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Bewertungsreserven Was das Rettungspaket für Lebensversicherer für Kunden bedeutet

Niedrige Zinsen belasten Lebensversicherer. Die Regierung will, dass Versicherer einzelnen Kunden weniger ausschütten. Verbraucherschützer schlagen Alarm. Ich sage: Das schafft mehr Gerechtigkeit für das Kollektiv.

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Die Regierung will die Beteiligung der Kunden von Lebensversicherungen an deren Bewertungsreserven beenden Quelle: dpa

Die Aufregung ist groß: Die Bundesregierung plant ein Gesetzespaket mit Änderungen, die vor allem einzelne Kunden von Lebensversicherern treffen würden. Der Bund der Versicherten spricht von einem „Schlag ins Gesicht der Versicherten“.

Was ist passiert? Einerseits will die Regierung offenbar die erlaubte Garantieverzinsung antasten und Grenzen für Provisionen einziehen. Andererseits – und da geht es um Milliarden - soll die Beteiligung der Kunden an den Bewertungsreserven in der jetzt geltenden Form abgeschafft werden. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob einige wenige, deren Vertrag aktuell zur Auszahlung kommt, das Kollektiv weiter schröpfen dürfen. Denn durch die neue Regel würden Versicherte, deren Policen aktuell zur Auszahlung anstehen, spürbar weniger Geld bekommen. Doch genau diesen Mittelabfluss zu stoppen, wäre im Sinne des Kollektivs richtig.

Doch worum geht es hier eigentlich? Bewertungsreserven sind Wertsteigerungen von Aktien oder Anleihen, die in den Büchern noch nicht erfasst sind. Sie entstehen, weil Versicherer das Kapital langfristig anlegen. Sie kaufen Anleihen mit langen Laufzeiten, denn da gibt es höhere Zinsen, den Kupon. Doch je höher der Kupon, desto größer das Problem.

Es geht um viel Geld

Kurs und Rendite verhalten sich gegensätzlich: Je tiefer die Rendite einer Anleihe sinkt, desto höher steigt ihr Kurs. Die Differenz zwischen dem aktuellen Kurs (Marktwert, zum Beispiel 120 Prozent) und dem Buchwert (etwa 100 Prozent), nennen Fachleute stille Reserven, oder auch Bewertungsreserven. Läuft der Vertrag eines Kunden heute aus oder kündigt er, muss sein Versicherer ihn zur Hälfte an diesen Reserven beteiligen. Diese Regel gilt seit dem Jahr 2008.

Je niedriger die Zinsen, desto höher die Bewertungsreserven. Durch die zurzeit niedrigen Zinsen sind besonders die Werte für vor Jahren gekaufte Staatsanleihen stark gestiegen, da diese für die gesamte Laufzeit höher verzinst sind als jetzt ausgegebene Staatsanleihen. Versicherer aber halten diese Anleihen bis zum Ende der Laufzeit – und dann werden sie ganz normal zu 100 Prozent zurückgezahlt, zwischenzeitliche Bewertungsreserven schmelzen also wieder dahin. Es geht um viel Geld: Nach Zahlen des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) schütteten die Versicherer 2013 im Schnitt jeden Monat 300 Millionen Euro an Bewertungsreserven aus.

Auszahlungen zulasten des Kollektivs

Diesen Mittelabfluss bei Rentenpapieren zu stoppen, wäre richtig, denn von den aktuell hohen Bewertungsreserven profitieren nur wenige Kunden – nämlich die, die aktuell kündigen oder deren Vertrag zufällig gerade ausläuft. Doch ist das Geld einmal ausgezahlt, ist es weg. Bei dem angestrebten Paket geht es also um die faire Verteilung der stillen Reserven auf Alt- und Neukunden beziehungsweise auslaufende und bestehende Verträge. Eine Kuh, die man melken will, darf man nicht schlachten.  

In der Praxis gibt es aber noch ein anderes Problem: Versicherer tricksen bei der Auszahlung. So wäre es logisch, dass sie hochverzinste Anleihen verkaufen, um Bewertungsreserven zu heben und an Kunden auszuschütten. Doch das passiert offenbar nicht in großem Stil: In der Praxis zahlen Versicherer das Geld aus einem anderem Topf aus, den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung. In dem sammeln die Unternehmen eigentlich Kapital, das sie später als Überschussbeteiligung an Kunden auszahlen. Diese Spardose gehört so oder so bereits den Kunden. Unter dem Strich haben bislang also tatsächlich nur einzelne Lebensversicherte mehr Geld bekommen - nämlich die, deren Verträge ausliefen oder gekündigt wurden. Es geht also zulasten des Kollektivs, wenn Versicherer einige wenige Kunden mit dem Geld aller auszahlen.

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