Krankenversicherung "Bestandskunden müssen bluten"

Der Sachverständige Peter Schramm über die Ursachen für steigende Prämien in der privaten Krankenversicherung.

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Peter Schramm, 54, ist unabhängiger Sachverständiger für Versicherungsmathematik und ein profunder Kenner der privaten Krankenversicherung.

Herr Schramm, die Krankenversicherer erhöhen im Januar kommenden Jahres ihre Prämien um bis zu 30 Prozent. Warum langen sie gerade jetzt so kräftig zu?

Das, was wir derzeit an gestiegenen Prämien sehen, spiegelt die Gesetzeslage des vergangenen Jahres wieder. Da sah es noch so aus, als könnten privat Krankenversicherte 2009 problemlos den Anbieter wechseln und einen Teil ihrer Altersrückstellungen mitnehmen. Dafür mussten sie pro forma einen Tag im ungeliebten Basistarif ausharren, der nur die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen abdeckt. Einige Krankenversicherungen, darunter Axa und Central, warben sogar mit dem schnellen Umstieg. 2008 mussten die Krankenversicherungen also fürchten, dass die Versicherten massenhaft den Anbieter wechseln und einen Teil der Altersrückstellungen mitnehmen würden.

Was aber gar nicht passiert ist.

Natürlich ist das nicht passiert, weil die großen Krankenversicherungen in diesem Jahr durchgesetzt haben, dass Wechselwillige drei Jahre in dem unattraktiven Basistarif verbleiben müssen, bevor sie in einen besseren Tarif umsteigen können. Das hat viele daran gehindert umzusatteln.

Ist dies der Grund warum die Beitragserhöhungen zum 1. Januar diesen Jahres so moderat ausfielen?

Nein, denn für nachträgliche Änderungen war es in der Regel schon zu spät, denn die Anbieter hatten die neuen Prämien bereits im Sommer 2008 kalkuliert; also bevor das Gesundheitsministerium dem Druck der Krankenversicherer nachgab. Streng genommen hätten die Krankenversicherungen die Entwicklung aber vorhersehen können.

Konnten, oder wollen sie nicht?

Krankenversicherungen kalkulieren, auch aufgrund gesetzlicher Vorgaben, sehr vorsichtig und damit selten zu Gunsten der Versicherten. 2008 war aber eine Ausnahmesituation und hatte nichts mit Vorsicht zu tun. Die Krankenversicherungen fürchteten, dass ihre Versicherten Reißaus nehmen, wenn sie die Prämien für 2009 zu stark erhöhen. Jetzt wo der Anbieterwechsel unattraktiver ist, als noch 2008 abzusehen war, erhöhen die Krankenversicherer 2010 umso kräftiger.

Erklärt allein dies die massiven Prämienzuwächse?

Nein, denn die Prämien sind ja nicht gleichmäßig angestiegen, sondern je nach Tarif ganz unterschiedlich. Es mussten vor allem Bestandskunden bluten, deren Tarife für Neukunden geschlossen wurden.

Warum wurden die Tarife geschlossen?

Vielen Krankenversicherungen war es zu aufwendig, alle angebotenen Tarife wegen der Möglichkeit, künftig Altersrückstellungen mitnehmen zu können, neu zu kalkulieren. Wenn ein Teil der Versicherten den Tarif verlässt und einen Teil der Rückstellungen mitnimmt, müssen die übrigen Versicherten umso mehr zahlen. Dieses Risiko hätten die Versicherungsmathematiker bei der Prämienkalkulation für Neukunden berücksichtigen müssen. Um Kosten zu sparen, haben die Krankenversicherungen stattdessen ältere Tarife einfach dicht gemacht.

Wenn ich als Versicherter in einem geschlossenen Tarif bin, was heißt das für die Höhe meiner Prämie?

Wenn keine neuen, halbwegs gesunden Kunden hinzukommen, dann steigen die durchschnittlichen Gesundheitskosten für Versicherte in der Altersgruppe bis etwa 50 und mit ihnen die Prämie. Zudem kalkulieren die Krankenversicherungen tendenziell großzügiger, weil sie keine Rücksicht auf potenzielle Neukunden nehmen müssen. 

Als Neukunde kann ich mir den Anbieter noch frei wählen. Woran erkenne ich, welcher Anbieter künftig die Prämien überdurchschnittlich erhöhen wird?

Dass lässt sich leider nur schwer vorhersagen, weil einzelne Versicherungen die Prämien je nach Tarif ganz unterschiedlich erhöhen. Grundsätzlich kritisch sind Anbieter mit einer Vielzahl an neuen Tarifen, weil die Gefahr groß ist, dass alte Tarife geschlossen werden. Ebenso gefährdet sind Krankenversicherungen, deren Neugeschäft rückläufig ist. Ihnen fehlen junge und gesunde Versicherte, die die durchschnittlichen Gesundheitskosten für die Altersgruppe der Versicherten bis 50 nach unten drücken.

Wäre es nicht einfacher, neue und alte Tarife zu vergleichen?

Theoretisch schon, aber die Krankenversicherungen geben meist keine Auskunft über bereits geschlossene Tarife. Da müssten sie schon jeden einzelnen Versicherten im Alttarif nach seinen Prämienerhöhungen fragen.

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