
In den nächsten Wochen trudeln die Bußgeldbescheide des europaweiten Blitzmarathons aus dem April ein. Insgesamt wurden 3,5 Millionen Fahrer kontrolliert – rund 100.000 von ihnen fuhren zu schnell und dürfen sich nun über Geldstrafen und mitunter sogar Fahrverbote ärgern.
Auf den Aufnahmen der Blitzer ist das Kennzeichen zu sehen, sodass der Halter ermittelt werden kann. Das reicht allerdings nicht aus – in Deutschland gilt die Fahrerverantwortlichkeit, haftbar ist also nicht der Halter, sondern der Fahrer. Dieser ist in den meisten Fällen anhand des Gesichts auf der Blitzaufnahme identifizierbar.
Was Raser wissen müssen
Deutschlandweit gibt es 4231 Blitzer. Weltweit liegt Deutschland damit auf Platz fünf der Blitzer-Staaten: Platz vier belegen die USA mit 5647 Starenkästen, Großbritannien folgt mit 5754 Blitzern auf Platz drei. Der zweite Platz geht an Italien mit 6884 Blitzern und der erste Platz an Brasilien mit stolzen 14.395 Starenkästen.
Die meisten Radarfallen gibt es in Berlin: In der Hauptstadt stehen 22 festinstallierte Blitzer. Hinzu kommen 100 mobile Geschwindigkeitskontrollen. Zweitplatzierter ist Düsseldorf mit 37 stationären und mobilen Radarfallen. Danach kommt Hamburg mit 34 Blitzern, Stuttgart mit 32, Freiburg mit 24 sowie Bremen und Aalen mit je 20 Blitzern.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat 150 Städte befragt, wie hoch ihre Einnahmen aus Geschwindigkeitskontrollen im Jahr 2012 gewesen sind. Nicht im Ranking enthalten sind Großstädte wie Berlin, Hamburg und München, da die Städte trotz gesetzlicher Auskunftspflicht nicht auf die Anfrage des DAV reagiert haben. "Von den angeschriebenen Städten haben wir bisher nur 34 Fragebögen, zum Teil mit unvollständigen Angaben, zurückbekommen. Sechs dieser Städte haben außerdem die übermittelten Daten nicht zur Veröffentlichung freigegeben", sagte Jens Dötsch vom DAV.
Der dritte Platz ging an die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt Düsseldorf: 5,3 Millionen Euro nahm die Stadt im Jahr 2012 durch Radarkontrollen ein. Die Stadt Dortmund kassierte - heruntergerechnet auf alle zugelassenen Pkw - 27,75 Euro pro Auto. Insgesamt flossen sieben Millionen Euro in die Haushaltskasse. Und ausgerechnet die Autostadt Stuttgart verdient 2012 am meisten an ihren Rasern: 7,9 Millionen Euro nahm die Hauptstadt Baden-Württembergs allein durch Radarkontrollen ein. Pro zugelassenem Pkw sind das 28,07 Euro.
Spezielle Smartphone-Apps und die meisten Navigationssysteme warnen den Fahrer vor Radarkontrollen. Das möge lehrreich sein, ist beides aber auch „ganz klar illegal“, so der Hamburger Anwalt Uwe Toben, Experte für Verkehrsstrafrecht. Denn die Straßenverkehrsordnung verbietet den Einsatz von technischen Geräten, die „dafür bestimmt sind, Verkehrsüberwachungsmaßnahmen anzuzeigen oder zu stören“. Warum das so ist und ob ein Handy überhaupt in diese Kategorie fällt weiß keiner so genau. Der Paragraf stammt aus einer Zeit, in der es weder Smartphones noch Navigationsgeräte gab. Anwalt Toben kann sich auch an keinen Fall erinnern, in dem jemand wegen seiner Handy-App Probleme bekommen hat. „Wo kein Kläger, da auch kein Richter“, sagt Toben.
Entsprechend wirbt auch der Navigationshersteller Tomtom auf seiner Website für seinen knapp 30 Euro teuren Service, der „mit ausreichend Vorlaufzeit“ vor Radarkameras warnt. Der Dienst mache den Straßenverkehr sicherer, behauptet das Unternehmen.
