
Düsseldorf/Frankfurt Die Finanzmärkte sind in Aufruhr, die Währungsunion droht zu zerbrechen, Staaten versinken im Schuldensumpf und reißen Banken mit in die Tiefe. Doch im westfälischen Münster scheint die Zeit stillzustehen. Wenn Ludger Grothues, Kapitalanlagechef des Lebensversicherers LVM, aus seinem Fenster im 18. Stock schaut, sieht er den Aasee, auf dem Enten ihre Kreise ziehen. Die Hektik der Finanzmärkte dringt nur gefiltert in sein Büro. Auf den beiden Bildschirmen des Finanzdienstes Bloomberg poppen Nachrichten im Sekundentakt auf: Italiens Regierungschef tritt zurück, die Renditen italienischer Staatsanleihen schießen in die Höhe. „Ich habe acht Jahre in Frankfurt gearbeitet, aber hier kann man die immer schnellere Börsenwelt mit Abstand betrachten“, sagt Grothues.
Ganz auf Distanz gehen kann er nicht: An jedem Arbeitstag muss der Anlagechef für die Kunden der LVM durchschnittlich zwei Millionen Euro neu investieren, 500 Millionen Euro im Jahr. Auf den Schultern des unauffälligen 48-Jährigen lastet die Verantwortung für 7,5 Milliarden Euro.
Keine Millionenlöcher
Es ist das Ersparte aus rund 800.000 Lebensversicherungsverträgen. Grothues muss aufpassen, dass der Krisensog das Geld nicht verschlingt, dass er den Kunden ausreichend Zinsen gutschreibt, um die Inflation zu schlagen, und dass Abschreibungen auf Staatsanleihen oder Bankinvestments nicht Millionenlöcher reißen. Die turbulenten Kapitalmärkte seien schon manchmal zum Haareraufen, sagt Grothues, und streicht sich über den lichten Schopf: „Heute geht es nicht mehr um die höchste Rendite, sondern hauptsächlich darum, die Substanz zu erhalten.“
Für Kunden ist dies entscheidend: Ihr Versicherer darf nicht schon jetzt aus der Substanz zehren. Er muss in der Lage sein, noch über Jahre möglichst hohe Überschüsse zahlen zu können, trotz Niedrigzinsen, Euro-Krise und möglicher Banken-Crashs. Das Rating der WirtschaftsWoche hilft bei der Suche nach Versicherern mit den besten Chancen auf hohe und nachhaltige Überschüsse. Der Wiener Finanzwissenschaftler Jörg Finsinger und das Hamburger Analysehaus Softfair haben dazu 73 Lebensversicherer aus Kundensicht analysiert: Wer hat Spielraum bei der Kapitalanlage und kann so in Zukunft höhere Renditen erzielen? Wer berechnet den Kunden relativ wenig Kosten, sodass ein größerer Teil des Beitrags Zinsen bringt?
Zinsen niedrig, Risiken hoch
Wie Grothues kämpfen die Anlagemanager aller Lebensversicherer, insgesamt legen sie 747 Milliarden Euro an, mit dem widrigen Umfeld. Ihr Problem: Sie müssen die den Kunden vertraglich im Durchschnitt garantierten 3,3 Prozent Rendite erwirtschaften. Sichere Geldanlagen werfen derzeit weniger ab. So bringt eine Bundesanleihe mit zehn Jahren Laufzeit nur 1,8 Prozent Zins pro Jahr. Viele riskantere Investments mit größeren Renditechancen, etwa Aktien, kommen für die Versicherer kaum infrage – ihr Wert schwankt zu stark.
Weil sie für ihre Geldanlagen aus früheren Jahren, vor allem festverzinsliche Anleihen, noch höhere Zinsen kassieren, können die Versicherer den Kunden noch deutlich mehr als die garantierten 3,3 Prozent gutschreiben. Vor der Lehman-Pleite im September 2008 etwa brachten Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit noch rund 4,6 Prozent Rendite pro Jahr. Doch immer mehr höherverzinsliche Papiere laufen aus. Die Folge: Statt 6,5 Prozent Rendite wie noch vor zehn Jahren gibt es heute zum Vertragsende nur noch vier Prozent auf die eingezahlten Beiträge. Bei einer Laufzeit von 20 Jahren und 100 Euro Monatsbeitrag bekommen Versicherte so mit insgesamt 12.300 Euro rund ein Viertel weniger als früher ausgezahlt.
