Freytags-Frage
Quelle: dpa

Was ist das richtige Rentenalter?

Die Deutsche Bundesbank stößt die Debatte um das Renteneintrittsalter neu an. Das sollten die politischen Entscheider ernst nehmen und möglichst zügig damit beginnen, über die Zeit nach 2029 nachzudenken.

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Die Deutsche Bundesbank hat im Monatsbericht Oktober 2018 eine neue Studie veröffentlicht, in der die Autoren die Anpassungen beim Rentenalter für die lange Frist, nämlich bis 2070, simuliert haben. Als Ergebnis kam heraus, dass in 2070 das Rentenalter auf 69,3 Jahre ansteigen muss, damit das durchschnittliche Versorgungsniveau nicht weit unter 44 Prozent des durchschnittlichen Brutto-Einkommens (jeweils nach Abzug der Sozialabgaben) fällt.

Nach der Veröffentlichung gab es zunächst einmal einige Aufregung, vor allem bei den Gewerkschaften, die bereits im Jahre 2007 gegen den Beschluss zur Einführung der Rente mit 67 unter Minister Müntefering (ab 2012) Sturm gelaufen waren. Aber nach wenigen Tagen war der Lärm verstummt. Dies hat gute Gründe.

Zum ersten ist es natürlich weder sinnvoll noch politisch notwendig, gegen eine Berechnung zu protestieren, die sich auf das kommende halbe Jahrhundert bezieht. Wer weiß, wie die Welt 2070 aussieht? Im Jahre 1919 konnte sich wahrscheinlich niemand die Welt im Jahre 1970 vorstellen. Dennoch macht es natürlich aus Sicht der Gewerkschaften Sinn, auch heute schon aktenkundig dagegen zu argumentieren, um sich nicht vorwerfen zu lassen, sich nicht dazu geäußert zu haben, wenn in einigen Jahrzehnten die Diskussion richtig Fahrt aufnehmen wird.

Zum zweiten ist es sehr schwierig, die demographische Entwicklung nicht zu sehen. Die deutsche Bevölkerung altert sichtlich; deshalb kann sich kein ernsthafter politischer Akteur erlauben, die Folgen der demographischen Entwicklung vollkommen zu ignorieren. So ist der Einwand der Gewerkschaften wohl auch eher verteilungspolitisch motiviert denn logisch begründet.

Drittens kann man der Bundesbank nicht vorwerfen, Alarmismus zu betreiben. Die Berechnungen im Bundesbankbericht sind nüchtern, sachlich und gut nachvollziehbar. Sie basieren vor dem Hintergrund der angenommenen demographischen Entwicklung auf vier Stellgrößen: dem Rentenalter, dem Versorgungsniveau, dem Beitragssatz und dem Zuschuss zur Rentenkasse durch den Bund. Das neu berechnete Rentenalter ist im Übrigen auch nicht übertrieben hoch, vor allem unter Berücksichtigung der hohen durchschnittlichen Lebenserwartung von annähernd 79 Jahren des Geburtsjahrgangs 2001. Dieser Jahrgang würde 2070 in die Rente gehen, würden die Simulationen der Bundesbank realisiert.

Eines ist sicher (dieses Mal nicht die Rente): Wenn die Bevölkerung altert, können diese vier Stellgrößen nicht konstant bleiben. Entweder muss das Rentenalter steigen, oder es muss das Versorgungsniveau sinken, oder der Beitragssatz musssteigen, oder es muss einen höheren Zuschuss aus Bundesmitteln geben, durch Steuern der Rentner und der Beitragszahler finanziert werden muss. Entweder müssen im letzten Fall Steuern erhöht oder öffentliche Ausgaben an anderer Stelle zurückgefahren werden.

Denkbar ist auch ein Mix an Maßnahmen. Die Modellrechnung der Bundesbank arbeitet im Prinzip genauso. Im Vergleich zum Niveau 2018 berechnet sie also eine Kombination aus Anstieg des Rentenalters, Abstrichen am Versorgungsniveau, leichten Beitragserhöhungen und Erhöhungen des Bundeszuschusses. Im Vergleich zum Fortführen des Status quo (also Rente mit 67 ab 2029) wären diese Maßnahmen mit Ausnahme des Rentenalters aber deutlich drastischer: niedrigeres Versorgungsniveau, höherer Beitragssatz und höherer Bundeszuschuss.

Es muss der Bundesbank hoch angerechnet werden, die Rentendebatte neu zu beleben. Denn der im Monatsbericht vorgestellte Trend der ist unstrittig. Es ist nur nicht klar, wie man dieses Problem löst. Auch der Bericht kann nur als Annäherung verstanden werden; sicher sind die Zahlen keineswegs, wie die Bundesbank auch selber schreibt. Aber je länger man wartet, desto komplexer wird die Lösung politisch.

Denn es sind in jedem Fall Wählerschichten zu verprellen. Steigen die Beiträge zur Rentenversicherung, sind die Kohorten, die zur Zeit arbeiten, negativ betroffen könnten die Regierung abstrafen. Sinkt das Versorgungsniveau oder steigt das Rentenalter kurzfristig, sind die Kohorten im Rentenalter betroffen. Politisch ist es am einfachsten, die Debatte auszusitzen oder mit dummen Sprüchen zu verharmlosen (siehe auch: Die Rente ist sicher) und gleichzeitig den Bundeszuschuss zu erhöhen. Denn die dadurch erzeugten negativen Wirkungen auf die Ausgaben des Bundes kann man am einfachsten übertünchen.

Die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre bis 2029 durch die damalige große Koalition kann vor diesem Hintergrund nur gelobt werden, selbst wenn der Initiator und seine Partei, Minister Müntefering und die SPD dafür politisch eher bestraft wurden. Der Übergang zum höheren Rentenalter ging sehr langsam vonstatten. Darüber hinaus lag das Jahr 2029, in dem alle Beschäftigten mit 67 in den Ruhestand eintreten sollen, damals noch fast eine Generation in der Zukunft. Im Falle der Bundesbank-Studie sind es sogar zwei Generationen.

Die politischen Entscheider in Berlin sollten die Studie ernst nehmen und möglichst zügig damit beginnen, über die Zeit nach 2029 nachzudenken. Dies ist umso wichtiger, als das die anderen beiden Säulen der Alterssicherung, nämlich die betriebliche Versorgung und privates Vorsorgen, zur Zeit mit den Folgen der expansiven Geldpolitik zu kämpfen haben und deshalb nicht die gewünschten Versorgungsniveaus garantieren können. Wenn die Politik nicht langfristig denkt, mag es irgendwann zunächst einen ökonomischen Schock – schneller Anstieg der Beiträge oder dramatischer Fall des Versorgungsniveaus – geben, dem dann möglicherweise ein politisches Erdbeben folgen würde. Das kann kein ernsthafter Rentenpolitiker wollen!

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