Das Thema Altersarmut sorgt für lebhafte Debatten in der Politik und für Resignation bei den Betroffenen. Das geht zumindest aus einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) hervor, die im Sommer 2013 unter knapp 6000 Beschäftigten durchgeführt und Mitte Oktober veröffentlicht wurde. Demnach rechnen 42 Prozent damit, dass ihre gesetzliche Rente nicht ausreichen wird, um im Alter davon zu leben. Weitere 40 Prozent glauben, dass die Rente gerade so genügen wird.
Das Ergebnis ist wenig überraschen. Bei den Rentenreformen der vergangenen Dekade (zum Beispiel Rente mit 67) lernte auch die breite Öffentlichkeit, dass es eine „Rentenlücke“ im Verhältnis zum Arbeitseinkommen gibt, die nur durch mehr betriebliche und private Altersvorsorge gemindert werden kann – sonst droht Altersarmut. Umso erstaunlicher ist aber das Ergebnis derselben Umfrage, demzufolge mehr als zwei Drittel der Befragten behaupten, keine oder nur geringfügige Angebote zur betrieblichen Altersversorgung (bAV) von ihrem Arbeitgeber zu erhalten. Erstaunlich deshalb, weil sie laut Gesetz einen Anspruch auf ein betriebliches Vorsorgeangebot haben. Noch schlimmer: Bei denen, deren gesetzliche Rente nicht zum Leben reichen wird, steigt dieser Anteil sogar auf 77 Prozent. Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand wertet das im Vorwort der Studie so: „Ausgerechnet diejenigen, die eine Betriebsrente am dringendsten brauchen, sind am schlechtesten damit versorgt.“ Sie fordert von der neuen Regierung nach vier Jahren Stillstand deshalb deutlich mehr Engagement zur Sicherung der Altersbezüge.
Zunehmend unpopulär
Die Rente vom Chef hat sich offenbar noch nicht ausreichend verbreitet. „Die betriebliche Altersversorgung befindet sich nicht in einer Krise, sie steht aber vor deutlichen Herausforderungen“, glaubt Richard Herrmann, Vorstandsvorsitzender des Beratungsunternehmens Heubeck, das sowohl Pensions- und Versorgungskassen als auch internationale Konzerne, Verbände und staatliche Institutionen im Bereich der betrieblichen Altersversorgung unabhängig berät. „Vor allem vor dem Hintergrund niedriger Zinsen und im Bereich der Flexibilisierung beim Übergang in den Ruhestand muss die bAV für Arbeitnehmer und Arbeitgeber besser werden – denn sie ist notwendiger denn je.“
Dabei haben tatsächlich ausnahmslos alle Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf Entgeltumwandlung für die betriebliche Altersversorgung. Das Prinzip der Entgeltumwandlung ist für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber grundsätzlich von Vorteil. Nicht der Arbeitnehmer selbst, sondern sein Arbeitgeber zahlt in eine Versorgungslösung ein. Das Geld wird dem Arbeitnehmer vom Bruttolohn abgezogen. Dadurch zahlt er für den angesparten Betrag keine Einkommensteuer, die Einkommensteuer auf den übrigen Lohn fällt entsprechend kleiner aus. Der Arbeitgeber hingegen kann die Kosten für die Versorgungslösung als Betriebsausgaben von der Steuer absetzen. In vielen Fällen - wenn auch nicht allen - ist die Einzahlung in die bAV auch von den Sozialabgaben befreit – wovon Arbeitgeber und Arbeitnehmer zunächst profitieren. Steuern und Sozialabgaben werden erst in der Rentenbezugsphase fällig – und fallen zumindest beim zu zahlenden Steuersatz regelmäßig deutlich niedriger aus als in Einzahlungsphase. Hinzu kommt, dass der Arbeitgeber die Konditionen mit einer Versorgungseinrichtung aushandelt. Die bAV-Verträge sind daher oftmals kostengünstiger und renditestärker, als vergleichbare Lösungen der privaten Vorsorge.
Sicherheit geht vor Rendite
Dass die betriebliche Altersvorsorge einen Teil ihrer Attraktivität eingebüßt hat, liegt an verschiedenen Gründen. Zum einen leiden auch deren Versorgungseinrichtungen unter den niedrigen Zinsen, die mit festverzinslichen Anlagen erzielbar sind. Die Zinseszinswirkung, ist Herrmann vom bAV-Berater Heubeck überzeugt, werde weithin unterschätzt. „Erhält der Mitarbeiter auf sein angespartes Guthaben bis zur Rente in rund dreißig Jahren nur eine um ein Prozent niedrigere Durchschnittsrendite, müsste er, um das auszugleichen, bereits 35 Prozent mehr in den Sparvertrag einzahlen“, sagt Herrmann.
Bislang können Angestellte nur bis zu vier Prozent des Bruttogehalts sparen, maximal aber bis Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung, also 2784 Euro im Jahr. „Die steuerlich begünstigte Obergrenze für Sparer muss angesichts der niedrigen Renditen angehoben werden“, sagt Experte Herrmann. „Für gut verdienende Mitarbeiter reicht es so nicht mehr für eine attraktive Betriebsrente. Angestellte sollten daher mehr steuerbegünstigt sparen dürfen. Auch eine generelle Befreiung von Sozialabgaben auf den Sparbetrag würde die bAV wieder attraktiver machen.“
Höhere Renditen können die bAV-Einrichtungen nicht ohne weiteres erzielen, weil sie auch immer mit höheren Anlagerisiken verbunden sind. „Die gesetzlich erlaubte Aktienquote von 30 Prozent schöpft kein bAV-Anbieter aus. Die Schwankungen in der Bewertung der Kapitalrücklage würden höhe Risikopuffer erfordern. Um die vereinbarten Rentenzahlungen weiterhin garantieren zu können, müssen die Versicherer ihre Risiken entsprechend ihrer Tragfähigkeit jedoch im Zaum halten“, sagt Heubeck-Chef Herrmann.
