
Schon der Name klingt gut: Dax WinWin Garantieanleihe. Dazu wird eine Rendite von bis zu 9,5 Prozent pro Jahr versprochen; mehr als doppelt so viel wie bei herkömmlichen Bundespapieren. Wer möchte da nicht gern zugreifen?
Mit Zertifikaten dieser Art werben Emissionsbanken um das Geld der Sparer. Nur, genau nachrechnen sollte man besser nicht. Denn hinter dem Zertifikat steckt ein komplexes Auszahlungsprofil, das während der vierjährigen Laufzeit im ungünstigen Fall auch zu einer Verzinsung von nur 2,2 Prozent pro anno führen kann. Wie viel es letztlich gibt, hängt von der Entwicklung deutscher Aktien ab. Wenn der Dax in den nächsten vier Jahren nicht um mehr als 45 Prozent steigt oder fällt, geht die Rechnung auf. Wenn doch, gibt es Magerkost. Wer aber kann voraussagen, dass der Dax bis 2012 in dem genannten Kursband bleibt?
Nicht einmal Profis können das. Viele Zertifikate-Anleger hingegen lassen sich von Versprechen dieser Art blenden. Geschickt verstehen es die Derivate-Emittenten, schon mit der Namensgebung Instinkte von Anlegern zu wecken, vor allem den Wunsch nach Sicherheit oder den nach Teilhabe an großen Trends. Die genauen Bedingungen von Papieren wie „Dax WinWin Anleihe“ oder „Bric Index Rainbow Garant“ mögen noch so komplex sein – bei vielen Anlegern entscheidet schon der erste Eindruck, ob sie auf ein Zertifikat scharf sind oder nicht. Und genau diese Bauchgefühle spielen Anlegern oft böse Streiche.
Die Erfolgsgeschichte der Zertifikate in Deutschland fußt zu einem großen Teil auf der Tatsache, dass Anleger immer wieder gleiche oder ähnliche Fehler machen. Dabei gibt es Möglichkeiten, die teuersten Fallen zu vermeiden: Hilfe verspricht die moderne Behavioral-Finance-Lehre, die den Einfluss der Psyche auf das Anlegerverhalten untersucht.
Zwei Anlegerfehler sind es vor allem, die zum Renditegrab werden können: übertriebene Verlustängste und die Fehleinschätzung möglicher Kursschwankungen. Vor allem das Geschäft mit der Angst läuft gut. Garantie- und Teilschutzprodukte machen rund 80 Prozent des in Zertifikaten investierten Vermögens in Deutschland aus. „Verluste werden von Anlegern etwa zweieinhalbmal so stark wahrgenommen wie Gewinne“, sagt Gianni Hirschmüller, Analyst der Cognitrend GmbH, die sich auf verhaltensorientierte Finanzmarktanalyse spezialisiert. „Investoren sind gerne bereit, für einen ganzen oder teilweisen Schutz gegen Verluste Prämien zu bezahlen, selbst wenn das auf der anderen Seite überproportional Gewinnchancen kostet.“
Tatsächlich entrichten Anleger im Zertifikatemarkt ihre Versicherungsprämien in der Regel bei Garantiepapieren über entgangene Zinsen und bei Teilschutzprodukten wie Bonus oder Express über entgangene Dividenden – oder sogar über beides. „Langfristig ist das fatal, denn bei der Geldanlage unterschätzen Anleger auf der Flucht vor dem Risiko die Bedeutung des Zinseszinseffekts für die Gesamtrendite der Geldanlage“, sagt Ralf Lochmüller, Partner der Investmentboutique Lupus Alpha. Wer 1980 umgerechnet 5000 Euro in BASF-Aktien steckte, verfügt heute über Papiere mit einem Kurswert von 63.000 Euro. Mit den wieder angelegten Dividenden kletterte das Vermögen seit 1980 jedoch auf 187.000 Euro. Vor allem Anleger, die über viele Jahre hinweg disponieren, sollten genau nachrechnen, ob sich eine Teilschutzkonstruktion auch lohnt. Bei einer aktuellen Dividendenrendite von 4,2 Prozent im Aktienindex Euro Stoxx 50 federn die Dividenden von fünf Jahren Verluste im Index von mehr als 20 Prozent vollständig ab.
