Gängige Vorurteile Fünf Mythen über die PKV

Wartezimmer beim Arzt: Sind Privatpatienten wirklich schneller dran? Quelle: imago images

Jeder kennt die Argumente: Privatpatienten müssen weniger warten, bekommen bessere Behandlungen – und lohnen sich für den Arzt mehr. Was dran ist, und wann gesetzliche Krankenkassen ihren Patienten einen Vorteil bieten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

1. Privatversicherte warten kürzer auf einen Arzttermin

Nicht immer. Tatsächlich sind längere Wartezeiten für gesetzlich Versicherte bei manchen Fachärzten ein Thema. Nach einer Umfrage, die die niedergelassenen Ärzte regelmäßig in Auftrag geben, gleichen sich die Wartezeiten für Privatpatienten und Kassenversicherte zudem an. Von den gesetzlich versicherten Befragten mussten nach den Daten von diesem Herbst 29 Prozent bei ihrem letzten Arztbesuch überhaupt nicht warten, bei Privatpatienten waren es 30 Prozent. Sechs Prozent der Kassenpatienten mussten sich einen Tag, zehn Prozent eine Woche gedulden. Bei Privatpatienten lag der Wert bei sieben Prozent beziehungsweise 14 Prozent. Wartezeiten von über drei Wochen erlebten 15 Prozent der gesetzlich Versicherten und zwölf Prozent der Privatpatienten. Bei Hausärzten gibt es offenbar keine nennenswerten Unterschiede.

Betrachtet man nur die Fachärzte, warten die rund 73 Millionen Kassenversicherten tatsächlich etwas länger auf einen Termin. So gaben 30 Prozent der Befragten an, dass es über drei Wochen gedauert habe, bis sie einen Spezialisten in der Praxis sehen konnten. Besonders lang dauert es bei Frauenärzten, Kardiologen und Psychiatern. Gegen die längeren Wartezeiten hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) den Kassenärzten per Gesetz bestimmte Regeln zur Besserstellung der Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auferlegt. Noch ist es aber zu früh, die Ergebnisse zu beschreiben.

2. Privatpatienten bekommen mehr und bessere Leistungen

Viel hilft nicht immer viel. Manchmal wird an Privatpatienten auch untersucht und therapiert, wo nicht ganz soviel nötig wäre. Besonders bei der Anwendung von MRT-Diagnostik lässt sich schwer anderes erklären. Deutschland hat mehr dieser „Röhren“, dieser Kernspintomographen, als vergleichbare andere Länder und dennoch müssen gesetzlich Versicherte oft hier auf Termine warten. Niedergelassene Fachärzte argumentieren oft, wie wichtig die Privatzahler für das Bestehen ihrer Praxen seien. Der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen bei der Bundesregierung hat immer wieder dargestellt, wie oft eben auch eine Diagnostik und eine Therapie mehr als nötig an diesen Patienten durchgeführt wird.

Die Privaten Krankenversicherungen (PKV) argumentieren auch immer wieder, sie würden Patienten neuartige Therapien schneller zukommen lassen als die Krankenkassen und brächten so Innovationen ins System. Das stimmt zum Teil. So hat zum Beispiel zuletzt die Televisite, also das Arztgespräch am Computerbildschirm, über die kleine Privatversicherung Ottonova ihren Weg in die anderen Kassen gefunden. Umgekehrt gibt es teure Therapien wie zum Beispiel die Protonentherapie gegen Prostatakrebs, für die erst etliche gesetzliche Kassen die Kosten übernahmen, bevor Private auch einschwenkten.

Bei Privatpolicen ist die Versorgung nicht zuletzt auch davon abhängig, was ein selbst gewählter Tarif erstattet. Oft sind Leistungen wie zum Beispiel Physiotherapie nicht dabei. Anders als bei den Gesetzlichen entscheidet bei der PKV auch nicht ein unabhängiges Gremium, ob eine Therapie nach den Regeln der Medizin tatsächlich funktioniert und deshalb in den Leistungskatalog aufgenommen werden soll.

3. Privatpatienten lohnen sich für Ärzte mehr

Ja und Nein. Unbestritten ist, dass Privatpatienten einen größeren Anteil zu den Gesundheitsausgaben beitragen als ihrem Anteil an den Versicherten entspricht. Im Jahr 2017 haben die rund 73 Millionen GKV-Versicherten rund 214 Milliarden Euro zum Gesundheitssystem beigesteuert, die rund 8,8 Millionen privat Versicherten etwa 31 Milliarden Euro. Jeder zehnte ist also privat krankenversichert und steuert aber ungefähr jeden achten Euro bei.

