Streitfall des Tages Wenn Ärzte Patienten zu Unrecht zahlen lassen

Ärzte stellen oft Rechnungen, die eigentlich die Krankenkasse zahlen müsste. Die Kassen informieren Patienten falsch, etwa bei Hautkrebsuntersuchungen. Wann Patienten zu unrecht zahlen und wie sie sich wehren können.

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Der Fall

Als die Kölnerin Inge K. zum vereinbarten Termin mit ihrer Hautärztin aufbricht, um sich der Krebsvorsorge zu unterziehen, braucht sie fast eine Stunde, um die Praxis zu erreichen. Dort erwartet sie eine unangenehme Nachricht: Da sie zuletzt im Mai 2009 bei einer Hautvorsorge gewesen sei, würde ihre gesetzliche Krankenkasse frühestens im Mai 2011 die Kosten übernehmen.

Denn zwischen beiden Terminen müssten zwei Jahre liegen. Es käme dabei aufs Quartal an, so die Sprechstundenhilfe. 21,43 Euro koste die Untersuchung für Patienten der gesetzlichen Krankenkasse. Frau K. entscheidet sich, die Rechnung selbst zu zahlen. Kurz darauf erwartet sie die zweite schlechte Nachricht: Sie sollte unterschreiben, dass sie 41,03 Euro zahlt.

Bei einer Privatleistung werde die Vorsorge stets mit Auflichtmikroskop ausgeführt. Dafür werde ein Aufschlag fällig. „Mir hätte die übliche Behandlung gereicht. Ich habe protestiert, “ sagt Inge K. Doch auch die Ärztin habe gesagt, sie könne die Leistung sofort für die rund 40 Euro beziehen oder im Mai wiederkommen. Also habe sie sich untersuchen lassen und gezahlt.

Auf Anfrage bestätigt ihr Versicherer, die MH Plus Betriebskrankenkasse, dass zwei Jahre zwischen den Terminen liegen müssten. Sie konkretisiert das auf Nachfrage auf 24 Monate. Unterstützt von der Unabhängigen Patientenberatung informiert sich die Patientin über ihre Rechte und legt Widerspruch bei ihrer Kasse ein. Zudem fordert sie den Aufschlag für das Auflichtmikroskop von der behandelnden Ärztin zurück.

Die Gegenseite

„Die Rechtslage ist von der Unabhängigen Patientenberatung richtig beschrieben. Für Frau B. bestand seit dem 01.01.2011 wieder Anspruch auf eine Hautkrebs-Früherkennungs- Untersuchung, “ sagt Michael Pfeiffer, Pressesprecher der mhplus Krankenkasse. Aus dem Bericht lasse sich schließen, dass in diesem Fall von der mhplus Krankenkasse nicht korrekt beraten wurde. „Dafür entschuldigen wir uns! Und selbstverständlich erstatten wir die Kosten für die gesetzliche Leistung, “ so Pfeiffer.

Wann Patienten zu unrecht zahlen

Die Relevanz

Wie häufig gesetzliche Krankenkasse und Ärzte fälschlicherweise auf die Einhaltung einer 24 Monats-Frist bestehen und Patienten privat zur Kasse bitten, ist nicht erfasst. „Doch die Hautkrebsvorsorge ist Quell ständigen Ärgernisses zwischen Patienten und Arzt,“ sagt Christine Stenner, Fachanwältin für Medizin- und Sozialrecht der Kanzlei Wolf & Stenner in Bad Homburg.

Einerseits gehe die Hautkrebsrichtlinie vielen Fachleuten nicht weit genug. Viele Fachleute halten den Einsatz eines Auflichtmikroskops für unverzichtbar. Zudem komme es immer wieder zu Konflikten bei der Abrechnung: „Meiner Erfahrung nach ist es der Unwissenheit gerade kleinerer Krankenkassen geschuldet, dass hier Fehler gemacht werden“, so Stenner.

Die Rechtslage

„Die Richtlinie über die Erkennung von Krebserkrankungen (KFE-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses in Kraft getreten am 03.03.2011 regelt die Krebsvorsorge“, sagt Anja Girschik, juristische Beraterin bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland, Beratungsstelle Magdeburg. Die vom G-BA beschlossenen Richtlinien haben den Charakter untergesetzlicher Normen, das heißt, sie gelten für die gesetzlichen Krankenkassen, deren Versicherte und die behandelnden Ärzte sowie andere Leistungserbringer und sind für diese verbindlich.

