Berufsunfähigkeitsversicherung Erste BU setzt nicht mehr auf Berufsgruppen

Dachdecker bei der Arbeit Quelle: imago images

Die enormen Beitragsunterschiede in der Berufsunfähigkeitsversicherung je nach Beruf sind ein Ärgernis, vor allem für körperlich Tätige ist eine Police oft sehr teuer. Neue Tarife wollen fairer sein.

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Dachdecker haben es nicht leicht. Der Job ist anstrengend, die Unfallgefahr hoch und zudem erreichen viele Dachdecker nicht das gesetzliche Renteneintrittsalter, sondern werden zuvor berufsunfähig. Die Berufsunfähigkeitsversicherer reißen sich nicht gerade um diese Berufsgruppe. Entsprechend hoch sind die Prämien für eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BUV). Die günstigsten Tarife für einen 30 Jahre alten Dachdecker ohne Vorerkrankungen liegen für eine BU-Rente in Höhe von 1000 Euro bei etwas über 100 Euro im Monat. Nicht gerade wenig Geld für einen jungen Handwerker. Dachdecker haben ein besonders hohes Risiko, doch auch für andere Handwerksberufe sieht es bei den Prämien nur wenig besser aus.

In den vergangenen Jahren sind die Prämien noch weiter gestiegen. Dazu haben zum einen die niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten beigetragen, denn auch die Berufsunfähigkeitsversicherer müssen Kapital gewinnbringend anlegen. Zum anderen scheinen aber auch die körperlich Tätigen generell keine interessante Zielgruppe für viele Versicherer mehr darzustellen. Da ihr Anteil an den Erwerbstätigen zurückgegangen ist und die Zahl der Schreibtischarbeiter zugenommen hat, ist das Marktpotenzial für Berufsunfähigkeitstarife bei körperlich Tätigen kleiner geworden. Zugleich ist natürlich auch das Berufsunfähigkeitsrisiko bei einigen Krankheiten für Handwerker höher als für Büroberufe.

Ein Trend auf dem Markt der BUVs sind spezielle Angebote für bestimmte Berufe. Dabei dominieren Angebote für Akademiker. So bietet die Allianz eine BUV für Mitglieder im Bund der Steuerberater, Anwälte und Wirtschaftsprüfer, die HDI für Mitglieder in einem Anwaltsverein. Andere Versicherer locken mit Sondertarifen für Ärzte und Wirtschaftsingenieure. Spezielle Angebote für Handwerker sucht man vergeblich.

Angebote mit wenig Gesundheitsfragen, die den Abschluss einer BUV erleichtern, wenden sich daher überwiegend an Akademiker oder zumindest an Menschen, die nicht körperlich tätig sind. Diese Tarife sind besonders für Menschen mit Vorerkrankungen interessant, da sie hier eher die Möglichkeit haben, eine BUV zu bezahlbaren Konditionen abschließen zu können.

Möglichst früh versichern

Krankenpfleger und Krankenschwestern haben es auf dem Markt der Berufsunfähigkeitsversicherungen besonders schwer. Denn sie sind nicht nur überwiegend körperlich tätig, sondern müssen zudem auch noch das Risiko einer dauerhaften oder vorübergehenden Berufsunfähigkeit durch eine Infektionskrankheit abdecken. Der Münchener Versicherungsmakler Philipp Gaspar: „Im Vertrag sollte eine Infektionsklausel vorhanden sein. Sie besagt, dass Krankenpfleger auch dann Leistungen aus der BUV erhalten, wenn Sie noch fähig sind zu arbeiten, von Ihnen jedoch eine Ansteckungsgefahr für Patienten ausgeht. Voraussetzung ist, dass es sich um ein behördlich auferlegtes und vollständiges Tätigkeitsverbot nach dem Bundesinfektionsschutzgesetz handelt, das für die Dauer von mindestens sechs Monaten verhängt wird.“ Gaspar betont, dass zum Beispiel auch für Bäcker, Köche sowie Erzieherinnen der Einschluss einer Infektionsklausel in die BUV sinnvoll ist.