Finanzschwache Versicherer könnten Probleme bekommen
Renditen gefallen, Kurse gestiegen
Lebensversicherer, die früh bei hoch verzinsten Anleihen zugriffen, stehen noch gut da – und haben doch ein Problem. Denn während die Renditen sicherer Anleihen seit 2008 deutlich gefallen sind, sind ihre Kurse spiegelbildlich gestiegen und stehen nun weit über dem Nennwert von 100 Prozent. Damit haben viele Versicherer stille Reserven gebildet. Die aber sind reine Buchgewinne, denn die Versicherer bekommen am Ende der Anleihenlaufzeit nur den Nennwert ausgezahlt. Und ein vorzeitiger Verkauf wäre sinnlos, da die Anlagemanager den Erlös nur zu deutlich niedrigeren Zinsen investieren könnten.
Trotzdem werden manche Lebensversicherer zu Verkäufen gezwungen: Seit 2008 müssen sie Kunden, deren Verträge auslaufen, zu 50 Prozent an den stillen Reserven beteiligen, die mit deren Beiträgen aufgebaut worden sind. War diese Regel ursprünglich vor allem für Aktien mit Kursgewinnen gedacht, die sich dann problemlos verkaufen lassen, bereitet sie den Versicherern bei Anleihen nun Kopfschmerzen. Regierung und Aufsicht machten sich derzeit über eine Änderung der Regel Gedanken, berichtet der Vorstandsvorsitzende eines großen Versicherungskonzerns. An einen Erfolg glaubt er jedoch nicht: „Falls man die Regel wirklich ändern wollte, würden die Verbraucherschützer einen großen Aufstand machen.“ Das können sich Branche und Politik derzeit kaum leisten.
Selbst ohne erzwungene Verkäufe laufen die höher verzinsten Investments aus besseren Zeiten nach und nach aus. Zehn bis 15 Prozent ihres Portfolios legen Versicherer pro Jahr neu an. Steigen die Zinsen auf sichere Anlagen nicht bald deutlich, werden die Renditen der Kunden weiter fallen.
Bliebe es gar über Jahre beim aktuell niedrigen Zinsniveau, würden finanzschwächere Versicherer Probleme bekommen, die zugesagten Garantien einzuhalten. Die Auswirkungen der niedrigen Zinsen bedrohen die Branche damit auf breiter Front. Die Niedrigzinsen seien für die Versicherer „weit schlimmer als jede Abschreibung auf griechische Staatsanleihen“, sagt Rolf-Peter Hoenen, Präsident des Branchenverbands GDV.
Bankpapiere als offene Flanke
Die Risiken der Lebensversicherer in den Euro-Schuldenstaaten seien eher gering, sagt auch Stephan Kalb, Versicherungsanalyst der Ratingagentur Fitch. Im März hatten deutsche Versicherer unter vier Prozent ihrer Kapitalanlagen in Staatsanleihen von Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien investiert. Betrachtet man alle Anlagen, also nicht nur Staatspapiere, steigt die Quote: Der Marktwert aller Versicherer-Anlagen in den fünf Schuldenstaaten lag Ende Juni bei „rund 11,3 Prozent ihrer weltweiten Kapitalanlagen“, sagt Finanzminister Wolfgang Schäuble. Die Zahlen stammen aus einer BaFin-Stichprobe bei den zehn größten Versicherungsgruppen und deutschen Töchtern von EU-Gruppen.
Verluste aus Staatsanleihen sind nicht die offene Flanke, an der Lebensversicherer verwundbar sind. Problematischer sind die von ihnen gehaltenen Bankanlagen. Da die Lebensversicherer gut die Hälfte ihres Kapitals in Bankanlagen investiert haben, bestehe „Ansteckungsgefahr“, sagte Schäuble am Donnerstag vor versammelter Branche auf dem Versicherungstag in Berlin.