So wurde in § 2 der Richtlinie hinsichtlich der Untersuchungsintervalle wie folgt formuliert: „ Der Anspruch auf Früherkennung besteht nach der ersten Inanspruchnahme – soweit nicht in den folgenden Abschnitten oder Anlagen der Richtlinie Abweichendes bestimmt ist – jährlich.“

Nach § 29 der Richtlinie haben Patienten ab dem Alter von 35 Jahren jedes zweite Jahr Anspruch auf vertragsärztliche Maßnahmen zur Früherkennung von Hautkrebs. Eine erneute Früherkennungsuntersuchung auf Hautkrebs ist jeweils erst nach Ablauf des auf die vorangegangene Untersuchung folgenden Kalenderjahres möglich.

Was Betroffene tun können

Die Experten

„Eine Patientin, die also im Mai 2009 bei der Hautkrebsvorsorge war, hat bereits zu Jahresbeginn 2011 Anspruch auf die Hautkrebsvorsorgeuntersuchung“, sagt Girschik. Denn die Richtlinie gehe keineswegs von 24 Monaten oder zwei Jahren aus. Sie konkretisiere, dass mindestens ein Kalenderjahr zwischen zwei Terminen liegen müsse. „Im Extremfall müssen sogar nur 14 Monate dazwischen liegen“, sagt auch Fachanwältin Stenner.

Wer etwa im Dezember 2010 zur Vorsorge gegangen sei, könne danach frühestens im Januar 2012 wieder kommen. Dafür würde bei diesem Patienten danach erst wieder 24 Monate später, also im Januar 2014, eine Untersuchung bezahlt.

Zudem sei die Verrechnung der Untersuchung mit dem Auflichtmikroskop offenbar nicht korrekt abgelaufen. Ein Arzt dürfe nur eine Zusatzleistung, im Fachjargon IGEL-Leistung genannt, abrechnen, wenn der Patient dies ausdrücklich wünscht. „

Eine entsprechende Unterschrift ist hier Voraussetzung für den Zahlungsanspruch,“ sagt Stenner. „Leider ist es schon fast Usus bei vielen Ärzten, IGEL Leistungen im Vorzimmer abzurechnen, ohne mit den Patienten darüber gesprochen zu haben,“ sagt Stenner: „ Oft wird gleich kassiert, sodass der Patient die Kosten zurückfordern müsste, was selten geschieht.“

Umstrittene Leistungen

 

Häufig bieten Mediziner in ihren Praxen zusätzliche Diagnose- und Behandlungsmethoden an, die nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen gehören. Diese Individuellen Gesundheitsleistungen – kurz IGEL genannt – müssen von Patienten aus eigener Tasche bezahlt werden. Die Meisten stehen diesem Extra oft ziemlich hilflos gegenüber. Denn Bedeutung und Wirkung lassen sich nur schwer beurteilen.

Verbraucherschützer empfehlen diese Leistungen kritisch zu hinterfragen. Die Meinung eines anderen Arztes, die Auskunft von medizinischen Hotlines  oder die Recherche im Internet liefern häufig wertvolle Hinweise und helfen, die angebotenen Leistungen besser beurteilen zu können. Oft ist es sinnvoll, sich bereits vor dem Gang zum Arzt zu informieren. Denn in der Praxis drängt meist die Zeit.

Das Fazit

Betroffene müssen sehr hartnäckig sein, um bei der Krebsvorsorge zu ihrem Recht zu kommen. Das Computersystem im Vorzimmer, der Arzt und die Krankenkasse informieren oft falsch.

Patientenvertreter raten gar, einen Ausdruck der Richtlinie (siehe Anhang) beim Arztbesuch mitzunehmen. Bei allem Unbill sollten sich Versicherte aber keinesfalls von der Vorsorge abhalten lassen.

Denn Hautkrebs ist die häufigste Tumorerkrankung in Deutschland. Allein seit 1970 hat sich die Zahl der Fälle verfünffacht. „Doch früh erkannt ist Hautkrebs heilbar“, sagt Professor Dirk Schadendorf anlässlich einer Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft.

Wichtige Informationen

Nützliche Adressen

Deutsche Dermatologische Gesellschaft http://www.derma.de/de/fuer-patienten/leitlinien/

Unabhängige Patientenberatung: http://www.unabhaengige-patientenberatung.de/

Download der Richtlinie zur Krebs-Früherkennung: http://www.g-ba.de/downloads/62-492-510/RL_KFV_2010-12-16.pdf

Bundesverband Verbraucherzentralen mit Wegweiser zu der nächsten Zentrale: http://www.vzbv.de.

Alle Teile der Serie "Streitfall des Tages": www.handelsblatt.com/streitfall

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