Und auch der Gesetzgeber hat nicht gegen jede Form von Blitzer-Warnung etwas: Die Radiosender etwa dürfen vor Radarfallen warnen. Wo genau hier die rechtliche Grenze zwischen technischen Geräten wie Handys oder Navigationssystemen gezogen wird, weiß niemand so genau.
Wer bis zu 20 Sachen zu schnell unterwegs ist, muss nur mit einem Bußgeld von bis zu 30 Euro rechnen. Ab 21 Stundenkilometern zu viel steigt die Höhe des Verwarngeldes schon auf 70 Euro und es gibt einen Punkt in Flensburg. Den kompletten Bußgeldkatalog finden Sie übrigens hier.
Wer außerorts 41 oder mehr Stundenkilometer über dem Limit fährt, muss ein Auto für mindestens einen Monat stehen lassen. Innerhalb einer Gemeinde gibt es schon ab einer Geschwindigkeitsübertretung von 31 km/h ein einmonatiges Fahrverbot.
In vielen deutschen Bundesländern gibt es bereits Blitzer ohne Blitz. Im Juni 2014 führte - nach Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bremen und Thüringen - auch Bayern das System TraffiStar 330 ein. Die Anlage liefert bei Tag und Nacht scharfe Bilder, ohne den Fahrer durch einen Blitz zu blenden. Bei der sogenannten Robot Black Flash Technologie kommt ein Infrarot-Blitz zum Einsatz, der für das menschliche Auge fast unsichtbar ist. Außerdem berechnet der TraffiStar 330 die Geschwindigkeit der Fahrzeuge anhand des Wegs, den das Auto in einer bestimmten Zeit zurückgelegt hat. Kritiker sagen jedoch, dass bei dieser Technologie der "Erziehungseffekt" wegfällt, weil der Raser erst beim Öffnen des Bußgeldbescheids von seiner Geschwindigkeitsübertretung erfährt.
Das Streckenradar funktioniert ähnlich wie der Blitzer ohne Blitz: Die Geschwindigkeit eines Autofahrers wird über einen längeren Abschnitt kontrolliert. Dafür fotografiert eine Kamera jedes Fahrzeug am Beginn des Abschnitts von hinten. Am Streckenende wird das Auto erneut erfasst. Wenn ein Fahrzeug die Strecke in einer Zeit zurücklegt, die nur durch die Übertretung des Tempolimits erreicht werden kann, wird das Fahrzeug von vorne geblitzt. In Niedersachsen startet im Frühjahr 2015 ein etwa 18 Monate langer Feldversuch mit der Technologie. Dort werden die Fahrer deutlich auf diese Form der Kontrolle hingewiesen. Erfahrungen mit der Technologie gibt es bereits im europäischen Ausland.
So haben notorische Raser in Italien das Streckenradar schon überlistet: Sie durchrasen den ersten Teil der Strecke mit hoher Geschwindigkeit. Danach trinkt der Fahrer an einer Raststätte einen Espresso und fährt nach der kurzen Pause weiter. So bleibt er insgesamt unter der Geschwindigkeitsbegrenzung.
Mittlerweile gelten Fotos, die Blitzgeräte aufgenommen haben, nicht mehr als Beweismittel, weil sie gegen das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ verstoßen. Wer also einen bösen Brief samt Foto bekommt, kann - trotz gestochen scharfem Foto - behaupten, nicht zu wissen, wer das Auto zum fraglichen Zeitpunkt gefahren hat.
Doch ist eine solche Blitzaufnahme überhaupt gültig? 2009 hatte das Bundesverfassungsgericht das in Zweifel gezogen. Es gab einem Autofahrer Recht, der sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt sah, nachdem er von einem videogestützten Kontrollsystem überführt worden war, den Mindestabstand nicht eingehalten zu haben.
Karlsruhe entschied, dass die verdachtsunabhängige Videoaufzeichnung einem Beweisverwertungsverbot unterliegt. In der Folge legten zahlreiche Rechtsanwälte in Bußgeldverfahren, in denen es um Geschwindigkeits- oder Abstandsmessungen ging, Einspruch ein mit der Begründung: Es handele sich um eine unzulässige Überwachungsmaßnahme, weil sie verdachtsunabhängig war.