Versicherer im Anlage-Dilemma
Die Voraussetzungen für sinkende Zinsen bei den Kunden sind bereits geschaffen: Von 2012 an bekommen sie für neue Verträge nur noch 1,75 Prozent Zins garantiert, statt bisher 2,25 Prozent. Tatsächlich ist es noch weniger, denn den Garantiezins schreibt der Versicherer Kunden nicht auf ihren kompletten Beitrag gut, sondern nur auf dessen Sparanteil – nach Abzug der Kosten für Verwaltung, Vertrieb und Todesfallschutz.
Analyst Kalb würde sinkende Überschussbeteiligungen für Kunden sogar begrüßen: „Viele Versicherer schütten als Marketinginstrument für das Neugeschäft zu hohe Überschüsse aus. Bleiben die Zinsen so niedrig, sollten sie besser Zurückhaltung üben, um langfristig die Garantien zahlen zu können.“
Die LVM aus Münster schneidet im Rating von Professor Finsinger und Softfair besonders gut ab: Zum vierten Mal in Folge steht sie an der Spitze. Ein Grund dafür ist ein hohes Kapitalpolster: Die LVM braucht aus heutiger Sicht nicht das gesamte angelegte Kapital, um ihren Kunden die fest zugesagten Gelder auszuzahlen. Über acht Prozent des Anlagekapitals können Grothues und sein Team daher in riskantere Anlagen stecken und so, wenn alles gut läuft, die Rendite anheben.
Sein Aktienteam etwa würde jetzt liebend gern den Aktienanteil hochfahren, berichtet Grothues. Viele Unternehmen kosten an der Börse derzeit weniger, als ihre Maschinen, Gebäude, Kassenbestände und Patente wert sind. Doch Grothues bremst, die Aktienquote bleibt bei 1,5 Prozent: „Solange die Krise in den USA und Europa nicht gelöst ist, werden die Börsen weiter zu stark schwanken, sich im besten Fall nur seitwärts entwickeln“, sagt er. Nur für sich privat kauft er Aktien: „Einbußen gleichen sich bis zur Rente wieder aus.“
Breiter streuen für mehr Rendite
Im Dienst aber kann er keine stark schwankenden Börsen gebrauchen, weil die LVM jedes Jahr abrechnen und Kunden Zinsen gutschreiben muss. Schwankende Märkte sind da Gift, Grothues braucht Stabilität. Deshalb hat er schon 2005 für Zeiten mit niedrigen Zinsen vorgesorgt. Damals waren die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen binnen acht Monaten von über 3,8 auf 3,1 Prozent gefallen. Grothues sicherte die LVM teilweise ab, vereinbarte mit Banken, dass er einen Teil der investierten Beträge später zu höheren Konditionen neu anlegen darf. Dieses Jahr konnte er frisches Geld zu durchschnittlich 4,2 Prozent Zins pro Jahr investieren.
Niedrig verzinste Bundesanleihen, mit denen Sparer nach Abzug der Inflationsrate von aktuell 2,5 Prozent Geld verlieren, muss Grothues dank der vorhandenen Kapitalpolster nicht kaufen. Er kann und muss breiter streuen, um mehr Rendite zu erzielen: Die kann von nicht börsennotierten Unternehmensbeteiligungen (Private Equity) kommen, von Anleihen aus Schwellenländern oder Wind- und Solarfonds. Versicherer finanzieren auch vermehrt deutsche Kommunen und kommunale Unternehmen, etwa Stadtwerke.
Seltener umschichten
Die R+V Lebensversicherung gewährte jüngst zum Beispiel der Stadt Wiesbaden einen Kredit über 20 Millionen Euro mit 20 Jahren Laufzeit und 4,25 Prozent Zins. Die Stadt will davon eine Immobilie kaufen und aus den Mieterträgen Zins und Tilgung des Kredits stemmen. Anders als Banken scheuen Versicherer auch solche besonders langen Kreditlaufzeiten von über zehn Jahren nicht. Im Gegenteil: Da auch die Verträge der Kunden so lange laufen, machen ihnen die langen Laufzeiten die Geldanlage sogar einfacher. Sie müssen das Geld seltener umschichten und senken die Anlagekosten.