Kaum seriös kalkulierbar
Ob sich am Ende eines Lebens die bAV besser bezahlt gemacht haben wird, als eine private Vorsorge per Rentenversicherung oder Riester-Rente, lässt sich heute kaum seriös kalkulieren. Denn es gibt allein fünf unterschiedliche Durchführungswege für die bAV. Beliebt ist aber derzeit vor allem die Direktversicherung, eine Versicherungslösung, die wie eine Rentenversicherung dem gesetzlichen Garantiezins von 1,75 Prozent unterliegt. Hinzu kommt für den Sparer noch die Beteiligung an erzielten Überschüssen. Noch liegt die Gesamtrendite in vielen Verträgen bei vier Prozent, bei neuen Verträgen dürfen Mitarbeiter nur noch mit einer drei vor dem Komma rechnen. Je länger die Niedrigzinsphase dauert, umso weniger wird es am Ende sein.
Leider gibt es derzeit eine Tendenz bei den Arbeitgebern, die Risiken der Geldanlage zunehmend allein den Arbeitnehmern zu überlassen. Gab es früher vor allem klare Leistungsversprechen der Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern eine bestimmte Rente im Alter zusagten, sind es heute zunehmend reine Beitragsversprechen. Die Arbeitgeber garantieren nur, die Abzüge vom Lohn in eine Versorgungslösung einzuzahlen. Eine konkrete Rentenhöhe oder Verzinsung meiden sie, weil die notwendigen Renditen immer schwerer erreichbar sind und im Zweifel das Unternehmenskapital belasten. Jüngstes Beispiel für so einen Fall war Lufthansa.
Baustein im Vorsorgemix
Die bAV hat dennoch ihren Platz im Vorsorgemix verdient. Zum einen ist sie sicher, weil die bAV- Rente über den Pensionssicherungsverein gegen einen Konkurs des Unternehmens abgesichert ist, der Arbeitgeber für die bAV einstehen muss und die einmal erreichten Anwartschaften inzwischen schon nach drei Jahren Betriebszugehörigkeit unverfallbar sind, das heißt sie bleiben dem Arbeitnehmer in jedem Fall erhalten und sind garantiert.
Zum anderen aber schießen viele Arbeitgeber ihrerseits Geld zu. Vor allem in Tarifverträgen ist das häufig geregelt, etwa im Fall der 2001 eingeführten Metallrente für Mitarbeiter der Metall- und Elektroindustrie. Aber auch dort, wo kein Arbeitgeberzuschuss vereinbart ist, lassen sich solche Lösungen aushandeln. Schließlich spart der Arbeitgeber in der Regel ebenfalls Steuern und Sozialabgaben. Zahlt er seinerseits nur die Hälfte der Ersparnis in den Vertrag für seinen Mitarbeiter ein, hebelt das die Rendite aus Arbeitnehmersicht gleich nach oben. Viele Arbeitgeber lassen sich auf solche Lösungen ein.
Ein Punkt, der lange als großer Nachteil der betrieblichen Altersversorgung galt, hat sich inzwischen gebessert, nämlich die Portabilität. Gemeint ist damit die Mitnahme erzielter Anwartschaften auf eine Betriebsrente zu einem anderen Arbeitgeber. Angesichts zunehmend wechselhafter Erwerbsbiografien ein wichtiger Punkt. Inzwischen muss der alte Arbeitgeber der Übertragung der Rentenansprüche des Arbeitnehmers nicht mehr zustimmen, lediglich der neue Arbeitgeber muss einverstanden sein und die Vorsorgelösung übernehmen oder auf seine eigene Versorgungseinrichtung übertragen. Angesichts des wachsenden Fachkräftemangels ist das zunehmend möglich.
Weil aber immer noch nur jeder zweite sozialversicherungspflichtig Beschäftigte bereits Ansprüche auf eine bAV erworben hat, plädieren sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund als auch der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) für das sogenannten Opting-out per Gesetz. Dann würde jeder Arbeitnehmer zwingend mit Unterzeichnung eines Arbeitsvertrages eine betriebliche Altersversorgung abschließen, es sei denn, er widerspricht explizit. Während die Gewerkschaften dafür plädieren, im Zuge dieser Lösung auch die Arbeitgeber zu Einzahlungen – etwa in Höhe der Einsparungen – zu verpflichten, geht es dem GDV um etwa mehr staatliche Unterstützung. Kommt es zum Opting-out, so sollte es eine durchgängig Befreiung von Steuern und Sozialabgaben geben. Außerdem sollte der maximal einzahlbare Betrag von vier auf acht Prozent der Beitragsbemessungsgrenze steigen. Das entspräche für das kommende Jahr einem Betrag von 5712 Euro.
Den Vorschlag des GDV sieht Berater Herrmann höchst skeptisch. Zwar würde zunächst deutlich mehr betriebliche Altersvorsorge betrieben und vermutlich viel Geld der Angestellten an bAV-Anbieter fließen. „Sicher wäre Opting-Out ein Instrument zur Förderung der Altersvorsorge und würde dem ordnungspolitischen Ziel der Bekämpfung von Altersarmut dienen. Aber es ist ein massiver Eingriff in die Entscheidungsfreiheit.“ Weit marktwirtschaftlicher wäre es hingegen, über Information, Transparenz und gezielte Anreize die betriebliche Altersversorgung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer wieder interessanter zu machen – und dann den Arbeitnehmer frei entscheiden zu lassen.