Auf Dauer helfen die digitalen Mitarbeiter, Kosten zu senken und Personalressourcen zu schonen. Die freiwerdenden Kapazitäten können die Versicherer dann einsetzen, um sich mit besseren Leistungen vom Wettbewerb anzusetzen. Zwei Drittel der deutschen Versicherer rechnen daher mit einem positiven Produktivitätseffekt durch Einbettung von AI in die Kundenschnittstellen, etwa die Hälfte verspricht sich zusätzliche Ertragsmöglichkeiten und verbesserte Beziehungen zu ihren Kunden.
Digital or dead: So überleben Sie die digitale Zukunft
Die Digitalisierung wird mittelfristig das Kerngeschäft der meisten Unternehmen beeinflussen. Führungskräfte müssen analysieren (lassen), wie sich die Spielregeln für ihre Branche verändern und die einzelnen Herausforderungen zu ihrer persönlichen Agenda machen.
Quelle: Digital or dead von Serhan Ili und Ulrich Lichtenthaler
Viele Firmen konzentrieren sich darauf, vor allem die Effizienz ihrer Produktion durch neue Technologien zu stärken. Wer sich aber ausschließlich auf technologiegetriebene Effizienzsteigerung konzentriert, verschenkt in Zukunft Wachstumschancen. Denn diese entstehen durch digitale und analoge Innovationen.
Führungskräfte müssen besonders vielversprechende digitale Lösungen für ihr Unternehmen identifizieren. Wenn sie ein oder mehrere Tools in der engeren Auswahl haben, sollten sie das Ausprobieren der Software im Unternehmen fördern.
Neben dem kurzfristigen Ausprobieren müssen Unternehmen auch langfristig für ihre IT-Zukunft planen. Schließlich sollen die neuen Softwarelösungen, die zum Geschäftsmodell passen, auch in die bestehende Unternehmens-IT integriert werden.
Der Ausgangspunkt der Digitalisierungsinitiative sollte keinesfalls die IT sein. Vielmehr sollten die damit befassten Entscheider zunächst ein klares Bild davon haben, welchen Nutzen die Digitalisierung dem Unternehmen bringen sollte. Auf dieser Grundlage sollte alsdann zunächst ein passendes Geschäftsmodell für die digitalen Aktivitäten entwickelt werden, bevor dieses dann innerhalb der IT tatsächlich umgesetzt wird.
Eine zentrale Gefahr für Industrieunternehmen ist das Auftreten neuer Komplettlösungsanbieter wie Uber, die direkt an der Schnittstelle zum Kunden arbeiten und diese besetzen. Umgehen kann man diese Gefahr mit der Entscheidung für eine interne Digitalisierungslösung.
Eine Stelle wie die des CDO zu schaffen, der die Digitalisierungsbemühungen koordiniert, ist sehr hilfreich. Der Chief Digital Officer braucht aber auch genügend Macht und Einfluss innerhalb des Unternehmens. Wenn sein Posten nur eine Alibifunktion innehat, nützt das wenig.
Über die koordinierende Funktion des Chief Digital Officers hinaus beinhaltet die Digitalisierung eines Unternehmens üblicherweise weitere, größere Veränderungen, die ein gewisses Maß an Beteiligung des ganzen Unternehmens erfordert. Die Unternehmenslenker müssen eine überzeugende Digitalisierungsgeschichte entwickeln, um die Einsatzbereitschaft aller Beteiligten sicherzustellen.
Unternehmen müssen bewegliche und flexible Innovationsprozesse anstoßen und weiterentwickeln - zumindest als Ergänzung für traditionellere, systematische Prozesse. Darüber hinaus ist es unabdingbar, ganze Produktlösungen innerhalb des geschäftlichen Umfelds zu optimieren, anstatt nur einzelne Produktspezifika zu verändern.