Die LVM kann es sich auch leisten, gegen den Strom zu schwimmen. So verkaufte Grothues jüngst ein Drittel seiner Bundesanleihen, die stark im Kurs gestiegen waren, und nahm italienische Staatsanleihen mit 6,5 Prozent Rendite ins Portfolio. „Muss Europa Italien stützen, ist selbst der Bund kein Hort der Sicherheit mehr. Und Privatleute in Italien sind im Vergleich zu den Griechen sehr vermögend, das Schuldenproblem könnte der Staat durch eine Vermögensteuer lösen“, begründet Grothues seinen Schritt, den viele Kollegen wohl als tollkühn einstufen würden. Bis zu zwei Prozent des Portfolios will er in italienische Staatsanleihen packen: „Marktverwerfungen bringen eben auch Chancen.“
Zu viel Geld im System
Intransparenten Geldanlagen, die weniger sicher als angenommen sein könnten, geht Grothues aus dem Weg. So kauft er etwa keine öffentlichen Pfandbriefe, die auch mit Anleihen aus den Euro-Schuldenstaaten besichert sein könnten – „nicht einschätzbar“, findet Grothues. Wenn schon, dann kaufe er diese Anleihen lieber direkt und bekomme dafür eine deutlich höhere Rendite. „Wir müssen unser Portfolio permanent aktiv managen“, sagt Grothues. Als er vor zwölf Jahren bei der LVM anfing, war das noch anders: „Damals haben wir Pfandbriefe gekauft und in Ruhe auf die Rückzahlung gewartet.“
Heute kann er nicht mehr alles auf eine Karte setzen – und er muss Reserven halten. 150 bis 200 Millionen Euro mehr Cash als in normalen Zeiten hat die LVM flüssig. Carsten Zielke, Analyst bei der Société Générale, sieht darin einen Branchentrend: „Versicherer parken vermehrt Geld in kurzlaufenden Anleihen bis zu einem Jahr.“ Sie hofften, dass die niedrigen Zinsen stiegen.
Hinter den Kulissen macht sich Ratlosigkeit breit. „Ich möchte im Moment am liebsten gar nichts kaufen, zu unsicher“, sagt der Kapitalanleger einer Versicherung. Allein: Anleihen laufen aus, Beiträge kommen rein, es ist zu viel Geld im System. Ewig kann keiner sein Pulver trocken halten – sonst fiele der erwirtschaftete Zins unter das den Kunden garantierte Niveau.
Angesichts der niedrigen Zinsen wird es wichtiger, dass Versicherer Kosten im Griff haben. Eine erfolgreiche Anlagestrategie sei Voraussetzung, aber keine Garantie für hohe Kundenrenditen, sagt Finanzwissenschaftler Finsinger: „Nur Versicherer mit niedrigen Kosten können langfristig gute Leistungen für ihre Versicherten bieten.“
Kostenunterschiede
Die Ergebnisse des Ratings belegen das. So kommen die zehn besten Versicherer auf einen von Finsinger prognostizierten Zins auf die Kapitalanlagen von durchschnittlich 3,8 Prozent pro Jahr – nur 0,2 Prozentpunkte mehr als die zehn schlechtesten. Die Kostenunterschiede sind deutlich größer; die zehn besten berechnen im Schnitt halb so hohe Verwaltungskosten wie die zehn schlechtesten.
Besonders wenig, etwa ein Prozent der Beiträge, haben in den vergangenen Jahren die Versicherer Europa und Neue Leben für die Verwaltung in Rechnung gestellt. LVM punktet vor allem mit niedrigen Abschlusskosten: Der Konzern arbeitet mit eigenen Vertretern, die nur hauseigene Policen anbieten. Deren Provisionen liegen in der Regel unter dem Niveau von Maklern, die Policen verschiedener Versicherer verkaufen. Cosmos Direkt verzichtet auf Vermittler; Kunden können nur per Internet oder Telefon abschließen. Das drückt die Kosten.
Gewaltige Apparate von Sachbearbeitern
Die Inter Lebensversicherung, die in den Vorjahren nur drei Sterne im Ranking bekommen hatte, stieg in die Top-Kategorie auf, weil sie über mehrere Jahre sowohl die Abschluss- als auch die Verwaltungskosten gesenkt und Kunden stärker an den erzielten Überschüssen beteiligt hat.
