Altersvorsorge Stabile Renten: Scholz packt das an? Von wegen!

Packt Olaf Scholz nun die Rentenreform an? Quelle: dpa

Nächstes Jahr sollen die gesetzlichen Renten rund fünf Prozent steigen. Alles gut bei der Rente also? Weit gefehlt. Eine echte Rentenreform bleibt dringend nötig. Ein Kommentar

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Um etwa fünf Prozent könnten die gesetzlichen Renten Mitte nächsten Jahres steigen. Genau wird das im Frühjahr 2022 feststehen. Schön für alle Rentnerinnen und Rentner! Doch wer glaubt, dass dieser Anstieg ein Beleg für die Stabilität des Systems ist, der irrt. Er kann dessen massive Probleme allenfalls kurzfristig übertünchen. Doch anstatt die Probleme anzugehen, übt sich die voraussichtliche Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP weiter in Wohlfühl-Parolen. „Stabile Renten. Scholz packt das an“, hieß es im Wahlkampf des wohl künftigen Bundeskanzlers. Und als Ergebnis der Sondierungen bleibt, dass die gesetzliche Rente gestärkt und das Mindestrentenniveau von 48 Prozent gesichert werden soll: „Es wird keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters geben.“

Fragt sich nur: Wie? Wenn nun zehn Milliarden Euro zum Aufbau eines Kapitalstocks in der sonst rein umlagefinanzierten Rente genutzt werden sollen, ist das nicht mehr als ein Placebo. Die zehn Milliarden sind weniger als die Hälfte der monatlichen Rentenzahlungen. Auch wenn diese Summe nur ein erster Schritt sein soll, ändert das nichts. Jeder weitere Euro, der für den Kapitalstock genutzt wird, schmälert gleichzeitig die sonstige Finanzierungsbasis der Rente.

Noch scheint all das verschmerzbar, kurzfristig. Ab 2023 aber werden die Probleme sichtbar werden. Erst wird dann der Beitragssatz steigen, von 2025 an werden die Rentensteigerungen deutlich hinter den Lohnzuwächsen zurückbleiben. Um das zu prognostizieren, braucht es keine Glaskugel. Viele Entwicklungen bei der Rente lassen sich vorhersehen. Beitragszahler, die nicht geboren sind, tauchen nicht plötzlich massenhaft auf. Künftige Rentenbezieher verschwinden nicht einfach.

von Mario Brück, Sophie Crocoll, Daniel Goffart, Jan Guldner, Niklas Hoyer

Das „Weiter so“ der Ampelkoalition hat darauf keine Antwort. Von einer echten Rentenreform, um das System wirklich zukunftsfest zu machen, ist nichts zu sehen. Im Gegenteil: Gegenüber der EU-Kommission verkauft die Bundesregierung nun den Aufbau eines Online-Rentenportals als Reform, um so Fördergelder abgreifen zu können. Dabei soll dieses Portal nur informieren, mehr nicht.

Und selbst die Fehler der Vergangenheit sollen nicht korrigiert werden. Schon 2005 wurde ein Nachhaltigkeitsfaktor bei der Rente eingeführt. Er soll die Last aus dem künftig schlechteren Zahlenverhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern zu gleichen Teilen durch geringere Rentenerhöhungen und steigende Beitragssätze auffangen. Weil die Politik mit „doppelten Haltelinien“ aber sowohl bei der Rentenhöhe als auch bei den Beitragssätzen Leitplanken eingezogen hat, hat sie dem Nachhaltigkeitsfaktor letztlich einen Riegel vorgeschoben.

Einen schon 2008 eingeführten Nachholfaktor, mit dem eigentlich erforderliche Rentenkürzungen (die per Rentengarantie ausgeschlossen sind) später durch etwas geringere Rentensteigerungen nachgeholt werden, hatte die große Koalition 2018 ausgesetzt, vorerst bis ins Jahr 2026. Dieser Faktor sollte die Balance zwischen Beitragszahlern und Rentnern sicherstellen. Gäbe es ihn noch, würden die Renten im kommenden Jahr deutlich weniger stark steigen.

Die Rentenversicherung hat allen Untergangsszenarien lange getrotzt. Und sie hätte durchaus das Zeug, auch künftig eine nachhaltige Stütze zu sein. Doch dafür müssten die absehbaren Lasten fair verteilt werden: Durch angemessene Rentenerhöhungen, moderat steigende Beitragssätze und – ja – natürlich auch ein steigendes Renteneintrittsalter. Seit 1970 ist die Dauer des durchschnittlichen Rentenbezugs schließlich um etwa 80 Prozent gestiegen, bei Frauen auf nun 22 Jahre.

All das müssten Olaf Scholz und seine Ampel-Koalitionäre anpacken. Nicht auf Plakaten, sondern im echten Leben.

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