
Ist Japan das erste Land, das zum Mittel des „Helikoptergeldes” greift? Der Besuch von Ben Bernanke, dem ehemaligen Chef der US-Notenbank Fed, in Japan hat die Märkte elektrisiert. Bernanke hat in dieser Woche nicht nur den japanischen Notenbankchef Haruhiko Kuroda getroffen, sondern auch Shinzo Abe, den Regierungschef.
Der hatte nach seinem jüngsten Wahlsieg weitere geldpolitische Maßnahmen angekündigt, um die Deflation zu besiegen. Lassen sich die Japaner, so die naheliegende Überlegung der Börsianer, von Bernanke das Prinzip des „Helikoptergeldes” erklären? Bernanke ist einer der bekanntesten Verfechter dieser Idee. Angewendet wurde sie aber noch nie, auch nicht zu der Zeit, als Bernanke US-Notenbank-Chef war.
Einige Investoren hätten gehofft, Japans Wirtschaft würde mit direkten Geldgeschenken für die Bürger wieder flottgemacht, sagte Ayako Sera, Analyst bei der Sumitomo Mitsui Trust Bank in Tokio der Nachrichtenagentur Reuters. Auch die Saxo Bank und der Bond-Handelshaus Jefferies äußerten sich in diesem Sinne.
Was hinter dem „Helikoptergeld“ steckt
Die Idee ist denkbar einfach: Man muss nur im großen Stil Geld unter der Bevölkerung verteilen, schon kommt die Wirtschaft durch den Geldregen in Schwung und die Inflation zieht an. Was zunächst wie ein Scherz klingt, wird aktuell in Finanzkreisen ernsthaft diskutiert.
Nein, das reine Verschenken von Geld wurde von führenden Notenbanken noch nicht in die Tat umgesetzt. Während der Finanzkrise 2008 verteilte die US-Regierung zwar Steuergutschriften an Privathaushalte. Allerdings gibt es einen Unterschied zum „Helikoptergeld“: Die US-Notenbank verschenkte in der Krise kein Geld, sondern sicherte ihre Geldschwemme über den Kauf von Wertpapieren ab. Ähnlich geht zurzeit die EZB vor. Werden einmal gekaufte Wertpapiere wieder verkauft oder fällig, fließt das Geld zurück zur Notenbank. Dies wäre bei „Helikoptergeld“ nicht der Fall.
Notenbankchef Mario Draghi versicherte zwar, dass innerhalb des EZB-Rates nicht ernsthaft über die Idee des „Helikoptergeldes“ gesprochen wurde. Auf der Pressekonferenz nach der jüngsten Zinsentscheidung der Notenbank hatte er aber auf die Frage eines Journalisten die Idee nicht rundweg abgelehnt, sondern als „ein sehr interessantes Konzept“ bezeichnet. Etwas konkreter wurde EZB-Chefvolkswirt Peter Praet. In einem Interview mit der Zeitung „La Repubblica“ stellte der Vordenker der EZB klar, dass theoretisch alle Notenbanken dieses „extreme Instrument“ einsetzen könnten. Es stelle sich nur die Frage, ob und wann der Einsatz Sinn mache.
So einfach das Konzept in der Theorie wirkt, so schwierig wäre die Umsetzung. Zunächst einmal hat die EZB nicht die Kontonummern der etwa 337 Millionen Bürgern der Eurozone, um das Geld zu überweisen. Allein an der Zahl der Konten zeigt sich die bürokratische Herkules-Aufgabe, die mit einer solchen Maßnahme verbunden wäre. Schwierig wird es auch aus bilanztechnischen Gründen. Bisher gilt das Prinzip: Frisches EZB-Geld gibt es nur gegen Sicherheiten als Gegenleistung. Wenn die EZB das Geld aber einfach verschenken würde, dann stellt sich die Frage: Wie soll das verbucht werden? Nach Einschätzung von Commerzbank-Experte Michael Schubert wäre das Auszahlen von „Helikoptergeld“ unter dem Strich nur indirekt über die Euroländer denkbar. „De facto würde die EZB den Euroländern also eine Art Kredit gewähren“, erklärt Schubert.
Zu den Kritikern einer solchen Maßnahme zählt Bundesbankchef Jens Weidmann: „Ob und wie Geld an die Bürger verschenkt wird, ist eine hochpolitische Entscheidung, die Regierungen und Parlamente fällen müssen“, sagte Weidmann in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe. Hier habe die EZB einfach kein Mandat. Schon die bisher beschlossenen Maßnahmen werden nach Einschätzung von Weidmann schwächer in der Wirkung, je länger sie dauern, während Risiken und Nebenwirkungen der lockeren Geldpolitik zunähmen. Aber auch unter Volkswirten ist das Konzept höchst umstritten. Der Chefvolkswirt der Berenberg Bank, Holger Schmieding, bezeichnet die Idee des „Helikoptergeldes“ schlichtweg als „Quatsch“. Es würde die Illusion nähren, die Notenbank könne für die Bürger einfach immer mehr Geld drucken und damit die Probleme lösen. Politisch würde man damit in Europa einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, meint Schmieding.
Das ist eher unwahrscheinlich. Auch wenn immer mehr Experten warnen, dass die Möglichkeiten der EZB im Kampf gegen die niedrige Inflation ausgeschöpft seien, sieht sich die Notenbank selbst noch lange nicht am Ende ihrer Möglichkeiten. Sollten am Konjunkturhimmel wieder düstere Wolken aufziehen und große Eurostaaten wie Frankreich oder Italien stärker unter Druck geraten, dann verfüge die EZB immer noch über genügend Munition, versicherte jüngst EZB-Chefvolkswirt Praet in einem Interview. Ganz ähnlich äußerte sich zuletzt auch EZB-Direktor Benoît Coeuré.
Die Gerüchte um eine mögliche Ausschüttung von Helikoptergeld in Japan könnten der Grund für die Börseneuphorie der vergangenen Tage gewesen sein. Interessant ist, dass Japans Regierung die Spekulationen so ernst nahm, dass sie sie dementierte. Regierungssprecher Yoshihide Suga erklärte am Mittwoch, das sogenannte „Helikopter-Geld” werde nicht erwogen. Am Donnerstag schließlich bedeuteten Regierungs- und Zentralbankvertreter gegenüber Reuters, dass es definitiv nicht zum Einsatz von Helikoptergeld kommen werde.
Eine Frage aber bleibt: Was wollten Regierungschef Abe und Notenbankchef Kuroda von Bernanke wissen? Eines ist sicher. Japans Regierung kämpft verzweifelt gegen die Deflation. Und Bernanke hat das Konzept „Helicopter Money”, mit dem man Deflation wirksam bekämpfen kann.
Das Thema "Helikoptergeld" kam vor allem im März dieses Jahres auch in Europa auf. Die Frage war: Sollen Notenbanken wie die Europäische Zentralbank (EZB) Geld drucken und an Bürger und Staaten verschenken? EZB-Chef Mario Draghi hat die Debatte neu angefacht, als er bei seiner Pressekonferenz am 10. März 2016 das Konzept des „Helikoptergelds“ als „sehr interessant“ bezeichnete. Zwar moderierte er das Thema anschließend herunter, aber der Geist war aus der Flasche.