Versicherer, das demonstriert die gerade wieder angelaufene TV-Serie „Stromberg“ eindrucksvoll, unterhalten gewaltige Apparate von Sachbearbeitern. Seit einigen Jahren aber sparen sie in der Verwaltung immer stärker. Die Abschlusskosten hingegen, etwa für Provisionen an Versicherungsvertreter, stagnieren auf hohem Niveau (siehe Grafik unten).
Bis zu 4,6 Milliarden
Wenn die „Capitol“-Versicherung von Bürohengst Stromberg Stellen streicht, könnte die Verwaltung der Policen letztlich weniger kosten, als den Kunden vorab in Rechnung gestellt wurde. Liegen die tatsächlichen unter den geplanten Kosten, entstehen sogenannte Kostengewinne. Solche Gewinne müssen die Versicherer wenigstens zur Hälfte den Kunden auszahlen, den Rest dürfen sie behalten. Auch Risikogewinne bessern ihr Ergebnis auf: Die entstehen, wenn zum Beispiel weniger Versicherte sterben als kalkuliert, der Versicherer also geringere Todesfallzahlungen leisten muss. Die Risikogewinne gehören mindestens zu 75 Prozent den Kunden.
In den vergangenen Jahren haben Versicherer mit ihren Kapitalanlagen immer weniger Gewinn nach Auszahlung der Garantiezinsen erzielt, die Kosten- und Risikogewinne waren hingegen recht stabil. Daran wird sich so schnell nichts ändern. Versicherungsanalyst Kalb schätzt, dass die Versicherer 2011 auf bis zu 6,4 Milliarden Euro Risikoüberschuss kommen: „Das ist historisch sehr viel und für Versicherer ein willkommener Ausgleich für schwache Renditen in der Kapitalanlage.“
Linke Tasche, rechte Tasche
Als Argument für den Abschluss einer Lebensversicherung eignen sich die hohen Kosten- und Risikogewinne aber nicht. Schließlich zaubern die Lebensversicherer diese Gewinne nicht aus dem Nichts hervor. Die Kunden haben mit ihren Beiträgen schon für Kosten und Risiken bezahlt. Wenn der Versicherer davon weniger als gedacht verbraucht, kann er ihnen einen Teil zurückgeben. Aus Sicht der Kunden ist das nicht viel mehr als das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“. Anders als bei den Erträgen aus den Kapitalanlagen, wie Zinsen, Dividenden oder auch Mieten, kommt kein neues Geld von außen dazu.
Kein Wunder also, dass sich angesichts der sinkenden Kapitalerträge immer weniger Neukunden für eine Lebensversicherung begeistern. Seit 2005 ist die Zahl der abgeschlossenen Lebensversicherungspolicen um rund vier Millionen gesunken.
Statistisch hat jeder Deutsche mehr als eine Police
Dennoch kommt mit 90,5 Millionen Verträgen rein statistisch immer noch auf jeden Deutschen mehr als eine solche Police. Im vergangenen Jahr haben die Versicherten insgesamt 87 Milliarden Euro Beitrag in diese Verträge eingezahlt – knapp 1000 Euro in jede Police. Geht es nach den Versicherern, sollen bis Jahresende noch einige neue Beitragszahler hinzu kommen. Die Anbieter hoffen auf einen Endspurt im Geschäft mit den Lebensversicherungen. Den könnten sie gut gebrauchen: Für das Gesamtjahr 2011 rechnen sie aktuell mit 5,7 Prozent geringeren Beiträgen als im Vorjahr.
Mit diesen Werbebotschaften wollen die Versicherer die Kunden ködern:
- Absenkung des Garantiezinses: Während neue Kunden vom kommenden Jahr an nur noch 1,75 Prozent Zins garantiert bekommen, sichern sie sich bei einem Abschluss bis Jahresende noch dauerhaft den bisherigen Garantiezins von 2,25 Prozent. Dabei unterschlagen die Versicherer gerne, dass dieser Zins nur auf den Sparanteil nach Abzug aller Kosten gezahlt wird. Werden die zu Vertragsbeginn berechneten Kosten berücksichtigt, kommen die Kunden in beiden Fällen erst nach mehr als zehn Jahren Laufzeit überhaupt auf eine positive garantierte Beitragsrendite.