Dieser Unterschied ist bei den niedergelassenen Fachärzten und ihren Honoraren besonders zu spüren. Bei Pharmaausgaben und der per Fallpauschale bezahlten Behandlung im Krankenhaus unterscheiden sich PKV und GKV nicht. Nur wenn im Privattarif eine Chefarztbehandlung und eine Unterbringung im Einzelzimmer vorgesehen ist, hat eine Klinik mehr Einkommen.

Für Hausärzte dagegen, die eher sprechende Medizin als Apparatemedizin anbieten, geht die Kalkulation anders. Kommt ein Patient etwa mit einem grippalen Infekt zum Mediziner und braucht eine Krankschreibung sowie einzelne Medikamente, rechnet sich tendenziell eher der Kassenversicherte. Der Hausarzt kann die Quartalspauschale von etwas mehr als 50 Euro auslösen. Die erhöht sich freilich nicht, wenn der Versicherte nochmals innerhalb dieser Zeit in die Praxis kommt. Für Privatversicherte lassen sich je nach Versicherung etwa 23 Euro für die Untersuchung und Krankschreibung berechnen – allerdings mit deutlich höherem Abrechnungsaufwand gegenüber der Privatassekuranz.

4. Jung, männlich und Besserverdiener als Kundschaft der Privaten

Natürlich wechseln vor allem jüngere Erwachsene in eine Privatversicherung. Sei es, weil sie sich selbstständig machen und die Versicherungsart wählen können, oder weil sie als Besserverdiener unter den Angestellten nun ebenfalls wählen dürfen. Vor allem für Menschen unter 40 spart die PKV Geld, weil die Tarife zunächst niedrig ausfallen – oft deutlich geringer als in der Gesetzlichen, die sich am Einkommen des Versicherten orientiert.
Auch Beamte sind in den allermeisten Fällen privat versichert und bekommen von ihrem Dienstherrn Beihilfe zu den Krankheitskosten. Beamte machen inzwischen die Mehrheit unter den PKV-Kunden aus, darunter befinden sich überdurchschnittlich viele Frauen. Ganz im Gegensatz dazu sind unter den Selbstständigen und freiwillig Versicherten in der PKV die Männer in der Mehrzahl.

Selbst wenn die allermeisten jung in die PKV einsteigen - auch diese Versicherten altern. Die Lebenserwartung liegt in dieser Gruppe spürbar höher als beim Rest der Bevölkerung. Außerdem haben mehrere Bundesregierungen den Zugang in die PKV über die Jahre erschwert, vor allem, indem die Einkommensgrenzen für Angestellte zum Zeitpunkt eines Wechsels erhöht wurden. Aber auch eine Senkung des Mindestbeitrags zur GKV für Selbstständige hat Konkurrenz geschaffen.

Deshalb steigen also die Krankheitskosten auch in der PKV. Diese sollen zwar durch Altersrückstellungen und einer Geldanlage am Kapitalmarkt aufgefangen werden. Dennoch kamen auf Privatversicherte in den vergangenen Jahren teils zweistellige Tariferhöhungen zu.

5. Politiker wollen die PKV abschaffen

Offiziell fordern SPD, Grüne und Linkspartei eine Bürgerversicherung, also ein einheitliches Versicherungssystem, in dem verschiedene Anbieter vergleichbare Bedingungen und einen festen Katalog an Leistungen bieten müssten. Mit Union und FDP ist eine solche Politik nicht absehbar. Gesundheitsminister Spahn will das zweigeteilte System beibehalten.

Auch wenn eine Mehrheit der Bevölkerung eine Bürgerversicherung favorisiert, ist längst nicht ausgemacht, wie forsch die Parteien links der Mitte einen Umbau forcieren würden, wenn sie die Gelegenheit hätten. Tatsächlich gibt es handfeste juristische Probleme bei einer Abschaffung der bisherigen PKV. Entweder dauert der Übergang länger als eine Generation, wenn nur Neuversicherte automatisch in eine Bürgerversicherung gelangten. Oder aber heute Privatversicherte und die Assekuranz könnten vor Gericht ziehen. Im Grundgesetz gilt die Freiheit der Berufsausübung (hier möglicherweise der PKV) sowie der Schutz des Eigentums (und eben der Altersrückstellungen der Versicherten).

Ein anderer Grund für den wahrscheinlichen Fortbestand der PKV liegt beim Staat selbst. Mehr als eine Million gesetzlich versicherte Beamte kämen die Dienstgeber in Bund, Ländern und Gemeinden teurer als das heutige System. Wenn Beamte in der GKV finanziell nicht schlechter dastehen sollen als heute in der PKV, müsste der Staat deutlich mehr Geld einsetzen, um die Beamten zu bezuschussen. Der Stadtstaat Hamburg hat zwar seinen neuen Beamten nun eine solche Möglichkeit eröffnet und zahlt Geld dazu. Allerdings haben nur rund 1500 Neubeamte davon Gebrauch gemacht und vor allem jene aus niedrigeren Besoldungsgruppen.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%