Berufsunfähigkeit Wie Versicherungen Berufsunfähigen ihr Geld verweigern

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Versicherer bieten Vergleiche an

Aus Sicht von Versicherungsfachanwalt Oliver Roesner von der Kanzlei Eckert Klette und Kollegen aus Heidelberg haben sich die Fronten in den vergangenen Jahren verhärtet: Immer häufiger würden Versicherer die Leistungen außergerichtlich ablehnen, oft sogar ohne eine tragfähige Begründung. Versicherer böten außerdem zunehmend Vergleiche an – also die Auflösung des Vertrages gegen eine Einmalzahlung. „Einige Versicherer verzögern Gerichtsverfahren, indem sie regelmäßig Fristverlängerungen beantragen und Rechtsmittel so weit wie irgend möglich ausreizen – das kam früher nicht so häufig vor. Der Druck auf Versicherungsnehmer, sich dann doch irgendwann zu vergleichen, steigt dadurch enorm“, sagt der Heidelberger Anwalt. Oliver W. will Rente sehen: Rechtsanwalt Roesner klagt deshalb für ihn gegen die Allianz.

Oliver W. und sein Anwalt sitzen im ersten Stock der Uniklinik vor dem Arztzimmer. Der Mediziner ist pünktlich, seine Haut braun gebrannt, die Haare gewellt. Das Hemd hat er bis zum letzten Knopf zugeknöpft. Er wirkt freundlich, aber bestimmt. Der Arzt bittet in Raum 132. Seine Stimme singt, als er den einen Satz sagt: „Meine Patienten stehen für mich im Zentrum.“ Es ist nicht sein erstes Gutachten für die Allianz.

Die Ursachen für eine Berufsunfähigkeit 2008 und 2013

Der Arzt stellt Fragen zur beruflichen Entwicklung. Und Oliver W. erzählt, was er in dem Fall immer erzählt: In gesunden Tagen war er selbstständig, hat sechs bis sieben Tage die Woche gearbeitet, insgesamt rund 75 Stunden. Erst kamen die Rücken-, dann die Magenprobleme. Er trennte sich von seiner Freundin, wurde mit der Zeit immer depressiver, schluckte Tabletten gegen Angst. W. dachte an Selbstmord, hatte sich gar schon eine Brücke ausgesucht, von der er sich herunterstürzen wollte. Er ging zum Arzt, kam in die Klinik. Er bekam Angst, dass seine Kunden abwandern, wenn er nicht arbeiten kann. Dann fühlte er sich verfolgt, flüchtete aus der Klinik. „Als jemand dazustehen, der sein Leben nicht im Griff hat, ist für mich nicht vertretbar“, sagt er bis heute.

Ob er sich später nochmals verfolgt gefühlt habe, fragt ihn der Gutachter, wie Oliver W. nach der Sitzung berichtet. Ja, entgegnet der 43-Jährige. Seit Wochen stehe dieser Mann vor seinem Haus und beobachte ihn. Der Mann sei ein Versicherungsdetektiv, die Allianz habe ihn geschickt.

"Kein Detektiv"

Der Versicherer beteuert, dass „kein Detektiv eingesetzt“ worden sei. Die Vermutung von Oliver W. sei „wahrscheinlich dem psychotischen Krankheitsbild zuzuordnen“, schreibt die Allianz.

Der Kampf um die Rente ist nicht das einzige Problem im Berufsunfähigkeitsgeschäft: Manch ein Bürger muss schon heftig rudern, damit er überhaupt einen Vertrag abschließen kann. Der Kundenverband BdV gibt selbstkritisch zu, dass im Bemühen um für den Kunden vorteilhafte Tarife aus dem Blick geraten sei, dass der für viele wichtige Berufsunfähigkeitsschutz für jedermann erschwinglich bleibe. Nur jeder Dritte habe seine Arbeitskraft versichert. „Entweder lehnen die Versicherer den Vertragsabschluss ab oder er ist schlicht zu teuer“, schreibt der BdV im Mitgliedermagazin.

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