- Anhebung des Auszahlungsalters: Bislang profitieren Lebensversicherte von Steuervorteilen, wenn sie sich das Geld aus ihrer Police erst nach dem vollendeten 60. Lebensjahr und nach wenigstens zwölf Jahren Vertragslaufzeit auszahlen lassen. Sie müssen dann nur auf die Hälfte der Erträge Steuern zahlen. Einmalauszahlungen aus Verträgen, die vor 2005 abgeschlossen worden sind, bleiben sogar komplett steuerfrei. Neukunden, die erst 2012 oder später abschließen, müssen bei ebenfalls zwölf Jahren Mindest-Vertragslaufzeit wenigstens das 62. Lebensjahr vollendet haben, um nur auf die Hälfte der Policenerträge Steuern zahlen zu müssen.
Allerdings schließen viele Neukunden ohnehin Policen mit Rentenzahlung ab oder entscheiden sich im Ruhestand für diese Option. In diesem Fall ändert der Abschluss vor oder nach Jahresende nichts: Solche Rentenzahlungen werden sowieso nur zu einem niedrigen Prozentsatz besteuert, dem sogenannten Ertragsanteil, der vom Alter zu Beginn der Rentenzahlung abhängt. Wer vom 65. Geburtstag an seine Rente erhält, muss zum Beispiel nur 18 Prozent davon versteuern.
Rasche Zinswende nicht in Sicht
Wichtiger als das Niveau des Garantiezinses oder steuerliche Änderungen ist daher die Wahl eines leistungsstarken Lebensversicherers, der die Aussicht auf hohe Überschüsse bei geringen Kosten bietet. Viele Kunden bauen auch auf die Stabilität und Sicherheit der Lebensversicherer, die bislang relativ gut durch die Krise gekommen sind.
Doch bei einer Krisenverschärfung wären auch die Lebensversicherer nicht vor Einschlägen geschützt. Während die direkten Risiken, etwa aus Verlusten mit Staatsanleihen, verkraftbar erscheinen, sind die Versicherer über ihre Kreditengagements eng mit den Banken vernetzt. „Wenn der Himmel einstürzt, dann sind alle Spatzen tot“, sagt GDV-Präsident Hoenen dazu.
Zudem macht jeder weitere Tag der Finanz-, Schulden- und Euro-Krise eine rasche Zinswende unwahrscheinlicher. Anfang November hatte die Europäische Zentralbank angesichts der Risiken für die Konjunktur der Euro-Zone überraschend den Leitzins auf 1,25 Prozent gesenkt. Solange sie die Zinsen künstlich niedrig hält und mit Milliardenkäufen von Staatsanleihen und Pfandbriefen den Markt stützt, müssen die Versicherer mit dem aktuellen Zinsniveau leben.
Wo ist das Geld sicher?
LVM-Anlagechef Grothues muss sich daher weiter mit Euro-Krise, Schuldenstaaten und drohenden Bankpleiten beschäftigen. Weder auf der halbstündigen Heimfahrt von Münster mit dem schwarzen Mercedes-Kombi noch im Urlaub bekommt er die Themen aus dem Kopf. Als die USA im August die Bestnote AAA für ihre Bonität verloren, klingelte sein Blackberry im Ostsee-Urlaub pausenlos, sehr zum Missfallen seiner Gattin.
Und auf Partys fragen Freunde, wo ihr Geld noch sicher ist, welcher Bank und welcher Versicherung sie noch trauen können. Selbst sein 13-jähriger Sohn macht sich Gedanken: Er hat das Cover einer Zeitschrift auf dem Tisch liegen sehen, auf dem die Euro-Bombe platzte. „Sag mal Papa“, fragte er, „ist dein Job noch sicher?“
Ein Schauder sei ihm da über den Rücken gelaufen. „Ja, da bin ich mir sicher“, habe er geantwortet, sagt Grothues. Dann blickt er, in Gedanken womöglich bei seinen Italien-Bonds, durch das Panoramafenster des feinen Restaurants auf den dunklen Aasee – und schiebt sich seufzend noch einen Löffel weißes Schokoladenmousse mit Heidelbeeren in den Mund.
Irgendwann braucht jeder mal eine Pause von der Krise.