Digitalisierung erfordert neue Kompetenzen und beinhaltet oft die Veränderung bekannter und bewährter Geschäftsmodelle. Daraus folgt, dass Unternehmen offen für Hilfe von außen, nämlich von Digitalisierungsexperten, sein sollten, um den größtmöglichen Nutzen aus Innovation und den dazugehörigen Kompetenzen ziehen zu können.
Für Unruhe unter Versicherungsvermittlern sorgt allerdings die Vorstellung, dass intelligente Beratungsroboter auch den Abschluss neuer Policen übernehmen, also im Vertrieb eingesetzt werden. Zwar dürfte der Vertragsabschluss bei komplexen Versicherungsprodukten noch für lange Zeit in den Händen der Berater aus Fleisch und Blut liegen, aber zumindest die Vermittlung einfacher und weitgehend vereinheitlichter Policen ist wie im Chatbot-Beispiel eingangs schon zum Greifen nahe. Gerade an diesen Policen verdienen Versicherungen wenig, Einsparungen sind da sicher willkommen. Roboter erwarten keine Provision.
AI, Big Data und das Internet of Things
Wachstumschancen bieten auch personalisierte Versicherungsprodukte, die dank AI besser umsetzbar sind. „AI-Systeme unterstützen im Hintergrund den Trend zu individuell zugeschnittenen Versicherungsprodukten“, erklärt Lischka von Accenture. „Ein Beispiel wäre etwa das Konzept „Pay as you drive“, bei denen die Kfz-Versicherung anhand der Auswertung von GPS-Daten und kontinuierlich übertragenen Kfz-Daten auf das individuelle Nutzungs- und Fahrverhalten zugeschnitten wird. Auch die Daten vernetzter Geräte - Stichwort Internet of Things - können mit Hilfe von AI analysiert werden und ermöglichen etwa spezielle Transportversicherung für mit Sensoren ausgestattete Frachtcontainer. AI hilft somit bei der individuellen Risikoanalyse.“
Anhand der Beispiele lässt sich erahnen, welche Veränderungen dem Versicherungsmarkt bevorstehen. „Künstliche Intelligenz allein schon wird die Versicherungsbranche in den nächsten Jahren massiv verändern. Zusammen mit den weiteren Technologie-Trends hat dies das Potenzial zu einer Revolution: Sie verändern die Wertschöpfungskette und ermöglichen neuen Wettbewerbern den Zugang zum Markt. Erstversicherer könnten vor allem von Rückversicherern, Versicherungsbrokern und firmeneigenen Versicherungsunternehmen Konkurrenz bekommen.“
Unklar ist jedoch, ob die Versicherungskunden absehbar von dieser Entwicklung profitieren, etwa durch günstigere Tarife. Da etliche Versicherer für die Umsetzung ihrer Digitalisierungsstrategien neue IT-Infrastrukturen benötigen und viel Geld in die Entwicklung von Anwendungen investieren, dürften die Spielräume für Beitragssenkungen vorerst begrenzen.
Die Fintech-Branche und IT-Dienstleister zählen hingegen schon jetzt zu den Gewinnern dieser Entwicklung. „Bei der Entwicklung intelligenter, selbst lernender Systeme setzt die Branche vor allem auf Partnerschaften, bevorzugt auch auf Beteiligungen oder Übernahmen", hat Lischka beobachtet. "Auf diesem Weg verschaffen sie sich Zugang zu den nötigen personellen Ressourcen. Diese Spezial-Skills sind rar und Versicherer profitieren vom technologischen Vorsprung beispielswiese ausgewählter Start-ups."
Die Zurich Versicherung etwa hat schon eigens einen Hackathon in Köln ausgerichtet: Ziel war es, mit jungen Programmiertalenten in nur zwei Tagen technische Lösungen und erste lauffähige Software für die Versicherungsbranche zu entwickeln – der Schwerpunkt lag auf dem Einsatz künstlicher Intelligenz. Die Resonanz auf den Programmierwettbewerb war enorm. Anfang Oktober startet Zurich daher eine Neuauflage des Hackathons #InsurHack.