweifel gezogen. Es gab einem Autofahrer Recht, der sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt sah, nachdem er von einem videogestützten Kontrollsystem überführt worden war, den Mindestabstand nicht eingehalten zu haben.

Karlsruhe entschied, dass die verdachtsunabhängige Videoaufzeichnung einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. In der Folge legten zahlreiche Rechtsanwälte in Bußgeldverfahren, in denen es um Geschwindigkeits- oder Abstandsmessungen ging, Einspruch ein mit der Begründung: Es handele sich um eine unzulässige Überwachungsmaßnahme, weil sie verdachtsunabhängig war.

„Die obergesetzliche Rechtsprechung hat sich auf diese Argumentation in Bußgeldbescheiden nicht eingelassen“, erklärt Verkehrsstrafrechtsexperte und Rechtsanwalt Christian Demuth. Bevor die Kamera ausgelöst wird, erhält sie ein Signal, das angibt, dass das Fahrzeug zu schnell gefahren ist oder der Mindestabstand nicht eingehalten wurde. „Damit handelt es sich um eine konkrete, verdachtsabhängige Überwachung. Zuerst wird der Tatverdacht festgestellt und dann die Bildüberwachung ausgelöst“, erklärt Demuth die Rechtslage.

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Darf der Beifahrer erkennbar sein?

Auch das Persönlichkeitsrecht des Beifahrers macht die Blitzeraufnahme nicht ungültig, wie das Oberlandesgericht in Oldenburg urteilte. In dem strittigen Fall war auf dem Bild die Tochter des Halters als Beifahrerin zu sehen – über sie war es möglich, Rückschlüsse auf den Fahrer zu ziehen und der Halter wurde als Fahrer identifiziert.

Die Richter entschieden damals, dass das durch die Strafprozessordnung gedeckt sei, weil es unvermeidbar ist, den Beifahrer ebenfalls abzubilden. „Der Beifahrer ist kein Betroffener in dem Bußgeldverfahren, sondern nur eine Nebenperson“, erläutert Demuth. „Deswegen führt seine Erkennbarkeit nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.“

Die Einspruchsmöglichkeiten

Doch ohne weiteres müssen vermeintliche Raser den Bußgeldbescheid trotzdem nicht hinnehmen. „Betroffene haben immer die Möglichkeit, gegen einen Bußgeldbescheid Einspruch einzulegen und die Messung auf Richtigkeit überprüfen zu lassen“, sagt er.

In 20 bis 30 Prozent der Fälle gebe es Mängel bei der Messung, erklärt Demuth. „Das können einerseits formelle Einwände sein, andererseits kann die Messung an sich ungültig sein, weil das Messgerät nicht ordnungsgemäß eingesetzt wurde.“

Die Blitzer müssten streng nach der mitgelieferten Gebrauchsanweisung bedient werden. Sollte das nicht der Fall sein – etwa, weil die Reichweite nicht ordnungsgemäß eingestellt wurde – kann das Bußgeld abgewehrt werden.

