Ex-Star Mehmet Göker „Unendlich viel Kohle“

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„Im Prinzip geht es mir ausgezeichnet. Nur reisen kann ich nicht“

Auf die unweigerliche Frage, ob er Fehler gemacht habe, antwortet Göker mit Ja. „Es waren alles meine Fehler. Ich kann niemandem die Schuld geben. Fakt ist, dass die Entscheidungen mehrheitlich richtig waren. Aber die wenigen falschen Entscheidungen hatten verheerende Auswirkungen.“

Das ist faktisch Reue, aber klingt eben auch wie ein Boxer, der um Entschuldigung bittet, dass er zu fest zugeschlagen hat. Der Fuhrpark der MEG umfasste zu seinen besten Zeiten 14 Ferrari, 23 Porsche. „Ich war jung und hatte unendlich viel Kohle. Geld bedeutet nichts anderes, als keine Kompromisse mehr eingehen zu müssen.“

Nicht alle sehen das so wie er. Die deutsche Staatsanwaltschaft zum Beispiel. Göker zieht 2010 in die Türkei. Nachdem 2012 ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wird, verlässt er sie auch nicht mehr. Zwischen Deutschland und der Türkei besteht kein Auslieferungsabkommen. Das schützt Göker zwar vor strafrechtlicher Verfolgung, nicht aber vor den Forderungen seiner Gläubiger. Ein Großteil seines Vermögens in der Türkei soll gepfändet worden sein. Göker arbeitet heute als Angestellter für eine Firma, die auf den Namen seiner Mutter eingetragen ist. So ist die Firma vor dem Zugriff von Gläubigern weitgehend geschützt.

Ein Plakat im Mai 2009 von der MEG AG in Bielefeld. Quelle: imago images

Göker wird auch vorgeworfen, sich aus der Insolvenzmasse Kundendaten genommen zu haben und diese verkauft zu haben. Er streitet das ab. 2014 wird bekannt, dass Göker das weitermacht, was er am besten kann: Versicherungen verkaufen. Über Strohmänner in Deutschland und eine falsche deutsche Nummer arbeitet er weiter, von der Türkei aus. Göker streitet das ab: „Die letzte PKV, die wir in Deutschland verkauft haben, war April 2013“, sagt er. Erst Anfang dieses Jahres aber erschien ein Bericht, wonach er über eine Strohfirma namens Simplex Optima weiter auf dem deutschen Markt aktiv sei.

Der letzte Prozess gegen Göker fand im vergangenen März in Kassel statt – bei dem der Angeklagte natürlich nicht erschien. Göker lebt nicht mehr in der Villensiedlung, die man in dem letzten Film aus dem Jahr 2015 über ihn sehen kann. Auch Villen von ihm in der Türkei sind von Gläubigern gepfändet worden. Er sagt, er habe keinen Bock mehr auf die Nachbarn gehabt. Er hat sich jedenfalls verkleinert und ist mit seinem Neffen in ein Penthouse mit Haushälterin gezogen, von dem man einen Blick über die Bucht von Kuşadası hat. Auch den Vertrieb von Krankenversicherungen in der Türkei hat Göker wieder aufgegeben – zu gering die Prämien.

Drei Einnahmequellen habe er im Moment – alle, versichert er, seien im sechsstelligen Bereich. Mit einem Freund entwickelt er gerade ein Immobiliengeschäft. Dafür sei der Ferienort Kuşadası ideal und die Zeit genau die richtige, denn jetzt könne man billig in der Türkei einkaufen. Außerdem berät er Firmen bei deren Vertriebsstruktur, darunter sei auch ein großer norddeutscher Konzern. Den Namen nennt er nicht.

"Nur reisen kann ich nicht"

Schließlich gibt Göker Seminare, die sich konsequent „MEG Verkäufer Masterkurs“ nennen. Die Teilnehmer reisen aus Deutschland an, hören zwei Tage Gökers Vorträge, gehen mit ihm essen, sitzen bei ihm auf der Terrasse. 4990 Euro kostet die Teilnahme. Sind die 15 Plätze ausgebucht, bleiben ihm um die 60 000 Euro Gewinn. Göker macht also das, was er am besten kann und was wahrscheinlich keiner so gut kann wie er: aufputschen, motivieren, verkaufen. Auf Facebook sieht man ihn wie zu seinen besten Zeiten: aufgepumpt im engen Anzug ohne Krawatte, bereit für die totale Motivation. Es ist dieselbe hyperaggressive, hypnotische Kopfstimme, die dem Zuhörer nur zwei Möglichkeiten lässt: Flucht oder Unterwerfung.

„Im Prinzip geht es mir ausgezeichnet. Nur reisen kann ich eben nicht“, sagt Göker und zieht an der Wasserpfeife. 2019 soll die Anklage gegen Göker verjähren und damit auch der internationale Haftbefehl. Klar habe er auch Krisen gehabt. Mit 36 000 Euro sei er in der Türkei angekommen. Aber es komme eben darauf an, die Zweifel beiseite zu wischen und weiterzumachen. Für sein Selbstvertrauen und seine Energie bewundern Göker noch heute viele. Ein ehemaliger Mitarbeiter namens Murad Amani – Göker ist es ein großes Anliegen, diesen Namen zu erwähnen – habe ihn sofort mit einem sechsstelligen Betrag unterstützt.

Auf seiner Facebook-Page gibt es Hunderte Kommentare, voller Lob und Bewunderung. Benzin für jede Ego-Maschine. Göker zitiert sich dort am liebsten selbst in Großbuchstaben („FOKUSSIERE DICH AUF LÖSUNGEN, NICHT AUF DAS PROBLEM – WER DAS SCHAFFT DER DENKT IN LÖSUNGEN UND ZIEHT DIESE AN.“) Klassischer Business-Bullshit – aber eben das, was viele Menschen von einem Alpha-Göker hören möchten, wenn es im Leben ganz nach oben oder einfach nur weitergehen soll.

Es ist kurz vor Mitternacht, als es endlich auch Göker zu kalt wird. Alle gehen in die warme Wohnung.

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