Bei Zertifikaten mit längeren Laufzeiten besteht zudem die Gefahr, dass sich der zweite klassische Fehler einschleicht: Anleger überschätzen ihre Fähigkeit, Kursprognosen treffen zu können. Im Fachjargon ist von Overconfidence die Rede. Dabei steigt die Gefahr von Fehleinschätzungen mit den Jahren exponentiell an. „Prognosen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinaus sind schon enorm schwierig“, sagt Christian Grabbe, Chefhändler der Baader-Bank. „Bei vielen Zertifikaten ist jedoch nicht nur der künftige Schlusskurs maßgeblich, sondern auch der Kursverlauf über mehrere Jahre hinweg, weil bestimmte Barrieren weder über- noch unterschritten werden dürfen; das gleicht dann endgültig einer Lotterie.“ Da mit jedem Jahr Laufzeit auch Zinsen und Dividenden für die spezielle Struktur des Zertifikats aufgewandt werden, rät Grabbe dazu, „im Zweifel lieber kürzere Laufzeiten vorzuziehen“.
Verluste begrenzen, Gewinne laufen lassen. Diese klassische Anlageregel gilt auch auf dem Derivatemarkt, wird jedoch ausgerechnet vom Auszahlungsprofil vieler Zertifikate auf den Kopf gestellt – besonders von Bonuszertifikaten. Bei diesen Papieren kommt es darauf an, dass eine anfangs festgelegte Untergrenze während der gesamten Laufzeit halten muss, erst dann gibt es am Ende eine feste Rendite. Wählen Anleger nun aus Sicherheitsgründen eine Barriere, die ziemlich weit – etwa 40 Prozent – unter dem aktuellen Kursniveau des Basiswerts angesiedelt ist, können sie in eine Zwickmühle geraten: Sinkt der Basiswert, hofft man darauf, dass die gewählte Barriere hält. Doch genau das kann teuer werden. Denn wenn die Barriere letztlich doch nicht hält und man verkauft, ist schon mindestens ein Minus von 40 Prozent aufgelaufen – und der Dividendenanspruch ist auch dahin. Dahinter steckt ein klassischer Anlegerfehler. „In der Gewinnzone nimmt die Risikobereitschaft von Anlegern in der Regel ab, in der Verlustzone jedoch nimmt sie stärker zu“, sagt Cognitrend-Experte Hirschmüller.
Je tiefer man also in die roten Zahlen rutscht, desto stärker wächst die Bereitschaft zu weiteren riskanten Manövern – ein Teufelskreis. Es lohnt daher, auch bei Zertifikaten schon vor dem Kauf konkrete Szenarien durchzuspielen und zu definieren, welchen Verlust ein Anleger maximal bereit ist hinzunehmen.
Das gilt besonders für Zertifikate mit mehreren Jahren Laufzeit, denn mit der Laufzeit wachsen die Risiken. „Fast alle privaten Sparer schätzen die Bandbreiten, in denen künftige Kursbewegungen von Aktien stattfinden, völlig falsch ein“, sagt Helmut Henschel, Marktstratege der WestLB. So treten am Aktienmarkt auf kurze Sicht extreme Kursbewegungen wie die Spekulationsblase im Jahr 2000 oder Kursstürze wie im Herbst 1987 oder im September 2001 häufiger auf, als es die Statistik nahelegt oder Anleger intuitiv vermuten. Das gefährdet Zertifikate, bei denen innerhalb bestimmter Laufzeiten fest definierte Schwellen nicht verletzt werden dürfen.
Besonders kritisch wird das, wenn ein Zertifikat auch noch von mehreren Basiswerten abhängt. Die Risiken potenzieren sich regelrecht, wenn etwa die schlechteste Aktie unter den Basiswerten das Auszahlungsprofil bestimmt. Schon für industrielle Großrechner ist die Kalkulation komplexer Papiere dieser Art eine Mammutaufgabe. „Für die morgendliche Berechnung des ersten Kurses eines Garantiezertifikats, dem ein Korb von 25 Aktien unterlegt ist, benötigt ein leistungsstarker Großrechner einer Bank etwa 30 Minuten“, sagt der Manager eines Zertifikatefonds. Was soll da ein Normalsparer mit seinem handelsüblichen PC machen?
Einzige Antwort: Er sollte um undurchsichtige Papiere dieser Art lieber einen Bogen machen.