Für einige Versicherungskunden gibt immerhin ein Hintertürchen, um ihre Beiträge niedrig zu halten. Diese Chance haben etwa Arbeitnehmer, die – was immer häufiger vorkommt – ihren Beruf wechseln. So kann jemand sein Berufsleben im Büro beginnen, später jedoch als Krankenpfleger oder Feuerwehrmann arbeiten. Bei den meisten Tarifen muss der Berufswechsel aber nicht angezeigt werden, sodass sich auch die Prämien nicht ändern. Besonders gut beraten ist daher, wer sich bereits als Auszubildender oder Schüler zu einem meist sehr niedrigen Beitrag versichert. Die vorteilhafte Einstufung bleibt bestehen, auch wenn später ein Risikoberuf ausgeübt wird. Tarife, die die Anzeigepflicht bei Berufswechsel vorschreiben und dann höhere Prämien verlangen, sind nicht zu empfehlen.

Alternativen zur BU-Police sind kein vollwertiger Ersatz

Bisher hatten Menschen, die körperlich tätig sind, nur die Möglichkeit alternative Versicherungen wie die Dread Disease oder die Grundfähigkeitsversicherung abzuschließen. Bei ihnen ist jedoch nicht der Eintritt einer Berufsunfähigkeit versichert. Bei der Dread Disease ist ein Katalog schwerer Krankheiten versichert und bei der Grundfähigkeitsversicherung sind nur Fähigkeiten wie das Sprechen, Hören oder Gehen abgesichert. Beide Versicherungssparten bieten somit keinen umfassenden Schutz gegen das Risiko der Berufsunfähigkeit. Sie taugen nur als Ersatz für Menschen, die keine BUV erhalten oder denen die klassische BUV zu teuer ist.

Erster BU-Tarif ohne Berufsgruppen

Seit Anfang August gibt es einen BUV Tarif, der der heutigen Situation vieler Arbeitnehmer stärker gerecht wird. Die Zurich Versicherung will nämlich ganz auf die Einstufung in Berufsgruppen verzichten. Stattdessen soll die tatsächlich ausgeübte Beschäftigung zum Maßstab werden. „Ein gelernter Industriemechaniker kann beispielsweise in Abhängigkeit vom Grad und der Anzahl von Weiterbildungsmaßnahmen im Laufe seines Lebens unterschiedliche Tätigkeiten ausüben.“, betont Jacques Wasserfall, Vorstand Leben der Zurich Gruppe Deutschland.

Zuerst erfolgt eine Grundeinstufung bzw. ein Scoring, das von der Branche und dem Beruf abhängt. Danach werden der Tätigkeitsstatus, der Berufs-/Bildungsabschluss, Personalverantwortung, der Anteil der Bürotätigkeit und Rauchgewohnheiten abgefragt. Diese verschiedenen Risikomerkmale sind in sich noch weiter unterteilt. Beispielsweise muss ein Handwerker, der fest angestellt ist und eine Berufsausbildung hat, weniger Prämie zahlen als sein befristet angestellter und nicht ausgebildeter Kollege.

Ob sich der neue Tarif auf dem Markt durchsetzt, bleibt abzuwarten. Aber gerade für Menschen in handwerklichen Berufen, die jedoch einen großen Anteil ihrer Arbeitszeit am Schreibtisch oder bei der Kundenberatung verbringen, kann der neue Tarif attraktiv sein. Wahrscheinlich wird es für sie günstiger als beim starren Berufsgruppenmodell. Jacques Wasserfall: „Ziel des neuen Berufsunfähigkeits-Schutzbriefes ist es, der individuellen Kundensituation noch besser Rechnung zu tragen. Dies führt gerade bei unsteten Erwerbshistorien zu einer deutlich individuelleren Preisgestaltung für den Versicherungskunden.“

Der neue Tarif der Zurich Versicherung könnte Bewegung in die Diskussion über das Thema Gerechtigkeit in der BUV bringen. Das bisherige Berufsgruppenmodell hat nicht wenige Beschäftigte unverhältnismäßig benachteiligt. Doch die Versicherungswirtschaft reagierte auf Kritik bislang allenfalls mit einem Achselzucken. In den Glaspalästen der Versicherer wird der Erfolg der neuen Zurich BUV daher mit großem Interesse betrachtet werden. Denn ab jetzt entscheiden die Verbraucher.

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