„Die obergesetzliche Rechtsprechung hat sich auf diese Argumentation in Bußgeldbescheiden nicht eingelassen“, erklärt Verkehrsstrafrechtsexperte und Rechtsanwalt Christian Demuth. Bevor die Kamera ausgelöst wird, erhält sie ein Signal, das angibt, dass das Fahrzeug zu schnell gefahren ist oder der Mindestabstand nicht eingehalten wurde. „Damit handelt es sich um eine konkrete, verdachtsabhängige Überwachung. Zuerst wird der Tatverdacht festgestellt und dann die Bildüberwachung ausgelöst“, erklärt Demuth die Rechtslage.
Blitzmarathon 2015: Hier gingen die meisten Raser in die Falle
Am wenigsten Tempoverstöße wurden in Deutschlands kleinstem Bundesland Bremen festgestellt. Von 28.450 kontrollierten Fahrzeugen während des Blitzmarathons 2015 waren 1401 zu schnell unterwegs.
Schleswig-Holstein hat am Blitzmarathon nicht teilgenommen.
In Sachsen-Anhalt wurden beim Blitzmarathon 68.894 Fahrzeuge kontrolliert – 1796 waren schneller als erlaubt.
1822 Verkehrsteilnehmer wurden im Saarland wegen überhöhter Geschwindigkeit geblitzt. Insgesamt wurden 30.295 Fahrzeuge kontrolliert.
In Hamburg wurden 394.033 Fahrzeuge kontrolliert. 2060 von ihnen waren zu schnell unterwegs.
57.274 Autofahrer wurden in Mecklenburg-Vorpommern kontrolliert. 2071 wurden als Temposünder entlarvt.
Während des Blitzmarathons wurden in Thüringen 107.061 Verkehrsteilnehmer kontrolliert – 2195 unter ihnen waren zu schnell.
Von den 71.122 kontrollierten Fahrzeugen in Rheinland-Pfalz waren 2623 zu schnell.
In Berlin wurden 3674 Autofahrer als Temposünder entlarvt – insgesamt wurden 75.829 Fahrer kontrolliert.
127.073 Fahrzeuge wurden in Sachsen kontrolliert – 4554 davon waren zu schnell unterwegs.
In Niedersachsen gingen den Polizisten 5165 Autofahrer in die Falle – kontrolliert wurden 184.003.
In Brandenburg waren es 247.338 Fahrer, die kontrolliert worden – 6751 von ihnen waren zu schnell.
7716 Fahrzeuge wurden in Bayern überführt, zu schnell gefahren zu sein. Kontrolliert wurden insgesamt 254.685 Fahrzeuge.
In Hessen wurden 279.213 Fahrer kontrolliert – 10.490 von ihnen wurden geblitzt.
553.242 Fahrzeuge wurden in Baden-Württemberg kontrolliert – 16.307 von ihnen waren mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs.
Die meisten Geschwindigkeitsverstöße verzeichnete Deutschlands bevölkerungsreichstes Bundesland Nordrhein-Westfalen. Von den 775.307 kontrollierten Fahrern waren 22.637 zu schnell.
Darf der Beifahrer erkennbar sein?
Auch das Persönlichkeitsrecht des Beifahrers macht die Blitzeraufnahme nicht ungültig, wie das Oberlandesgericht in Oldenburg urteilte. In dem strittigen Fall war auf dem Bild die Tochter des Halters als Beifahrerin zu sehen – über sie war es möglich, Rückschlüsse auf den Fahrer zu ziehen und der Halter wurde als Fahrer identifiziert.
Die Richter entschieden damals, dass das durch die Strafprozessordnung gedeckt sei, weil es unvermeidbar ist, den Beifahrer ebenfalls abzubilden. „Der Beifahrer ist kein Betroffener in dem Bußgeldverfahren, sondern nur eine Nebenperson“, erläutert Demuth. „Deswegen führt seine Erkennbarkeit nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.“