So viel nehmen deutsche Städte mit Blitzern ein
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat 150 Städte befragt, wie hoch ihre Einnahmen aus Geschwindigkeitskontrollen im Jahr 2012 gewesen sind. Nicht im Ranking enthalten sind Großstädte wie Berlin, Hamburg und München, da die Städte trotz gesetzlicher Auskunftspflicht nicht auf die Anfrage des DAV reagiert haben. "Von den angeschriebenen Städten haben wir bisher nur 34 Fragebögen, zum Teil mit unvollständigen Angaben, zurückbekommen. Sechs dieser Städte haben außerdem die übermittelten Daten nicht zur Veröffentlichung freigegeben", sagte Jens Dötsch vom DAV gegenüber der Bild-Zeitung. Quelle: dpa
Die meisten Radarfallen gibt es übrigens in Berlin: In der Hauptstadt stehen 22 festinstallierte Blitzer. Hinzu kommen 100 mobile Geschwindigkeitskontrollen. Zweitplatzierter ist Düsseldorf mit 37 stationären und mobilen Radarfallen. Danach kommt Hamburg mit 34 Blitzern, Stuttgart mit 32, Freiburg mit 24 sowie Bremen und Aalen mit je 20 Blitzern. Die 34 Städte, die der DAV ausgewertet hat, haben zusammen mehr als 500 stationäre und mobile Blitzsysteme. Quelle: dpa
Platz zehn: PforzheimDie baden-württembergische Stadt Pforzheim hat laut DAV-Angaben im vergangenen Jahr 1,4 Millionen Euro durch Radarkontrollen eingenommen. Zweckgebunden sind die Gelder, die Raser an die Kommunen zahlen übrigens nicht. Sie fließen in den Gesamthaushalt.
Platz neun: MünchenDie bayerische Landeshauptstadt verdiente an Autofahrern mit Bleifuß vergangenes Jahr 1,9 Millionen Euro. Quelle: AP
Platz acht: BonnAuch die frühere Bundeshauptstadt Bonn konnte sich 2012 über Zusatzeinnahmen aus den Radarkontrollen freuen: Insgesamt flossen 2,5 Millionen Euro in den Haushalt der Stadt. Und es dürfte künftig noch mehr werden: Die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen dürfen nämlich künftig ohne polizeiliche Zustimmung blitzen. Radarfallen können also auch in Bonn in Zukunft unabhängig von dem Gefahrenpotential einer Verkehrsstelle aufgebaut werden. Der DAV vermutet hinter dieser Regelung Abzocke der Autofahrer. Quelle: dpa
Platz sieben: FrankfurtNach Meinung des Deutschen Anwaltverein werden die anderen Bundesländer dem Beispiel Nordrhein-Westfalen folgen. Allein dem hessischen Frankfurt könnte eine solche Lockerung der Blitzer-Richtlinien einiges einbringen. Im vergangenen Jahr verdiente die Bankenstadt am Main 2,7 Millionen Euro mit Rasern. Quelle: dpa
Platz sechs: NürnbergIm fränkischen Nürnberg konnte sich die Stadtverwaltung 2012 über 2,8 Millionen Euro an zusätzlichen Einnahmen freuen. Quelle: dpa

„In solchen Fällen kommt es zu einem Sachverständigengutachten, in dem geklärt wird, ob die Messung ordnungsgemäß stattfand“, sagt Demuth. Wer widerspricht, landet zumeist vor Gericht. Das kann schnell unverhältnismäßig teuer werden: Kosten zwischen 500 und 1000 Euro sind keine Seltenheit. Deswegen empfiehlt Demuth eine Rechtsschutzversicherung.

Die Qualität der Aufnahme ist entscheidend

Doch selbst wenn die Messung formell gültig ist, gibt es Einspruchsmöglichkeiten. „Die Qualität der Aufnahmen ist oftmals unzureichend“, sagt Demuth. So seien die Bilder manchmal falsch belichtet und in der Folge zu hell oder zu dunkel oder Teile des Gesichts seien verdeckt.

„In jedem Fall empfiehlt es sich, sich nicht dazu zu äußern, ob man zum fraglichen Zeitpunkt den Wagen fuhr“, so Demuth. Der Bußgeldrichter müsse begründen, anhand welcher Merkmale er die Person auf dem Bild als den Betroffenen identifizieren könne.

Sei das nicht zweifelsfrei möglich, ist das Bußgeld leicht anzufechten. „Es reicht schon, wenn der Richter einen Restzweifel hat, ob der Belangte tatsächlich der Fahrer ist.“ Sobald es keine hervorstechenden individuellen Merkmale gibt und ein Großteil des Gesichts verdeckt ist, seien die Chancen recht gut, dass das Verfahren eingestellt wird – sofern der Beklagte sich nicht zu der Frage äußert, ob er gefahren ist oder nicht.

Heißt das also, wer eine große Sonnenbrille aufzieht und eine Mütze trägt, ist vor Strafverfolgung sicher? Sowas kann zwar mitunter gegen die Identifizierung vor Gericht helfen - kommt es allerdings zu besonders krassen Geschwindigkeitsüberschreitungen oder ist der Fahrer eines Fahrzeugs mehrfach nicht identifizierbar, verhängt die Bußgeldstelle eine Fahrtenbuchauflage gegen den Halter des Fahrzeugs. Der Fahrzeughalter ist dann verpflichtet, für jede einzelne Fahrt den Namen und die Anschrift des Fahrers anzugeben sowie Datum und Uhrzeit des Fahrtbeginns und des Endes.

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