Die Debatte um eine unzulässige Doppelbesteuerung von Rentnern nimmt Fahrt auf. Nun zeigt eine neue, noch unveröffentlichte Studie des Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters Günter Siepe und seines Bruders, dem Finanzmathematiker Werner Siepe, im Auftrag der Vers Versicherungsberater Gesellschaft aus Berlin, welche Ausmaße die Doppelbesteuerung annimmt und - noch wichtiger - wie sie sich wirksam verhindern ließe.
Die WirtschaftsWoche hatte im Januar mit der Berichterstattung zu einer ersten Studie zum Thema die Diskussion maßgeblich angestoßen. Im April war dann bekanntgeworden, dass es schon 2007 große Bedenken an den neuen Steuerregeln für die Rente gegeben hatte. So hieß es damals in einer vertraulichen Stellungnahme an das Bundesfinanz- und Bundessozialministerium, dass die neue Besteuerung „bei Zugrundelegung der aktuellen Rahmenbedingungen in erheblichem Umfang gegen das Verbot der Zweifachbesteuerung verstößt“. Eine Änderung des entsprechenden Gesetzes sei „erforderlich“.
Brisant an dieser Stellungnahme: Verfasser waren Herbert Rische, bis März 2014 Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, und der Finanzwissenschaftler Bert Rürup, der vor der Reform der Rentenbesteuerung eine Sachverständigenkommission zu dem Thema geleitet hatte. Heute ist Rürup Präsident des Handelsblatt Research Institutes, das, wie die WirtschaftsWoche, zur Verlagsgruppe Handelsblatt gehört.
Ihre Stellungnahme blieb damals aber folgenlos. Die 2005 eingeführten Steuerregeln gelten unverändert weiter. Jedes Jahr müssen Neurentner einen höheren Anteil ihrer Rente versteuern. Von 2040 an ist die Rente dann voll zum persönlichen Steuersatz zu versteuern. Im Gegenzug können Beitragszahler ihre Einzahlungen in die Rentenkasse zunehmend von der Steuer absetzen. Aktuell liegt der steuerfreie Anteil bei 82 Prozent, er steigt um zwei Prozentpunkte pro Jahr.
Doppelt schon seit 2015
Doch die Steuerfreistellung der Rentenbeiträge reicht anscheinend nicht aus, um unzulässige Steuernachteile zu vermeiden. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Regierung für die Reform von 2005 die klare Vorgabe gegeben, „dass eine doppelte Besteuerung vermieden wird“ (2 BvL 17/99). Jeder Rentner müsse wenigstens so viel an Rente steuerfrei erhalten, wie er vorher an Rentenbeiträgen steuerpflichtig eingezahlt habe.
Vorschläge zur Renten-Reform
Rund 536 000 Menschen erhalten Grundsicherung im Alter. Künftig dürfte Altersarmut weiter zunehmen, weil mehr Arbeitnehmer gebrochene Erwerbslaufbahnen haben und nicht durchgängig in die Rentenkasse einzahlen. Auch viele Alleinerziehende und Selbstständige ohne ausreichende Eigenvorsorge sind betroffen. Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund, Axel Reimann, fordert, Selbstständige ohne Altersvorsorge sollten obligatorisch in der Rentenversicherung abgesichert werden.
Rund 40 Prozent der Beschäftigten haben keine Betriebsrente. Arbeitgeber könnten - so diskutiert das derzeit die Koalition - verpflichtet werden, den Arbeitnehmern Angebote zu machen. Geringverdiener könnten mit einem Förderbetrag stärker unterstützt werden. Kleinen und mittleren Unternehmen könnten die Risiken mittels kollektiver Haftungslösungen genommen werden. Die Koalition mildert vielleicht auch das Problem doppelter Krankenkassenbeiträge auf Beiträge und Erträge ab.
Erst ab 63 ist die Rente wegen Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen ohne Abschläge möglich. Vorher werden bis zu 10,8 Prozent abgezogen. Vielfach führt Erwerbsminderung zu Armut: Knapp 502 000 Menschen mit Erwerbsminderung erhalten Grundsicherung. Die Opposition fordert die Abschaffung der Abschläge.
Wer bereits mit 63 in Teilrente geht, soll laut einem rot-schwarzen Gesetzentwurf mehr vom Zuverdienst behalten können. Bei der Teilrente mit 63 wird die Rente ab einer Zuverdienstgrenze von 450 Euro heute stark gekürzt. Stärker lohnen soll sich aber auch das Arbeiten über die reguläre Altersgrenze hinaus. Dafür sollen die Arbeitnehmer Rentenbeiträge zahlen können, die dann zu einer Steigerung der Rente führen. Heute zahlen Arbeitgeber bei Beschäftigung eines Rentners den Arbeitgeberanteil, ohne dass das die Rente steigen lässt.
Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) will die versprochene Aufwertung kleiner Renten bald auf den Weg bringen. Bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit sollen angerechnet werden. Eine Krux dabei: Viele Bezieher von Kleinrenten leben in gut situierten Haushalten, etwa wenn der Ehemann gut verdient hat. Deshalb sollen laut Nahles die Partnereinkommen berücksichtigt werden.
Ende 2019 soll die Angleichung der Ost- an die Westrenten kommen. Die Standardrente nach 45 Beitragsjahren mit Durchschnittslohn liegt in den neuen Ländern bei 1217 Euro - 97 Euro unter dem Westwert. Doch käme die Angleichung konsequent, hätte das negative Folgen für die künftigen Ostrentner. Denn bei der Rentenberechnung werden die Ostlöhne heute noch aufgewertet.
Es soll auf 67 bis 2029 steigen. Weil immer weniger Einzahler in die Rentenkasse künftig für immer mehr Rentenbezieher aufkommen müssen, werden Forderungen nach einer Anhebung des Rentenalters immer lauter. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) etwa ist für eine Kopplung des Rentenalters an die steigende Lebenserwartung.
Heute liegt es bei rund 48 Prozent - unter 43 Prozent darf dieses Verhältnis von der Standardrente zum Durchschnittslohn bis 2030 laut Gesetz nicht fallen. Doch das schützt immer weniger vor Altersarmut. Immer mehr Politiker aus allen Parteien fordern eine Stabilisierung, die Linke will mit 53 Prozent hier am meisten.
Gut 16 Millionen Bürger haben einen Riester-Vertrag. In knapp einem Fünftel der Verträge fließt aber kein Geld mehr. Nur gut jeder Zweite schöpft die staatliche Förderung voll aus. Der DGB fordert bereits, die Riesterrente auslaufen zu lassen. Vertrauensschutz würde es nur für laufende Verträge geben. Allerdings dürften die Politik der Eigenvorsorge künftig auf der einen oder anderen Weise eher eine bedeutendere als eine kleinere Rolle zumessen, wie man von Politikern oft hört.
Angesichts der Schwächen von Riester- und Betriebsrenten gewinnt die Vorstellung einer einfacheren zusätzlichen Absicherung mit staatlicher Garantie immer mehr Anhänger. Aus der hessischen Landesregierung kam der Vorstoß für eine Deutschlandrente - ein einfaches Standardprodukt für jedermann. Jeder Arbeitnehmer soll über vom Arbeitgeber abgezwackte Beiträge in einen zentralen Fonds einzahlen - sofern sie gegenüber dem Arbeitgeber nicht aktiv widersprechen.
Die Autoren der aktuellen Studie errechnen, dass es aus heutiger Sicht schon seit 2015 zu einer Doppelbesteuerung von Neurentnern kommt. Die steuerfrei gezahlten Renten liegen dann in Summe unterhalb der steuerpflichtigen Beiträge. Während die Differenz anfangs überschaubar ist, steigt sie bis 2040 an - auf rund 54.000 Euro (siehe Tabelle). Bei 30 Prozent Grenzsteuersatz würden die betroffenen Rentner der Zukunft damit gut 16.000 Euro zu viel Steuern zahlen. Die Berechnung basiert auf einem Standardrentner mit 45 Beitragsjahren und dem jeweiligen Durchschnittsverdienst. Angesetzt werden außerdem 17 Jahre Rentenbezug. Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass "die aus versteuertem Einkommen gezahlten Rentenversicherungsbeiträge in der Rentenphase in den weitaus meisten Fällen ein zweites Mal besteuert würden. Dies ist somit der klassische Fall einer Doppelbesteuerung von Renten. Für sie ist das so, "als wenn die Geldentnahme vom Sparbuch voll steuerpflichtig wäre".
Dass die Regierung selbst bei der Umstellung 2005 zu ganz anderen Ergebnissen kam, ist teilweise den seitdem erfolgten Änderungen bei Rente und Steuer geschuldet. So blieben etwa die Steigerungen von Renten und Rentenbeiträgen niedriger als damals erwartet. Hauptunterschied zu den aktuellen Berechnungen ist jedoch, wie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung im Ruhestand rechnerisch berücksichtigt wurden. Diese wurden von der Regierung damals als steuerfreier Rentenfluss angesehen.
Das Bundesfinanzministerium wertete damals sogar den steuerlichen Grundfreibetrag als steuerfreie Rentenzahlungen. So fielen die steuerfrei fließenden Renten deutlich höher aus. Doch sowohl die steuerliche Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen als auch der Grundfreibetrag stehen jedem Steuerzahler im Alter zu. Die Studienautoren Siepe halten es daher für steuersystematisch falsch, diese Beträge als steuerfreie Rentenzahlung zu werten.